Erstellt am: 8. 11. 2009 - 12:02 Uhr
Besser als Pilates
Nein, er kommt nicht schneller, da hilft kein telepathisches Starren gegen die Fahrtrichtung. Man ist mittlerweile alt genug, möchte man meinen, um derlei Alltagsillusionen entwachsen zu sein, aber nein. Alle Hexensäfte im dritten Auge zentrierend stiert man eine Bus-Fata-Morgana ins Straßenpflaster. Wo ist die Psychologie der Weisheit, wenn man sie braucht. Wieder mal nicht mehr als eine ferne Perspektive. Der Zuckerguss der Demütigung kommt in Form eines perfiden Haltestellen-Auslassungssystems – deux Linienbusse zischen hochmütig vorbei, wacheln: sinnlos, warum, das erschließt sich für die anderen Wartenden und mich nicht, aber wir sind ergebene BesucherInnen der Stadt der Liebe, da raunzt man nicht. Es wartet sich zumindest ein Euzerl geduldiger, wenn man das Grand Palais im Rücken hat und die wogende Seine vorm Auge pritschelt.
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Es ist zudem ein guter Moment, mich im Staube zu wälzen, denn ich wurde eines Besseren belehrt. Gerade so, als hätten die global agierenden Kleidermacher meinen Hilfeschrei gehört, wurde ich letzte Woche in Paris mit Strickmode überschwemmt, dass es mir direkt peinlich war, überhaupt jemals das Hipness-Potenzial von Wollpullovern in Frage gestellt zu haben. Anders formuliert: Ohne Strick geht diesen Winter gar nix. Meinen Favoriten - ein schwarzer, grob gearbeiteter Pulli mit Fledermausärmeln und faustgroßen Löchern im Brust- und Rückenteil - gab es selbstredend in meiner Größe nicht mehr, aber man ist ja flexibel. Habe genug Schuldscheine unterschrieben, keine Sorge.
Kurzfristig Sorgen habe ich mir nur gemacht, als ich eines brennenden Autos gewahr wurde. Die gelernte Gleichung lautet ja brennendes Auto=Aufstand in der Banlieue, und wer jemals an der Einfahrt zur Cité interdite gestanden ist, jenem gar nicht mal so kleinen, abgeschlossenen Teil im Herzen des bourgeoisen 16. Arrondissements, der Politikern, Wirtschaftsbossen und Showbiz-Größen als Biotop vorbehalten ist, der versteht für einen Moment, warum in der Megametropole Paris das eine oder andere Fortbewegungsmittel aus chancenloser, ohnmächtiger Wut heraus in Brand gesteckt worden ist. Eine Abschottung in dieser Größenordnung und mit dieser Bestimmtheit (auch Google Street View kapituliert hier) kennt man in Europa wohl sonst nur aus Moskau. Die Villa Montmorency, wo z.B. Carla Bruni ihre Konzertflügel- und Gitarrensammlung staubfrei hält, ist ein höhnendes Symbol dafür, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Paris von einem Ausmaß ist, das man sich hierzulande lieber nicht vorstellt. Gut, man könnte damit argumentieren, dass der Lebensschutz eines Präsidenten von Weltbedeutung unter anderen Gesichtspunkten behandelt werden muss als, sagen wir, von unserem Heinzi Fischer, aber im Zweifelsfall ist mir dann ein Präsident, der seit 40 Jahren in seiner gutbürgerlichen Wohnung mitten im Achten lebt, lieber als ein Stadtteil, den man nicht mal anschauen darf von außen, ohne von einem Securitymenschen gemustert zu werden.
Dass BürgerInnennähe und Service im öffentlichen Raum in Schnitzelland noch was gilt, ha, das kann man zur Zeit exemplarisch in den Bussen der Wiener Linien beobachten. Der - Zitat - "Schwimmstar" Fabienne Nadarajah fordert dort überkopf per Plakatkampagne zur legeren Körperertüchtigung und zugleich zur Übertretung der Fahrgastrichtlinien auf: Freihändiges Stehen während der Fahrt ist "besser als Pilates"! Nabistdudeppat! Sie nennt das zwar mysteriöserweise "Tiefentraining", aber solange österreichische Busse allürenfrei an gekennzeichneten Haltestellen Fahrgäste aufnehmen, pourquoi pas.