Erstellt am: 12. 11. 2009 - 17:11 Uhr
"Man hat eine intakte Familie kaputt gemacht"
- Negativer Asylbescheid für die Familie Zogaj (Rainer Springenschmid)
- "Arigona Zogaj (...) geht in eine weiterbildende Schule in Linz. Der Antrag auf Schülervisa für ihre beiden jüngeren Geschwister wird im Herbst 2008 abgewiesen. Ihre Mutter ist psychisch krank, schwer depressiv, der Vater im Kosovo untergetaucht. Und doch ist dieses kleine, aber hübsche Mädchen Projektionsfläche für ein ganzes Land, für Politiker, die um nichts schlechter sind als die Menschen, die sie ermöglichen, für Leute, die Sprüche wie »Lieber Gott, schütze mich und meine Brut, zünd's Haus vom Nachbarn an, dann geht's uns gut« leben."

APA/HARALD SCHNEIDEr
Franzobel hat den Fall Zogaj von Beginn an verfolgt und sich intensiv für ein Bleiberecht der aus dem Kosovo stammenden Familie eingesetzt. Dieses Jahr hat er die Geschichte der Zogajs für das Festival Linz09 in dem Theaterstück "A Hetz oder Die letzten Tage der Menschlichkeit" verarbeitet. Zusammen mit einem sehr persönlichen Essay zum Thema Migration und Asyl ist dieses kürzlich als Buch erschienen. "Österreich ist schön. Ein Märchen" so der Titel.
Mirjam Unger: Herzlich Willkommen, Franzobel. Du hast dich mit Arigona, ihrer Familie, ihrem Umfeld intensiv auseinandergesetzt. Was ist dir heute durch den Kopf gegangen, als du erfahren hast, dass ihr, ihrer Mutter und den jüngeren Geschwistern nun tatsächlich die Abschiebung droht?
Franzobel: Ich hab das heute in der Früh durch eine SMS von FM4 bezeichnenderweise erfahren, ich war etwas irritiert und schockiert. Ich hab gestern eine Reise mit dem Baron, bei dem Arigona und ihre Familie lebt, nach Slowenien gemacht. Er hat mir auch gesagt, das ist ein unhaltbarer Zustand, die Politik verabsäumt hier, eine Lösung zu finden - vor allem eine menschliche Lösung zu finden. Das war leider alles zu erwarten, es hat sich natürlich abgezeichnet, dass die Politik einerseits diese Familie aushungern will und andererseits nicht bereit ist, irgendeinen kleinen Kompromiss einzugehen und ich finde, das ist ein ziemliches Armutszeugnis für ganz Österreich. Man darf nicht vergessen, es geht ja hier nicht um eine Verbrecherbande oder um ein "Gesindel", wie sie oft dargestellt werden, sondern es ist eine psychisch kranke Mutter mit drei minderjährigen Kindern; Arigona ist hier aufgewachsen, ist völlig unverschuldet in diese Situation reingeraten. Sie ist hier sozialisiert, hat ihr ganzes Umfeld, kann Deutsch, Serbokroatisch kann sie überhaupt nur mehr rudimentär, weil sie einfach seit acht Jahren in Österreich lebt. Ich denke auch, frühere Politiker hätten mehr menschliche Größe bewiesen, wenn ich da an einen Bruno Kreisky denke, der selber Asylant war, der selber Flüchtling war, der hätte sicher irgendwann gesagt, "jetzt muss eine Ruh sein". Diese paar Leute, um die es da geht, das sind ja nicht so wahnsinnig viele, das sind 3.000 insgesamt, die länger als fünf Jahre auf einen Asylbewerbungsbescheid warten. 3.000 Menschen, das ist keine so große Menge. Und wenn man jetzt einmal speziell die Kinder hernimmt, die ja wirklich völlig unverschuldet in eine für sie unerträgliche Situation hineingeraten, dann sind das gleich noch weniger Menschen, um die es da geht.
Was erwartet die Familie Zogaj nach der Abschiebung?
Was ich weiß, gibt es die beiden größeren Brüder im Kosovo, es gibt dort keine Möglichkeit irgendeine Arbeit zu finden. Es dürfte auch nicht möglich sein, die Medikamente zu bekommen, die die psychisch kranke Mutter braucht. Da gab es schon unzählige Selbstmordversuche, das sind ja keine leeren Drohungen und wenn ein junger Mensch wie die Arigona - die war jetzt vor kurzem erst drei, vier Wochen auf der neurologischen Abteilung in einem Spital, weil sie einfach diesen psychischen Druck nicht mehr ausgehalten hat. Das wär für sie im Kosovo eine sehr, sehr schwierige Situation, es fehlt das soziale Umfeld, andererseits fehlt die Aussicht auf Schulbildung, Beruf - es ist eine sehr triste Situation, denke ich. Aus menschlicher Sicht ist das sehr zu bedauern, wenn die Abschiebung stattfinden sollte.
Du hast jetzt viel mit persönlichem und auch künstlerischem Engagement getan, für die Familie, aber auch zum Thema selbst; kommt da nicht auch bei dir irgendwann ein Gefühl von Hilflosigkeit auf?
Ja, natürlich. Wir leben in einer sehr doppelmoraligen Gesellschaft, einerseits beuten wir die Dritte Welt aus, wir akzeptieren, dass der Regenwald gerodet wird, damit dort Soja angepflanzt werden kann, damit wir unsere Hendln vielleicht um drei Euro kaufen können. Wir akzeptieren, dass ganze Landstriche verwüstet werden, wir akzeptieren Kinderarbeit, Bürgerkriege, einfach damit wir hier im Wohlstand leben, und andererseits finden wir keinen Umgang mit Leuten, die zu uns hereingespült werden, wobei eh alle Grenzen schon dicht sind. Dass hier Österreich nicht die menschliche Größe hat, das ist schon sehr traurig, das muss man sagen. Es gibt da auch kaum eine Möglichkeit zu helfen. Die einzige Möglichkeit für Arigona hierzubleiben, wäre, wenn sie sich offiziell als Prostituierte anmeldet, weil das ist wiederum möglich. Prostituierte werden geduldet, es ist auch kein Problem für Österreich irgendwelche Sportler einzubürgern, es wird Pflegepersonal geduldet, das geht ja dann hinauf, wie wir gehört haben, ich weiß nicht, ob es stimmt, bis in Politikerkreise. Es haben die meisten Leute, die auch keine unglaublichen Spitzenverdiener sind, keine Probleme damit, illegale Putzkräfte zu beschäftigen, aber wenn es eben darum geht, diese paar Leute aufzunehmen und ein Mindestmaß an Gastfreundschaft zu beweisen, da machen dann alle die Scheuklappen dicht. Da ist man derart vom neuen Staatsblatt, der "Kronen Zeitung", von der Fremdenfeindlichkeit, von den rechten Parteien beeinflusst, dass man hier überhaupt keine Toleranz mehr übt. Ich hab ja vorgehabt, mit Arigona auf den Opernball zu gehen, bzw. zum Rennen nach Kitzbühel zu fahren, um dort dann neben dem damaligen Innenminister und dem jetzigen Landeshauptmann von Tirol, Platter, gemeinsam mit Arigona zu sitzen. Das hätte mir als Zeichen eigentlich ganz gut gefallen. Jetzt gibt es die Möglichkeit, sie als Prostituierte anzumelden, dann hat sie die Möglichkeit dazubleiben. Das ist das einzige, was mit spontan einfällt, um auch zu zeigen, wie pervers, absurd und doppelmoralig die österreichische Gesetzgebung ist. Man darf nicht vergessen, es gab ja erst vor wenigen Wochen eine neue Asylwerbergesetzgebung, die es Arigona bereits verhindert hätte, in Linz weiterhin in die Schule zu gehen, eben weil sie den Asylantrag in Vöcklabruck abgegeben hat; sie geht aber jetzt seit eineinhalb Jahren in die HTL Linz und jeder, der weiß, wie schwierig so eine HTL ist, kann ermessen, wie gut sie integriert ist, weil sie ohne größere Probleme die erste Klasse geschafft hat. Wie man als Künstler drauf reagiert, da ist immer schwierig. Ich hab sicher vor, an diesem Fall dranzubleiben, weil in ihm sehr viel kulminiert. Arigona hat ja diese Öffentlichkeit bekommen, sie ist für mich wirklich so eine heilige Jungfrau von Frankenburg und es lässt sich am Umgang mit diesem Fall einfach ein Spiegel des Österreicher-Seins ableiten - leider. Man braucht ja nur die Postings in den Medien lesen, das trieft vor Hass, da hat man ja das Gefühl, man lebt in einem ganz faschistischen Land und parallel dazu gibt es natürlich auch viele Leute, die dem Pfarrer Friedl Geld geben, damit irgendwie der Familie ein bisschen geholfen wird. Es geht wirklich ein Spalt durch die Gesellschaft wegen einem 17-jährigen, unbescholtenen Mädchen.
Sie ist also Symbol einerseits für die Härte des Landes, die Ausgrenzung, aber eigentlich auch für den Wunsch nach mehr Menschlichkeit von einem großen Teil der Gesellschaft.
Ja, würd ich schon so sagen. Sie ist - unfreiwillig natürlich - zu diesem Symbol geworden, es gibt einige ähnlich geartete Fälle, denen geht es nicht besser oder schlechter, die haben sich nur diese Öffentlichkeit erspart, wobei jetzt Arigona ja auch nicht mehr so unbedingt auf der Straße erkannt wird, sie ist in der Schule gut integriert, sie hat da relativ viele Freunde, auch die Lehrer gehen damit sehr behutsam um... Die Familie ist zerissen, der Vater ist weg, der ist zurück in den Kosovo, die beiden älteren Brüder sind weg, ihre Mutter erträgt das überhaupt nicht, ist psychisch krank, also man hat eine intakte Familie tatsächlich kaputt gemacht und dass eine christliche Partei doch zum Großteil dafür verantwortlich ist, finde ich schon sehr bedenklich.
Wie ernst sind die Selbstmorddrohungen von Arigona selbst?
Das kann man natürlich nie sagen, Psychologen sagen, mann muss eine Selbstmorddrohung immer sehr ernst nehmen. Wenn man Arigona sieht, hat man den Eindruck, sie ist eine sehr starke Person, sonst würde sie das alles ja überhaupt nicht mehr schaffen. Allen Gutachten zufolge, wo ich teilweise auch Einsicht bekommen habe, ist das sehr, sehr ernst zu nehmen, ist Arigona labil und selbstmordgefährdet. Man darf nicht vergessen, sie ist kriegstraumatisiert, hat hier ein bisschen eine neue Heimat gefunden und die wird ihr jetzt wieder entzogen. Ich würde das schon sehr ernst nehmen und ich möchte nicht in der Situation der verantwortlichen Politiker sein, weil sollte sie sich wirklich etwas antun, dann haben die Politiker diese Mädchen mit auf dem Gewissen.
Die beiden Zitate stammen aus "Österreich ist schön. Ein Märchen." von Franzobel. © Paul Zsolnay Verlag Wien 2009
- "In Österreich ist es immer gut, wenn man nicht auffällt. Nichts fürchten die Menschen mehr, als aufzufallen. Nichts ist ihnen unangenehmer als jemand, der auffällt. Österreich ist ein Land der Unauffälligen. Auch das fällt auf."