Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Erwachsenwerden im, ähm, Dance-Punk?"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

30. 12. 2009 - 22:01

Erwachsenwerden im, ähm, Dance-Punk?

If the sun comes up, If the sun comes up and I still don’t want to stagger home. LCD Soundsystem - "Sound of Silver" ist Platz 3 der FM4 Jahrzehnte-Charts.

LCD soundsytem

Vor Erscheinen von "Sound of Silver", dem zweiten regulären Album des LCD Soundsystems, im März 2007 eilte James Murphy vor allen Dingen der Ruf einer großzügig dimensionierten und wohlsortierten Plattensammlung voraus, der Ruf, ein gewiefter Zitat-Jongleur und Klangarchitekt am Mischpult zu sein - auch beim Produzieren anderer Acts, das DFA-Records-Gütesiegel gilt heute noch! Der Ruf eines wisecracking Durchblickers, der in seinen Texten so genannte "Szenen" (sich selbst ausdrücklich immer miteingeschlossen) scheinbar mühelos und ohne doofe, herablassende Galle zu durchleuchten im Stande war. Der Ruf eines Allesmachers und Alleskönners, eines Multiinstrumentalisten und eines Alleswollenden, dem die Idee stets wichtiger war als das goldene Handwerk, der Ruf eines Music Lovers. James Murphy, die vorgelebte Dance-Werdung eines alten Indierockers, die in Fleisch und Schweiß aufgegangene Musikgeschichte, der ausgefuchste Soundbastler, der König der Pastiche. Der Begriff "Songwriter" aber war einer, der eher nicht oder gerade mal so mit Ach und Krach in den Top-100-Listen der zur Beschreibung von Murphys Wesen besonders geeigneten Termini auftauchen wollte.

"Sound of Silver" ist sofort von den ersten Hörkontakten an von so ziemlich allen Seiten als, ja, hüstel, Werk von epochemachender Strahlkraft empfangen worden, als die Perfektionierung der im vergangenen Jahrzehnt, gähn, zigfach bemühten Verschränkung von Kategorien wie "Dance" und "Punk", die sich im Jahr 2007 in vielen Feldern ohnehin nicht mehr spinnefeind (nicht zuletzt auch dank Murphy/DFA) waren. Hinsichtlich besagter Hybridisierung von House, Disco, Postpunk und No Wave, von Elektronik und von in Jeans-Jacke von Hand gespielten echten Instrumenten hin zu einem glänzenden Pop-Entwurf war dieses Jahrzehnt tatsächlich kein besseres Album als "Sound of Silver" - gleichauf vielleicht nur mit "Echoes" von The Rapture - zu hören, allein: War die Verschachtelungsarbeit und Ineinanderverfugung von ästhetischen Mustern aus der Vergangenheit zu einem neuen, wuchtigen, betont unoriginellen "originellen" Sound nicht schon auf dem selbstbetitelten Debüt-Album des LCD Soundsystems und den frühen Singles Jahre zuvor ausreichend aufregend betrieben worden? War 2007, in einer Zeit in der sowieso schon jeder alles mit allem verknüpfte, aus der Verflechtung unterschiedlicher Stile noch ein Alleinstellungsmerkmal zu gewinnen?

LCD soundsytem

Im Zentrum von "Sound of Silver" stehen, zwei Songs, ja, SONGS, die ausreichen würden, um auch schlechteren Alben zu einem Platz in irgendwelchen Ahnengalerien zu verhelfen: "Someone Great" und "All My Friends", zwei Stücke, in denen James Murphy endgültig zum SONGWRITER wird, zu einem auch abseits von Hipster-Selbstbespiegelungen großartigen Texter, zwei Stücke, in denen Murphy eine völlig unbetuliche Reife verstrahlt, ein Mensch auf der Höhe seiner Kunst, ohne dabei auch nur ansatzweise in Gefahr zu geraten, sich als Altherren-Mucker für ein Cover des Rolling Stone zu empfehlen. In "Someone Great" verhandelt Murphy mithilfe eines Glockenspiels wie Verluste sich anfühlen können, in "All My Friends", dem zweifelsfrei besten Stück des Jahrzehnts, bemächtigt er sich - über diesem stoischen Motorik-Drumbeat und dieser simplen Piano-Figur, die in diesem Leben niemand jemals wird vergessen können, wieder und wieder, wieder und wieder - des beliebten Topos vom "Erwachsenwerden" und vom (gar nicht selten auch erwünschten) Einkehren der Routine: James Murphy sitzt im Flugzeug, ist auf Tour, wird älter und überall von netten Menschen hofiert, und wundert sich dabei eigentlich nur wo denn all seine Freunde geblieben sein mögen. So einfach sagt das Murphy aber nicht, denn so einfach ist es nicht. Die Wünsche nach Ruhe, nach Ausgeglichenheit, nach Aufruhr, nach Zerrüttung und Party komplett, die Erinnerungen an bessere, wildere Zeiten sind ja alle da. Wir haben die Vernunft über Bord geworfen und jetzt wollen wir sie wieder haben! Auch wenn wir alle erwachsen geworden sind: If the sun comes up, if the sun comes up and i still don’t want to stagger home/ then it’s the memory of our betters/ that are keeping us on our feet.

Auf "Sound of Silver" bemüht James Murphy zwar wie schon zuvor die altbekannten Klangmaterialien, die Talking-Heads-Polyrhythmik, die kieksenden Brian-Eno/John-Cale-Versuche, die David-Bowie-Stimme, den Prince-Funk für Garagenrocker, die The-Fall-Beschwerde, Kraftwerk-Gezwitscher, Kuhglocke, Krautrock, alles da, dieses Mal aber hat er die Puzzle-Teile zu einer eigenen Sprache, zu einem mächtigen Panorama geformt. Überschwang und Aggression, Rebellion, Melancholie, Schwermut und völlig ungetrübte Lebensfreude, Selbstzweifel, totale innere Seelenruhe, geil Ausflippen und das Hadern mit den geistigen Souvenirs der eigenen Jugend, ein ganzes Leben spiegelt sich in der verbeulten Alufolien-Oberfläche der Disco-Kugel, in den Details, den Sounds und den Texten, der zischenden Hi-Hat, der elastischen Bassline, der wegbrechenden Stimme, den neun fantastischen Liedern, die diese Platte ausmachen. Das ist der "Sound of Silver": "Sound of Silver talk to me/Makes you want to feel like a teenager/Until you remember the feelings of a real live emotional teenager/then you think again." Es ist gut so wie es ist.