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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 1. 2010 - 23:03

Afrika-Cup-Log, 11. Gijon ist überall.

Wenn sich zwei nicht wehtun, weil beide davon profitieren, dann ist Gijon nie weit. Wenn einer der beiden Beteiligten allerdings Algerien ist, dann wird es moralisch pikant. Eine kleine Geschichtsstunde zu einem dunklen Kapitel österreichischen Fußballs - aus gegebenem Anlass.

Africa Cup Log

Und die Infos zum Spieltag.

Gut, es waren nur die letzten 20 Minuten - in denen taten sich die Kontrahenten nicht mehr wirklich weh.
Davor war es ein durchaus seriöses Gruppenspiel: Angola hat den Druck als Heimteam nach vorne zu spielen und Algerien stand ohnehin auf der Kippe.

Allerdings wurde die Ausgangslage dieser Gruppe A (alle vier Mannschaften konnten sich noch qualifizieren und irgendwie traute man es auch jedem zu) nach 4 Minuten drastisch geändert: im Parallelspiel gingen die bislang enttäuschenden Starkicker des Mali gegen die bislang als Bärentöter aufgefallenen Nobodies aus Malawi schnell 2:0 in Führung.

Und dieser damit wohl schon feststehende Sieg änderte die Lage: ein Remis bei Angola - Algerien würde ersteren den Gruppensieg und zweiteren den Aufstieg bringen, egal wie hoch und sicher Mali gewinnt.
Nur bei einem Sieg von Malawi wären die Algerien nämlich in die Situation gekommen unbedingt einen Sieg zu brauchen.

Angola und Algerien trennen sich friedlich

Nun schenkten sich die beiden Mannschaften im Spiel in Luanda nichts: Angolas Tormann Carlos zerrte in der 1. Halbzeit einige Bälle gerade noch von der Torlinie. Und sein Gegenüber Chaouchi drehte einen Ze Kalanga-Freistoß gerade einmal so über die Latte.

Und auch zu Beginn der 2. Halbzeit gab es je eine 100%ige Torchance pro Team. Algeriens zäh wie Kaugummi aufgestellte Defensive machte es der angolanischen Torfabrik aber ungleich schwerer als die bisherigen Gegner - weder über außen noch über die Mitte ließ man viel zu.

Als sich dann drüben in Cabinda (und man war in Luanda über die Ereignisse im Parallelspiel spürbar in Realzeit informiert) etwas tat (der Anschlusstreffer von Malawis Russel nämlich) wechselten Algerien gar seine Geheimwaffe Meghni ein um sich zu wappnen. Denn ein 2:2 hätte sie aus dem Bewerb geworfen. Dass Russel in der 72. Minute allein vor dem Tor vergab, meldete man womöglich nicht - also kühlte das Match nach einer hektische Phase Mitte der Halbzeit merklich ab. Und ab etwa der ebenfalls 72. Minute bewegte sich in Luanda nur noch der Ball.

Es kam nur noch zu einer gefährlichen Szene, als der Schiri einen Freistoß gab und Angolas Jamuana der Keeper prüfte, ansonsten ließen die beiden Teams Vorsicht walten.

Der Vorwurf steht als Elefant im Raum

Als die Meldung von 3:1 für Mali kam, war der Kuchen gegessen: Malawi war draußen, aber Mali eben (weil nicht die Tordifferenz, sondern das Head-to-Head-Ergebnis zählt) ebenso.

Nun könnte man sich als moralische Instanz aufspielen und etwas von Betrug daherreden. Weil die zwei Teams die letzten 20 Minuten nicht oder zumindest kaum mehr volle Pulle spielten, da sie mit dem Remis beide hochzufrieden waren. Und dass ein echter Fight mit einem Sieger eben den Sieger des anderen Spiels ins Viertelfinale befördert hätte.

Ja, mag sein.
Diesen Vorwurf allerdings in einem Spiel mit algerischer Beteiligung zu erheben, ist pikant.
Vor allem für Österreicher, aber auch für Deutsche.

Das mit dem gleichzeitig angesetzten Spielen in der letzten Runde der Gruppenphase bei großen Turnieren ist nämlich nicht vom lieben Gott oder den alten britschen Regelwächtern erfunden worden.
Diese Maßnahme entstand aus schierer Notwehr.
Die FIFA entschloss sich durchaus schweren Herzens dazu, weil sie dazu gezwungen wurde, durch den übelsten Missbrauch von Fair Play, der je im Fußball stattgefunden hat.

Folgende Missetäter sind für die Schande von Gijon verantwortlich:

Toni Schumacher, Manfred Kaltz, Uli Stielike, Karlheinz Förster, Hans-Peter Briegel, Wolfgang Dremmler, Paul Breitner, Felix Magath, Karl-Heinz Rummenigge, Pierre Littbarski, Horst Hrubesch, Lothar Matthäus und Klaus Fischer auf der einen sowie Friedl Koncilia, Bernd Krauss, Erich Obermayer, Bruno Pezzey, Josef Degeorgi, Roland Hattenberger, Herbert Prohaska, Reinhold Hintermaier, Heribert Weber und Hans Krankl auf der anderen Seite.

Nur Stürmer Walter Schachner war entweder nicht eingeweiht oder wollte sich nicht am bösen Spiel beteiligen, wurde aber auch von seinen Teamkollegen nicht mehr angespielt. Falls sich irgendeiner dieser vielen heute noch wichtigen Herren irgendwann zu irgendeiner moralischen Frage zeigenfinger-schwingend äußert - steht nicht an, sie offen zu als das, was sie (auch) sind zu verhöhnen: sportliche Betrüger.

Weil auch womöglich intelektuelle Fußball-Fans nicht gegen den Virus der xenophon gefärbten Populisten und ihren Nationalismus immun sind, und hier mit denselben Argumenten kommen, mit denen diese Gesellen sich gegen eine Aufarbeitung der politischen Vergangenheit wehrt (Haupt-Schmäh: es gibt keine Erbsünde! Unserer Generation soll's wurscht sein!): die Aufgabe unserer Generation ist sehr wohl die zeitgemäße Aufarbeitung.
Anstatt also da Vorwürfe gegen "die anderen" zu erheben, heißt es den eigenen Vorgarten von Unrat zu säubern. Etwa den aktuellen ÖFB und den aktuellen DFB, aber auch die damaligen Verbrecher gegen das sportliche Fairplay, also die Spieler und auch die Funktionäre, die sich damals massiv danebenbenommen haben, zu einer öffentlichen und offiziellen Entschuldigung zu bewegen. Die steht nämlich, auch nach 28 Jahren, noch aus. Weder der algerische Verband noch die Weltöffentlichkeit haben nämlich jemals ein Wort des Bedauerns gehört.
Und genau das ist unser Job.

Die Schande von Gijon

Es war bei der WM in Spanien, 1982, und es war in Gijon am 25. Juni. Es war das letzte Spiel der Vorrundengruppe 2. Österreich hatte Chile und Algerien geschlagen; Deutschland hatte gegen Algerien sensationell 1:2 verloren und gegen Chile klar gewonnen; Algerien hatte Deutschland besiegt, gegen Österreich verloren und auch sein letztes Spiel gegen Chile gewonnen.

Deutschland war also in Gefahr rauszufliegen, wenn sie nicht im letzten Spiel gewinnen würden. Österreich wäre auch mit einer knappen Niederlage weitergekommen.

Nach 11 Minuten schoß Hrubesch das 1:0 - das Ergebnis reichte für beide Teams, während Algerien rausfliegen würde - also stellten Österreich und Deutschland in einer stillschweigenden und offensichtlichen (durch die gemeinsame Sprache durchaus begünstigten) Absprache sämtliche Bemühungen ein so etwas wie Spielfluß aufkommen zu lassen und schoben einander den Ball 80 Minuten lang zu.

Dieses elende, grausame, erbarmungswürdige und unsagbare Beispiel eines jeglichen Fairplay-Gedanken mit Füßen tretende Auftretens, das vor allem durch die schiere Offensichtlichkeit den Ekel der Weltöffentlichkeit erregte, ging unter dem Begriff der Schande von Gijon in die Geschichte ein.

Unaufgearbeitete Geschichte...

Während sich der österreichische Delegationsleiter zwischenzeitlich in rassistischen Beschimpfungen des Gegners gefiel und andere Zeitzeugen heute noch nach Ausreden suchen, wird der Nichtangriffs-Pakt von Gijon in Österreich und Deutschland in Altkicker-Kreisen gern als Bubenstreich oder Kavaliers-Delikt herunterespielt; auch weil man die Auswirkungen dieser bis dorthin nicht gekannten öffentlichen Ausführung noch immer nicht kapiert hat.

Wer das Spiel vor den Augen der Weltöffentlichkeit in die Geiselhaft der betrügerischen Absicht und des widerlichen Fakes nimmt, der ruiniert es.
Das ist in Österreich und Deutschland immer noch nicht so klar, weil an der Schande zu viele Idole beteiligt waren; noch dazu solche, die heute noch eine große Rolle in der Szene spielen - wobei das eher für Deutschland gilt, wo Rummenigge oder Magath tatsächliche Stars sind, während sich Prohaska, Krankl oder Weber eher in der Matthäus-Klasse, also der der Hilfsschreiber befinden.

Die Schande von Gijon ist, wie so vieles, was die eigene Geschichte betrifft, nicht seriös aufgearbeitet, und damit immer noch ein Stachel in der Tatze des österreichischen Fußballs. Das Wissen um diese Peinlichkeit und der Bestemm gegen sowas wie Schuldhaftigkeit schwingen in vielen internationalen Begegnungen mit, sind ein Erbe einer gedankenlosen Generation von moralischen Zwergen.

... eine österreichische Spezialität...

Es ist also kein Wunder, dass die englischsprachigen Kommentatoren des Spiels Angola - Algerien in der Schlussphase das historische Fanal von 1982 zitieren, nicht ohne den Hinweis, dass es damals das algerische Team war, dass mit einem geschobenen Spiel um seine WM-Chance gebracht wurde.

Da es damals "nur" ein Team von "Bloßfügigen" getroffen hatte, kam Österreich fröhlichem Herrn-Karl-Rassismus 1982 durchaus entgegen - heute, wo sich die algerische Mannschaft zum Gutteil aus in Frankreich geborenen Secondos zusammensetzt, wo also die Globalisierung auch in die Gegenrichtung funktioniert, ginge derlei Widerlichkeit nicht mehr.

Weshalb heute selbst Spiele, bei denen letztlich das angenehme Resultat herauskommt, nicht in ihrer Komplettheit verschoben werden können, sondern ein gewisser Anstand gewahrt werden muss, der sich dann in Restrisiko wie den angesprochenen Torchancen auswirkt.

Gijon ist überall, heute auch ein wenig in Luanda, Angola.
Aber eben nur ein wenig. Weil die originalen Spitzbuben damals eine Vorlage geliefert haben, die nicht übertroffen werden kann.
Und weil man jeden schief anschauen kann - Algerien aber wohl am allerwenigsten.