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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

10. 12. 2009 - 19:23

"Wo mein Herz liegt, da setze ich mich ein"

Joana Adesuwa Reiterer über den Kampf gegen Frauenhandel, kleine Erfolge und die Frage, ob Kunden von Zwangsprostituierten bestraft werden sollen.

Tag der Menschenrechte auf FM4

Heute Abend erhält Joana Adesuwa Reiterer den Menschenrechtspreis der österreichischen Liga für Menschenrechte, der heuer zum ersten Mal vergeben wird. Sie bekommt ihn für ihre Arbeit mit dem Verein EXIT, der Frauen Hilfe anbietet, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution geworden sind.

Ich habe mit ihr über ihr Engagement für die Opfer von Frauenhandel gesprochen. Und wie es dazu kam, dass die den Verein EXIT überhaupt gegründet hat.

Irmi Wutscher: Wie ist der Verein EXIT eigentlich entstanden?

Joana Adesuwa Reiterer: Vor fünf, sechs Jahren kam ich nach Österreich und habe dann gemerkt, dass der Mann mit dem ich zusammen bin, ein Menschenhändler ist. Ich habe dann versucht, ihn anzuzeigen. Das war aber ganz schwierig, weil die Polizei mich nicht ernst genommen hat. Damals habe ich dann Frauen kennen gelernt, die auch Opfer von Menschenhandel waren.

Und ich habe mir gedacht: Ich kann ein bisschen Deutsch, ich bin legal da und werde von der Polizei nicht ernst genommen. Was ist dann mit diesen Frauen, die Asylwerberinnen sind und keine Möglichkeit haben, sich zu wehren? Wir haben dann einen Aufklärungsfilm zum Thema Frauenhandel gemacht, und nachdem dieser Film ausgestrahlt worden ist sind Männer zu uns gekommen, die Sex-Klienten waren und denen durch den Film bewusst geworden ist, dass Frauen, die sie kannten, die als Prostituierte arbeiten, Opfer von Menschenhandel sind. So sind die Frauen dann zu uns gekommen und wir haben 2006 den Verein gegründet, um sie zu unterstützen.


Joana Adesuwa Reiterer, wurde 1981 in Nigeria geboren, arbeitete in der nigerianischen Film & Entertainment Industrie. 2003 übersiedelt sie nach Österreich. Im August 2006 gründet sie den Verein EXIT, mit dem Ziel Frauenhandel aus Afrika zu bekämpfen.

Joana Adesuwa Reiterer

ecowin/Niko Formanek

Joana Adesuwa Reiterer

Welche Hilfestellungen bieten sie den Frauen?

Zuallererst geht es um Beratung. Dass die Frauen wissen es gibt die Möglichkeit, sich zu schützen und Hilfe zu bekommen. Und wenn sie den juristischen Weg gehen wollen, sich gegen die Menschenhändler zu wehren, dann unterstützen wir sie mit Anwälten. Viele sind auch Asylwerberinnen und wir versuchen, ihre aufenthaltsrechtliche Situation zu klären und sie im Prozess zu begleiten.

Auf der anderen Seite, wenn die Frauen sagen: Nein, sie sind nicht so weit, sie haben Angst, sie wollen nicht gegen die Menschenhändler aussagen, weil niemand ihre Familien in Nigeria schützen würde, dann bieten wir ihnen Beratung und Therapie an, bis sie soweit sind.

Wie viele Frauen beraten Sie? Oder wie viele steigen aus?

Also Aussteigen, haha, gute Frage. Seit ich 2005 diese Beratungstätigkeit angefangen habe und seit es den Verein gibt, haben wir über 120 Frauen beraten. Davon hat sich ein sehr geringer Teil gegen die Menschenhändler gewehrt, nur ein Zehntel.

Und Aussteigen heißt für mich, heißt für den Verein EXIT sehr viel. Weil das ist nicht zur Polizei gehen und vielleicht eine Niederlassung für ein Jahr kriegen. Aussteigen heißt für uns, dass die Frau selbstständig wird, dass sie eine Arbeit kriegt, einen Aufenthalt, der nicht befristet ist und dass der Menschenhändler ihre Familie in Ruhe lässt. Von so einer Gesamt-Erfolgssituation können wir jetzt nur bei einer Frau sprechen. Es gibt andere Frauen, die Aufenthalt bekommen haben, die gegen Menschenhändler ausgesagt haben, aber ihre Familien werden noch immer nicht in Ruhe gelassen. Und sie haben keine Ausbildung. Sie sind dann immer in Gefahr, wieder Opfer von Menschenhandel zu werden.

In Nigeria macht EXIT ja auch Aufklärungsarbeit. Wie sieht die aus?

Vor allem geht es darum, zu vermitteln, dass mit einem Schlepper oder Menschenhändler nach Europa zu kommen, nicht gerade die beste Entscheidung ist. Dass es Aufenthaltsschwierigkeiten geben wird, dass man mit Gewalt und Betrug zu tun haben wird. Weitere Schritte machen wir, indem wir die Familien beraten. Wir versuchen vor allem die Mütter aufzuklären, dass es sich da um Zwangsprostitution handelt. Dass ihre Kinder ausgebeutet werden.

Buchcover Ware Frau

Ecowin Verlag

Ware Frau
von Corinna Milborn und Mary Kreutzer, erschienen im Ecowin Verlag

In Nigeria haben Sie ja auch für ihr Buch "Ware Frau" recherchiert, was haben sie da herausgefunden?

Wir haben recherchiert, Corinna Milborn, Mary Kreutzer und ich. Das ging am Anfang um Menschenhandel aus Afrika nach Europa. Wir sind aber schnell auf die Nigerianischen Frauen gestoßen. Weil die Mehrheit, die auf den europäischen Straßenstrichen oder im billigen Segment der sexuellen Dienstleistungen arbeiten, kommt aus Nigeria, vor allem aus dem südlichen Nigeria. Außerdem haben wir die Rolle der europäischen Behörden dokumentiert. Und die Rolle des Markts, der Nachfrage. Das wird ungern diskutiert, weil es eben nicht mit so genannten Ausländern zu tun hat, sondern mit europäischen Männern. Aber es gibt einen Markt für billige sexuelle Dienstleistungen und dieser Markt zieht eben die Frauen nach Europa.

Wie stehen Sie zu der Frage, ob man Freier bestrafen soll?

Es ist ein zweischneidiges Schwert. Wir haben Zugang zu den Frauen durch die Freier gefunden. Weil die Freier wissen, sie werden jetzt nicht gleich eingesperrt, wenn sie sagen: Ich war bei einer Prostituierten. Und obwohl sie wissen, sie werden nicht bestraft, machen sie das trotzdem anonym. Wir haben viele anonyme Informationen bekommen. Das heißt, wenn sie dann bestraft werden, wird kein Freier mehr zu uns kommen und sagen, dass er da eine Frau kennt. Und es gibt keinen Austausch mehr, online oder in Foren. Da wird also die Recherchemöglichkeit begrenzt. Und das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass Menschenhandel in einem intransparenten Netzwerk passiert und uns die einzige Möglichkeit, überhaupt an die Frauen heranzukommen, erschweren.

Aber auf der anderen Seite: Wenn man vielleicht einmal den Diskurs anfängt und es ganz deutlich in die Öffentlichkeit bringt, dass der Besuch von Zwangsprostituierten – erkennbar oder nicht ist da kein Thema –strafbar ist. Wenn man hier sensibilisiert, den Freiern den Mut gibt, etwas dagegen zu machen und das sie wissen, wie sie das erkennen, das wäre schon ein großer Schritt.

Zum Menschenrechtspreis, den sie heute Abend bekommen werden: Wie wichtig sind solche Preise für Sie?

Am Anfang, als ich das gehört habe, habe ich nicht gewusst, wofür ich den Preis bekomme. Ich wurde dann aufgeklärt, was ich da alles bis jetzt gemacht habe. Wobei: Vieles von dem ist selbstverständlich. Aber das ist für mich schon ein sehr bedeutender Preis. Es ist auch eine Art Bestätigung. Leute sehen, dass es notwendig ist, sich für eine ganz kleine Minderheit einzusetzen. Denn Frauen aus Nigeria, die Opfer von Menschenhandel sind, sind in Österreich eine Minderheit. Und dass wir ausgezeichnet werden, das ist eine riesige Sache. Das gibt auch wieder Mut und Motivation – vielleicht auch für andere Leute selbst etwas zu machen.

Glauben Sie, dass Sie ein Vorbild sind?

Nein...

Vielleicht für Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, und dann sehen: man kann sich auch wehren?

Okay, es gibt schon Frauen, die zu uns kommen und merken, was ich für einen Hintergrund habe. Und die dann sehen: Aha, in sechs Jahren kann man auch anders werden. Vielleicht motiviere ich dann ein paar Frauen und sie haben mehr Lust, weiterzukämpfen. Aber Vorbild? Nein... Ich bin doch noch zu jung... (lacht)

Glauben Sie, dass das wichtig ist, dass Sie als nigerianische Frau anderen nigerianischen Frauen helfen?

Ich glaube in einer Welt, die sehr vielfältig ist, mit verschiedenen Kulturen, ist es notwendig sich einzusetzen, egal von welcher Herkunft man ist für egal welches Thema. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass ich mich jetzt für Kinder in Österreich einsetze, die missbraucht werden. Warum nicht? Natürlich wird mir vielleicht ein bisschen mehr zugehört, wenn man sagt: Gut, ich habe es erlebt, ich komme aus diesem Land. Aber das sollte keine Voraussetzung sein, ich finde, das begrenzt sogar und schafft eine Parallelwelt. Ich sehe mich nicht so: Ich bin Nigerianerin, daher setze ich mich für Nigerianische Frauen ein. Sondern wo mein Herz liegt, da setze ich mich ein.