Erstellt am: 26. 11. 2009 - 15:00 Uhr
Er beißt mich, er beißt mich nicht
Vampire, Vampire, Vampire. Ich muss lachen, wenn ich daran denke, dass ich einem Frauenmagazin genau vor einem Jahr einen Artikel über den Blutsauger-Hype in Kino, TV und Literatur verkaufen wollte. Und dass dieser Vorschlag dankend abgelehnt wurde, weil das Thema nicht geeignet für die Leserschaft sei.
Zwölf Monate später sind Vampire kein Minderheitenprogramm für Geekgirls mit Gothic-Affinitäten mehr. Sondern ein globales Phänomen. Etliche Millionen stürmten in den USA bereits am Startwochenende "New Moon", den zweiten Teil der "Twilight"-Saga, die meisten davon blutjunge Frauen, viele mit ihren ebenso begeisterten Müttern. Diese Woche werden wohl hunderttausende Österreicherinnen folgen.
Natürlich begeistern sich auch Männer für diese und andere Blutsauger-Epen. Aber "Blade" hin oder her, seit den einflussreichen Büchern von Anne Rice befindet sich der Vampir-Mythos primär in weiblicher Hand, sowohl auf der Konsumentinnen- als auch der Gestalterinnen-Seite.
Autorinnen wie die "Twilight"-Schöpferin Stephenie Meyer oder Charlaine Harris mit ihrem "Sookie Stackhouse"-Zyklus prägen, auch über den Umweg erfolgreicher Verfilmungen, das (pop-)kulturelle Bewusstsein. Bei aller extremen Unterschiedlichkeit ihrer Visionen ist Nosferatu in den Schmökern dieser Damen kein abgemagertes mörderisches Gespenst mehr.
Der Vampir besticht stattdessen durch Muskeln und Manieren, gibt sich bei Meyer als hübscher Emo-Wuschelkopf mit Keuschheitsgelübde und bei Harris als reifer Südstaaten-Gentleman mit unerschöpflicher Potenz. Leidenschaftlich und smart zugleich sind sie alle, diese neuen Geschöpfe der Nacht. Und, wie eine amerikanische Autorin schreibt, sie würden ihren Freundinnen jederzeit einen Mix mit tollen Songs aufnehmen. Da könnte man bei Graf Dracula wohl lange warten.
Constantin Film
Der seit längerer Zeit grassierende Vampirismus-Hype bedient ausnahmsweise einmal nicht männliche Projektionen, von denen die Popkultur übervoll ist, sondern weibliche Wunschbilder. Feministinnen werden wohl zur Knoblauchkette greifen, denn die Heldinnen der Romane und dazugehörigen Filme und Serien suchen vor allem eine starke männliche Schulter zum Anlehnen.
Höfliche Blutsauger wie Edward "Twilight" Cullen und Bill "True Blood" Compton deswegen in den Bereich des Reaktionären abzutun, sie als eine gruselig angehauchte Variante von Rosemund-Pilcher-Traumprinzen zu belächeln, ist aber auch zu einfach.
Denn selbst wenn es einem Robert Pattinson diesbezüglich sehr schwer macht, geht es um mehr als spitzzähnige Pantoffelhelden. Außer dem Kuschelfaktor schwingt noch immer der Kitzel der Gefahr, des Riskanten, des Mysteriösen mit.
Das Vampirthema steht in einer Zeit, in der durchgeplante, ausdiskutierte, von der Vernunft diktierte Beziehungen regieren, für irrationale Gefühlsexplosionen, für geheimnisvolle Abgründe, für obsessive Küsse in Fleisch und Blut statt Facebook-Geständnissen.
Constantin Film
In "New Moon" wird das "Er beißt mich, er beißt mich nicht"-Spiel nun fortgesetzt, die Hormone laufen weiterhin Amok. Es reicht nicht, dass die fragile Bella ihren 18. Geburtstag verdauen muss, von wegen schwerwiegender Alterskrise und so. Dann verabschiedet sich auch noch ihr untoter Herzensbub Edward aus ihrem Leben.
Es sei auf Dauer zu gefährlich, mit einem Vampir zusammenzusein, eröffnet ihr der blasse Jüngling. Ein vorsichtiges Abschiedsbusserl später fällt Bella in ein bodenloses schwarzes Loch.
Nur einer kann das Highschoolgirl scheinbar aus der Dauerdepression herausreißen. Der muskelbepackte Native-American-Bub Jacob kümmert sich aufopfernd um Bella. Aber ist er mehr als nur ein kumpelhafter Freund? Oder hat Jacob auch ein dunkles Geheimnis? Und wo steckt eigentlich Edward? Essentielle Fragen, die in Mädchenzimmern rund um den Planeten gewälzt werden.
Nichts ist leichter, als über die "Twilight"-Saga herzufallen. Dank Regisseurin Catherine Hardwick gelang dem ersten Teil allerdings etwas Bemerkenswertes. Neben dem vielen Wald- und Wiesen-Händchenhalten steckte in dem Film auch eine menschliche Aufrichtigkeit, ein ehrliches Verständnis für pubertierende Sehnsucht.
Und Kristen Stewart, die in Indiearbeiten wie "Into The Wild" oder "Adventureland" ihr wahres Talent zeigt, legt ihre Bella-Figur als in der Realität geerdete Antithese zu all den Lindsay-Lohan- und Miley-Cyrus-Androiden an.
Constantin Film
Aber was hilft die ganze Sympathie für die hemmungslos schwülstige Teenieschmonzette, wenn das Sequel nun leider enttäuschend geraten ist? Regisseur Chris Weitz ("American Pie") verpasst "New Moon" das volle Hollywood-Treatment. Mehr Süßlichkeit, mehr Computereffekte, vor allem auch mehr Waschbrettbäuche.
Nahezu fetischistisch wird die kreischende Zielgruppe mit männlichen Pin-Up-Motiven aus dem Calvin-Klein-Katalog bedient. Taylor Lautner alias Jacob darf sich als wildwüchsiger Ureinwohner überhaupt gleich das T-Shirt sparen.
Der Kontrast zwischen solchen fleischlichen Fantasien und dem andauernden Mormonen-Gerede von Unschuld und Enthaltsamkeit funktionierte in Teil eins noch wie ein schön kitschiger The Killers-Song, ohne in Boyband-Bereiche abzurutschen. "New Moon" hat nun etwas von Teenporn ohne Porn. Und ohne Humor, Spannung oder gar Blut.
Auch als ergebener Angehöriger des Team Kristen rutschte ich oft unruhig auf dem Kinosessel herum, gänzlich Uneingeweihte werden diese zähflüssigen Romanze wohl als Geduldsprobe empfinden.
HBO
Ganz und gar nicht fadisiert hat mich die zweite "True Blood"-Staffel. Alan Ball, Erfinder des Serien-Geniestreichs "Six Feet Under", steigert sämtliche Aspekte, die von Anfang an zu der Vampir-Serie gehören, in den (blut-)roten Bereich.
Das heißt also: Die Geschichte rund um ein kleines Südstaatenkaff, in dem die Untoten mit den Lebenden friedlich zu koexistieren versuchen, bietet noch mehr Minderheiten-Metaphern. Mehr offensive Kritik am religiös fanatischen Amerika. Mehr Splatter, mehr politische und philosophische Anspielungen.
Das dionysische Prinzip wird in der zweiten Season etwa auf eine derartig bildliche und explizite Weise vorgeführt, von einer antiken Gottheit herself, wie ich es mir in meinem Theaterwissenschaftsstudium erträumt hätte. Und auch der Kater nach der Orgie bleibt nicht ausgespart. Überhaupt werden der Exzess und die Ernüchterung populistisch und dennoch intelligent diskutiert.
Noch faszinierender gerät dieser exzentrische Mikrokosmos, in dem es vor Rednecks, schwulen Kellnern, Leder- und Latex-Blutsaugern und rechtsradikalen Predigern wimmelt, wenn man die Einschaltquoten bedenkt. "True Blood" begeistert nicht bloß eine versponnene Fanschar, der Serie verdankt HBO mittlerweile die höchsten Quoten.
Fragt man die "True Blood"-Macher, die auf ein erwachsenes Publikum abzielen, nach dem Grund für den nicht endenden Vampirhype, ist die Antwort einfach. Fast immer geht es um Sex in allen Varianten, ob offensiv und riskant ausgelebt oder bewusst bis zur Raserei unterdrückt. Nur der gemütliche Beischlaf nebenbei findet im Reich der Vampire nicht statt.
HBO