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Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

14. 12. 2009 - 14:10

Decemberlist, vierzehn

Tarot Sport von den Fuck Buttons: Ein Platte aus den Knochen von My Bloody Valentine und Andrew Weatherall.

Das ist die Decemberlist
24 Stücke Musik, täglich eines, den ganzen Dezember über, vorgestellt von FM4 MusikjournalistInnen und Webhosts. CDs, die während des Jahres die FM4 Musikredaktion passiert haben und die für uns von Bedeutung waren. Zum Schenken und Beschenktwerden. Von Indie Pop bis Rare Groove, von dänischem Metal bis österreichischem Songwriter Pop.

fm4.orf.at/decemberlist

Ich mag Musik, in der nicht besonders viel passiert, und das möglichst lange. Das hab ich schon einmal hier geschrieben, und es stimmt natürlich immer noch und trifft auch ein bisschen auf die Fuck Buttons zu. Die haben mich bis vor Kurzem durch ihren einigermaßen idiotischen Namen davon abgehalten, ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken. Man kann sich schließlich nicht alles anhören, Lebenszeit ist endlich. "Fuck Buttons": das klingt wie "Pissed Jeans" oder "The Hard Ons", nach Punkrock oder schlechtem Humor, beides nicht so meines. In irgendeinem Online-Forum wurden die Fuck Buttons aber im Rahmen einer Sigur Ros Diskussion erwähnt, und spätestens da hab ich dem aktuellen Album "Tarot Sport" eine Chance gegeben. Gottseidank.

Das Album "Tarot Sport"

Fuck Buttons

Higher Than The Sun

Die Fuck Buttons kommen aus Bristol, sind zwei eher unscheinbare Typen namens Andrew Hung und Benjamin John Power und gemeinsam erstellen sie mit ihren Laptops psychedelische Klangmassive. In Interviews sprechen die beiden schon einmal von "einer Reise", auf die sie die Hörerschaft ihrer Platten und Konzerte schicken wollen und so eine Reise dauert dann schon einmal 10 Minuten. Gesungen wird nicht, dafür gibt es um so mehr Feedback, Lärmschlieren, Echos, vor allem aber hymnisch-hypnotische Harmonie-Folgen.

Balearisch hat man irgendwann einmal zu so etwas gesagt, und die Ibiza-Urlaubs- und Drogenexperimente einer handvoll britischer Szene-DJs und Produzenten Mitte der 80er Jahre gemeint, die mit sehr großen Pupillen Vangelis Platten am Strand von San Antoni zum Sonnenaufgang gehört haben. Zuhause im regnerischen England wurde daraus der "Second Summer of Love", Acid House Parties wurden erfunden, Paul Oakenfold produzierte die Happy Mondays und Andy Weatherall machte aus den drögen Primal Scream die exzessiven Party Monster, für die wir sie heute kennen. Was das alles mit den Fuck Buttons zu tun hat? Die beerben genau diese Schnittstelle aus den Errungenschaften der elektronisch generierten Tanzmusik und den nebeligen Feedbackflächen avancierter 80er Jahre Indie-Gitarrenbands wie My Bloody Valentine. Es war rückblickend gesehen nur eine pophistorische Sekunde, an denen dieses Crossover gut funktionierte. Zu ungleich waren die Kräfte, auf der einen Seite das explodierende Dance-Universum auf der anderen Seite die schlaffen Indie-Heads, die bald von den Siegertypen des Britpop-Wunders hinweg gespült wurden. Aber wie unter anderem die Fuck Buttons beweisen: Da ist noch was drin.

Fliegende Schlangen und Space Mountains

Weil es ja keine Zufälle gibt, begegnet uns auf Tarot Sport auch eine der Zentralfiguren der eben beschriebenen Szene: Andrew Weatherall hat sich für die Fuck Buttons wieder einmal in den Produzentenstuhl gesetzt. Er selbst irrlichterte in den letzten zehn/fünfzehn Jahren mit verschiedenen Projekten im Niemandsland zwischen Elektro, Minimal und Retro-Postpunk, stets hoch respektiert für seine frühen Großtaten als Remixer und Produzent von Bands wie Primal Scream, One Dove oder My Bloody Valentine und doch ein bisschen neben der Spur.

Fuck Buttons

Fuck Buttons

Die Fuck Buttons, die mit ihrem Debütalbum "Street Horrsing" noch mit einem Fuß im Experiment stehen, haben sich für ihren zweiten Streich "Tarot Sport" jetzt endlich dem höheren Kitsch geöffnet. Titel wie "Space Mountain", "Flight Of The Feathered Serpent" oder "Surf Solar" blubbern und jubilieren, dass es eine Freude ist. Neben den geschüttelten Beats von Andrew Weatherall haben die Fuck Buttons aber auch die Lektionen von Mogwai gelernt, so dass nicht alles im puren Schönklang ertrinkt. Bei Tracks wie "Phantom Limb" kommen mitunter richtig fiese Frequenzen zum Einsatz. Aber es beibt ein Zwischenspiel. "Tarot Sport" ist aus psychedelischer Zuckerwatte gesponnen, die in den schillerndsten, chemisch induzierten Farben leuchtet. Wollige elektrische Schafe hätten diese Platte erträumen können.