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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

31. 12. 2009 - 17:07

Austrian Heroes of the Zeros, Pt. 1

Zehn Jahre Indiemusik aus Österreich. Zwischen persönlichen Gefühligkeiten und medialer Wahrnehmung. Der Versuch eines Rückblicks.

Eine ganze Dekade Revue passieren zu lassen grenzt an Folter. Vor allem, wenn es um so etwas hoch Emotionales wie Musik geht. Denn wenn es um Bestenlisten oder auch "nur" um die Verortung von Hypes und Trends geht, schweben die Reduktion, das Kürzen und das Weglassen wie ein Damoklesschwert über dem zu zermarternden Kopf.

Hinzu kommt, dass im Gehirn die Dinge präsenter sind, die nicht sehr lange zurückliegen. Und wenn man dann versucht, Erinnerungen aus den hintersten Windungen hervorzukramen, sind meist nur die zugänglich, die mit tieferen Gefühlen verknüpft sind. Insofern passiert ein Rückblick auf ein ganzes, musikalischen Jahrzehnts eher durch eine persönliche Brille. Noch dazu, wenn es um heimische Musikerinnen und Musiker geht, zu denen man persönliche Beziehungen geknüpft und/oder deren künstlerischen Werdegang man verfolgt hat. Trotzdem hier ein Versuch einer zeitlichen Verortung von Phänomenen und Strömungen.

Weitere Labels und Bands, die diese Dekade wesentlich bereichert haben und in der Analyse nicht explizit angeführt worden sind: das Label Siluh Records mit unter anderem seiner Erfolgsband A Life A Song A Cigarette, das höfliche Label aus Wien Konkord Records mit dem großartigen Release der Laokoongruppe, das Label Karate Joe Records mit ihrer kürzlich veröffentlichten Ausnahmeplatte von Pendler, Pumpkin Records mit Bands wie Bell Etage, Fatkakao und Valeot Records, die weibliche Unterstützung von Mel, Sawoff Shotgun und Paper Bird und vielen mehr. Diese Liste könnte noch beliebig lang fortgeführt werden...

Aufbruch

Kommend aus den neunziger Jahren schien nicht nur International sondern auch in Österreich eine Genrepolizei zu patrouillieren, die strikte Grenzen zwischen den verschiedenen Musiklandschaften zog. Rock ist Rock und bleibt Rock. Die euphorisch gefeierte Elektronik, deren glänzende Fassade schon fast ganz abgebröckelt war, blieb immer noch in einschlägigen Clubs und Kaffeehäusern stecken. Und Hip Hop hatte sowieso eine stringente und mächtige Gemeinde, die eher darauf konzentriert schien, sich gegen etablierte internationale Acts abzugrenzen, um die eigene Identität noch stärker zum Ausdruck zu bringen. Mit anderen Worten: Jeder kochte sein eigenes Süppchen. Doch schon bald lösten sich aus diesem Verband Musiker, die ihrer musikalischen Sozialisation nicht sklavisch treu blieben, sondern sie vielmehr zur Weiterentwicklung nutzten und in andere Sparten einbrachten. Hubert Maurachers Erstling "29 Degrees" war da ebenso ein Vorbote, wie Binder & Kriegelsteins Debüt "International". Beide kamen von der harten Gitarrenmusik, beide vertieften sich in die digitalen Produktions- und Klangerzeugungsmöglichkeiten, beiden war das musikalische Korsett der Zeit zu eng.

Zusammenbruch und Neuaufbau

Naked Lunch

myspace.com/nakedlunchmusic

Naked Lunch

Doch auch in der Gitarrenfraktion waren bei dem einen oder anderen die Grenzen erreicht und wurden hinterfragt. Nach dem Album "Love Junkies" und dem Versuch, das Popformat stetig weiter auszureizen, machte es den Anschein, dass eine gewisse innere Klausur den Kärntnern Naked Lunch geholfen hat, in andere Richtungen zu gehen. Denn mit "Songs For The Exhausted" wurden experimentellere Klänge und verquerere Arrangements in den melodiösen Soundteppich eingeflochten. Wichtig ist dieses Album auch deshalb, da es im Nachhinein betrachtet das Sprungbrett zu dem meisterlichen Werk "This Atom Heart Of Ours" war, in dem alle bisherigen Stärken zu einem großen Ganzen zusammenflossen.

Die Band Killed by 9Volt Batteries am Spittelberg

They Shoot Music

Killed by 9V Batteries

Aber auch die mehr an klassischer Songstruktur interessierten Bands wuchsen nicht nur klangtechnisch über sich hinaus. In den Nullerjahre formieren sich um die österreichische Musikplattform INK Music und das Label Wohnzimmer Records Gruppen, die einen internationalen Vergleich nicht zu scheuen hatten, wie Velojet, The See Saw, Deckchair Orange und viele mehr. Solide Texte, handwerklich liebevoll und gekonnt produziert ist die österreichische Gitarrenmusik in dieser Dekade wieder zu einer spannenden, begeisternden und lauten Form erstarkt. Denn in den letzten Jahren köchelt eine Szene in der Steiermark aus den besten Hardcore- und Gitarrennoise-Zutaten eine scharfe Musiksuppe, mit Meisterköchen wie den Killed By 9V Batteries, oder Picture Eyes.

Neuer Sprachstolz

Eine der erfreulichsten Entwicklungen dieser Dekade ist wohl, dass sich die junge, eckige, kantige, aufmüpfige und energiesprühende Generation die Muttersprache für ihre Musik zurückerobert hat.

attwenger

Stefan Elsbacher

Attwenger am Chez Hermes-Geburtstagsfest 2009

Die dialektale Singvariante ist nicht mehr nur dem Austropop vorbehalten, was zu einem nicht unwesentlichen Grad dem Duo Attwenger und dessen stetigen Veröffentlichungen zu verdanken ist. Und da, wo Heinz aus Wien am Beginn des neuen Jahrtausends vielleicht ein wenig stecken geblieben sind, haben zum Beispiel die Burgenländer Garish angesetzt. Zu cleveren Alltagsbeobachtungen gesellt sich durch das schöne Timbre von Thomas Jarmer auch noch eine gehörige Portion Poesie. Hier kommt es nicht nur darauf an, Deutsch zu singen, sondern auch darauf, wie man seine eigene Sprache transportiert. Das Album "Absender auf Achse" stellt dabei wohl den bisherigen Höhepunkt der Band da, der deutlich macht, was in diesem Land musikalisch und lyrisch alles Möglich ist.

ja,panik

julia spitzner

Ja, Panik

Im Kielwasser dieses sympathischen Vierers surft eine Formation mit Namen Flashbax , die sich bis Ende 2009 nach der Umbenennung zu Ja, Panik noch zu dem über die Landesgrenzen hinaus bekanntesten, deutschsprachigen Indiegitarren Act mausern soll, dessen Frontman Andreas Spechtl im renommierten Magazin Spex gleich mehrere Seiten zieren darf. Der zornige Sound und die anklagenden Texte passen außerdem perfekt zu der Wirtschaftskrisenzeit dieser Dekade. Was mich gedanklich wiederum zu den diesjährigen Gewinnern des Amadeus FM4 Awards 2009 bringt, Kreisky, und zu der schillernden Figur des Autrofred und dem Seitenprojekt Mord. Damit beginnen auch schon die chronologischen Spuren sich in ein sonderbares Referenzknäul zu verheddern.

Die Nuller sind das neue Leise

Doch auch bei einem „anderen“ Genre, das meist mit einer spärlicheren Instrumentierung und einem von bösen Zungen attestierten Lagerfeuergefühl verbunden wird, ist der heimische Sprachbezug neu entflammt. Hier sei das kürzlich zu Recht in die mediale Aufmerksamkeit gerutschte Label Problembär Records erwähnt, mit u.a. dem Nino aus Wien und Mob.

Nino Mandl

Nino Mandl

Der Nino aus Wien

Auch mit den rotzfrechen und sehr erfrischenden Das Trojanische Pferd hat sich hier eine Szene aus dem in dieser Dekade wieder aufkommendem Singer/Songwritertum herausgeschält, die angetrieben von anglophilen SängerInnen wie Bernhard Eder oder Ben Martin neuen Auftrieb bekommen hat, wobei Letzterer mit seinem Projekt I Am Cereals dieses Feld vorübergehend schon wieder verlassen hat. Folge von dem neuerstarkten Zirkel der Liedermacher waren unter anderem die Gründung der Vienna Songwriting Association inklusive dazugehörigem Festival.

Frauen entgegen den Zahlen

Zum Abschluss der Nullerjahre scheint noch eine klare Message zu folgen, nämlich dass entgegen aller statistischen Zahlen, die belegen, dass Frauen in der Musikindustrie – egal ob als Autorinnen, Urheberinnen oder Ausführende – klar unterlegen sind, gerade die wichtigsten Alben der Dekade geschrieben haben.

Gustav

Gustav

Gustav

Gustav ist zum Beispiel im Poll des mica bei den besten Alben der letzten zehn Jahre gleich zweimal vertreten, nämlich mit „Rettet Die Wahle“ auf Platz 2 und gleich dahinter mit „Verlass die Stadt“ auf Platz 3. Nicht zu Unrecht, denn in Eva Jantschitschs Musik dominieren nicht nur klanglich raffinierte Texturen, auch politische und gesellschaftliche Kritik ist immer präsent. Allerdings nicht mit erhobenem Zeigefinder, sondern die Message ist nicht selten an der Oberfläche als einschmeichelnder Flirt gut getarnt und erwischt einen nach genauem hinhören dann umso mehr.

Clara Luzia: eine Frau mit kurzen Haaren bedient konzentriert ihre Gitarre

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Clara Luzia

Ein Brückenschlag zwischen prägenden Musikerinnen und dem erwähnten Neuaufstieg der Singer/Songwriter ist Clara Luzia, deren anfänglichen Band Alalie Lilt sich zu einem unglaublich berührenden Soloprojekt gewandelt hat. Viele Rollen werden Clara Humpel zugeschrieben. Die der feministischen Vertreterin, der Powerfrau im Popbusiness, der "Zirkusdirektorin" ihrer Band. Doch die Rolle, die ihr am besten steht, die am Nähsten an ihrem Kern liegt, ist wohl die der ehrlichen, etwas zerbrechlich wirkenden und doch viel Mut und Lebensbejahung ausstrahlenden Sängerin/Songwriterin. Als Beweis legt Clara Luzia 2009 mit "The Ground Below" ihr wohl stimmigstes und bestes Werk vor. Nicht unerwähnt sollte auch Madita bleiben, aus dem Hause Couch Records, die am jazzigen Diva-Image vorbei ein großartiges Rolemodel für Musikerinnen darstellt. Selbstbewusstsein gepaart mit stimmlicher Präsenz und Eigenwilligkeit, sowie einem starken Willen zur Weiterentwicklung (wartet nur ab, was wir 2010 von Madita zu hören bekommen).

soap and skin mit dornenkrone

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Soap & Skin

Und weil wir gerade bei Lobeshymnen sind, schwenken wir das imaginäre Spotlight und lassen das blasse Gesicht von Anja Plaschg alias Soap & Skin darin erstrahlen, auch wenn das die Künstlerin selbst nicht als angenehm empfindet. Schon jetzt wird ihr Debüt "Lovetune For Vacuum" im deutschen Online-Tagesspiegel als "Königreich der Schmerzensfrau" bezeichnet. Andere sind einfach nur bezaubert, berührt oder gar erschüttert, spielt doch Soap & Skins künstlerische Gesamtkonzept nach außen mit einer gefährlich wirkenden Gratwanderung zwischen Genie und Wahnsinn.

Und wo stehen wir jetzt?

Vor einem sehr erfolgversprechenden, spannenden Jahr. Oder besser, vor einer Dekade, in der die heimische Musikszene weiter über sich selbst hinauswachsen wird. In diesem Sinne: Prosit neues Jahrzehnt!