Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Patient Menschenrecht"

Arthur Einöder

POP: Partys, Obsessionen, Politik. Ich fürchte mich vor dem Weltuntergang, möchte aber zumindest daran beteiligt sein.

10. 12. 2009 - 17:51

Patient Menschenrecht

Heute ist Tag der Menschenrechte. Die Österreichische Liga für Menschenrechte hat einen Befund geschrieben.

Tag der Menschenrechte auf FM4

Ich hab ganz schön eine Angst, dass irgendwann irgendwelche Patienten aus den Löchern kriechen, und uns alles das wegnehmen, was wir so unter Zivilisation verstehen.

Damit meine ich gar nicht so sehr klimatisierte Räume, Zeckenschutzimpfung und Weltspartag, sondern das, was Zivilisation auf ethischer Ebene von der Barbarei unterscheidet.

Rechtsstaatlichkeit, Verfassung, gleiches Recht für alle, eh schon wissen.

Das, was in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor genau 61 Jahren halt hineingeschrieben worden ist. Dass du nicht ins Häfen kommst, wenn du schwarz bist oder eine andere Religion ausübst; dass du nicht in Sklaverei gehalten wirst, Recht auf ein faires Verfahren hast, und nicht an deinem Berufswunsch gehindert wirst, weil du eine Frau bist.

Aber du spürst wahrscheinlich schon: ganz so ist es in der Realität eh nicht. Zu jedem Beispiel da oben, fällt dir ein Gegenbeispiel aus dem eigenen Bekanntenkreis ein (na gut, Sklaverei, vielleicht nicht) - und dass du irgendwelchen bornierten Bsuffs erklären musst, dass Ausländer, Frauen, Moslems oder Asylsuchende durchaus auch unter den Begriff "Mensch" fallen, ist dir wahrscheinlich auch schon einmal passiert.

Die Zeiten werden härter, hört man, und deswegen ist es gut möglich, dass es dem Patient Menschenrecht nie wieder so gut gehen wird wie heute.

Das ist schade, weil ich heute nämlich von der Österreichischen Liga für Menschenrechte den Menschenrechtsbefund 2009 geschenkt bekommen habe. Und die Diagnose, der Befund, liest sich für eine angeblich zivilisierte Kulturnation nicht so schmeichelhaft.

Titelseite einer Mappe, Aufschrift "Menschenrechtsbefund"

radio fm4 / arthur einöder

Fünf Punkte

Fünf Punkte hat sich die Liga für Menschenrechte da herausgesucht, die im Bericht ausführlich besprochen werden. Chefin Barbara Helige (früher Präsidentin der RichterInnenvereinigung) hat den Bericht heute in der Früh präsentiert, und fast schon resignativ mit den Schultern gezuckt. Es gäbe noch so viel mehr, auf das man hinweisen sollte, aber man könne ja nicht jedes Jahr das Selbe über Minderheitenrechte und Kärnten schreiben.

So sind es nur fünf Punkte, die da in den Fokus der Menschenrechts-Watcher kommen, hauptsächlich solche mit tagespolitischer Aktualität:

  • Die Situation der Staatsanwaltschaft in Österreich ist kein Ruhmesblatt für die Rechtsstaatlichkeit
  • Asyl- und Fremdenpolitik - fehlende menschenrechtliche Standards?
  • Vergeudete Talente. Über die Gerechtigkeit des österreichischen Bildungswesens
  • Kinderrechte in Österreich - Eine halbe Sache
  • Ein weiter Weg - Zur rechtlichen Anerkennung homosexueller Partnerschaften

Menschenrechte

Der Befund im Volltext.

Die Überschriften sind zaghaft formuliert. Was im Volltext des Befunds steht, fetzt aber durchaus. Jedes einzelne Kapitel sollten sich Verantwortungsträger in Österreich groß auf ihre Pinnwand picken, oder ins Google Wave reinziehen, oder was man da halt so hat.

In der Vergangenheit hat sich nämlich leider eine Frechheit in der österreichischen Parteipolitik eingebürgert, die jeden Hinweis auf Einhaltung von Menschenrechten brüsk von sich weist. Immer mit dem pampigen Verweis auf besondere Zwänge, die einmal Ostbanden (Überwachung), dann wieder Asylmissbrauch (Abschiebepraxis), dann wieder Wirtschaftskrise (kein Geld für nix da, tut uns leid), und dann wieder christliche Werte des Abendlandes (gleich an Würde und Rechte ohne irgendeinen Unterschied nach Religion oder Geschlecht) heißen.

Dabei sind die Menschenrechte vor 61 Jahren nicht etwa zu einer Zeit erklärt worden, in der alles halligalli war, Milch und Honig für alle geflossen sind, oder irgendwelche gutmenschigen Traumwandler an den Hebeln der Macht gesessen sind.

Die Menschenrechte gibt's ja genau deswegen, damit - egal wie hart die Zeit und angebliche Zwänge sein mögen - trotzdem die Würde und die Freiheit der Menschen bestehen bleibt. Die europäische Menschenrechtskonvention, die sich an der Allgemeinen Erklärung orientiert, ist in allen beigetretenen Staaten völkerrechtlich verbindlich.

Überflüssige Diskriminierung

Vereine, NGOs und UN-Spezialorganisationen, die sich mit der Einhaltung von Menschenrechten beschäftigen, gibt es ja genug. Egal, ob es amnesty international ist, das seit Jahren die Behandlung von Asylsuchenden in Österreich kritisiert, oder das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR: Kritik von außen prallt an der Mauer des offiziellen Österreich ab.

Die Österreichische Liga für Menschenrechte könnte da vielleicht eher eine Lücke finden. Schließlich sitzen da Leute drin, die den Parteien und ihren Vertretern durchaus bekannt sein könnten. Barbara Helige, die Präsidentin, war jahrelang Vorsitzende der Österreichischen RichterInnenvereinigung. Heinrich Neisser, ihr Vize, sogar Klubobmann der ÖVP in den Neunzigern.

Parteien und Gleichbehandlung

Der Abschnitt über vergeudete Talente an den Schulen kritisiert die geo-soziale Diskriminierung (kaum Chancen auf gesellschaftlichen Aufstieg durch Bildung im ländlichen Raum), die "Realitätsverweigerung bei der Ausbildung von Migrantenkindern" und das UN-rechtswidrige Mischsystem von Sonderschulen und regulären Schulen. Nicht zuletzt ist auch die jahrzehntelang übliche Selektion bei Zehnjährigen ein Grund für die soziale Ungleichheit im Schulsystem. Sagt der Befund.

Das heute beschlossene Gesetz über die eingetragenen Partnerschaften von Schwulen und Lesben wird durch die zahllosen gesetzlichen Unterschiede als "überflüssige Diskriminierung" bezeichnet. [Es] wäre [...] Aufgabe des österreichischen Gesetzgebers gewesen, ein neues Gesetz jedenfalls so [zu] beschließen, dass von vornherein keine Verurteilung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erwarten ist.

Die Liga für Menschenrechte kritisiert im Menschenrechtsbefund vieles, was der ÖVP lange teuer und heilig war. Vielleicht hilft es ja, dass sich Heinrich Neisser, der elder statesman der Volkspartei jetzt für Menschenrechte und Gleichbehandlung einsetzt?

Den Regierungsparteien der letzten Jahre würde so ein Menschenrechts-Checker allen gut zu Gesicht stehen.

Weil: Vielleicht sollte ja irgendjemand einmal versuchen, auch via Menschenrechts-Gutfindung an Stimmen zu kommen. Weil irgendwie will ich mir einfach nicht vorstellen, dass nur der komplette Abbau von Zivilisationserrungenschaften Kreuzerl bringt.