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Pamela Rußmann

Brennend leben: Das Große im Kleinen erkennen

15. 10. 2009 - 13:48

Streberinnen unter sich

Wie ich wieder keinen Winterpullover gekauft habe.

Ich bin geradezu streberhaft antizipierend, deswegen frage ich mich nicht, woher die grauen Wolken kommen, deshalb erwischt mich selbstredend ein Temperatursturz von 28 Grad binnen sieben Tagen nicht am falschen Reifen, weil schon längst winterlich montiert. Die Heizkörper sind entlüftet und arbeiten freiwillig problemlos, und das Kinderl kann, weil Mama so vorbildlich mitdenkt, übergangslos nun morgens zwischen zwei Paar Winterstiefeln aussuchen (gefüttert und nässeabweisend) und die FlipFlops stressfrei ins Winterquartier schicken, also ins weitaus geräumigere Großelternhaus.
Nur eines habe ich wieder nicht geschafft: mir einen Pullover zu besorgen. Einen wirklich warm haltenden Pullover, der mit einem Ruck das elende Gefriere beenden würde. Kleine Zusatzaufgabe: der mir gefällt. Es ist mir zum Lebenswerk geworden, so ein Teil zu finden, weil Pullover – sorry: das unwürdigste Kleidungsstück der Welt für eine Frau über 14. Unförmig, volumenvergößernd, einfärbig, zu sofortiger Erblindung führende Muster, monströse Rollkrägen, im schlimmsten Fall noch ein Zopf eingeflochten im oberen Brustbereich, entsetzlich.

Der letzte Kaufversuch trieb mich in eine obersteirische Handelsstadt, und das muss auch mal gesagt werden: die globalisierte Kleiderkettenwelt hat zu einer Demokratisierung geführt, es gibt keinen wesentlichen Unterschied mehr zwischen, sagen wir, Mariahilferstraße und Hauptplatz, zwischen Stadtjugend und Landjugend, Auslagen wie Menschheit davor, schauen alle gleich aus. Was zu meiner Schulzeit nicht so war. Da ist man zweimal jährlich zum Gewandeinkaufen mit den Eltern in die Landeshauptstadt gefahren, man musste sich auch mit dem Thema Übergangsjacke beschäftigen, auch das mittlerweile hinfällig, weil es dank der klimatischen Radikalisierung nur mehr ein Entweder/Oder gibt, Bikini versus Wintermantel.

Ich falle also ein in die Filiale eines weltumspannenden Franchise-Unternehmens, bin an diesem Freitag Nachmittag die einzige Kundin und fühle mich dementsprechend unter Beobachtung der Textilexpertin hinterm Tresen, die – und das ist auch schon der einzige Unterschied zwischen Stadt und Land – den Satz "Kann ich Ihnen behilflich sein?" routiniert abfeuert. "Danke, ich schau nur."

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Ich schau mir also tatsächlich jeden einzelnen der Pullover an, die dort an den Stangen hängen oder in den Regalen liegen. Sie schaut mir dabei zu und hält sich verhältnismäßig lange zurück. Irgendwann steht sie dann doch neben mir, die Gute, nämlich als ich einen Pulli länger in der Hand halte als die anderen, was ihr ein "Die Kabine ist da hinten" entlockt. "Danke, hab ich eh gesehen, aber ich glaub, ich will den gar nicht probieren, der schaut am Kleiderbügel eh gut aus, aber an mir sicher total öd. Ich find Pullover leider generell zu langweilig." Und was sagt sie?! Sie sagt: "Ja, ich find das auch total schwierig, ich find auch nie einen, ich trage im Winter nur Lagenlook." Yay! Ich auch! Hallo, neue beste Freundin! Es entwickelt sich ein ehrliches Gespräch, bei dem wir die Grenze Kundin-Verkäuferin überschreiten. Wir analysieren die gesamte Herbst/Winterkollektion in ihrer Bude, das hier eindeutig zu teuer, dies hier nur für Frauen mit einem Höchstgewicht von 48 Kilogramm, und ich bin bass erstaunt ob so viel untypischer Verkäuferinnenmentalität. Als sie mir dann auch noch den finalen Tipp gibt, und wir sind zu diesem Zeitpunkt schön längst per Du, "du, ich darf dir das eigentlich nicht sagen, aber im Geschäft nebenan, da haben sie mehr ausgflipptes Zeug, vielleicht taugt dir das", hätte ich ihr vor lauter Respekt und Dankbarkeit fast den faden Pulli plus überteuerte Tasche plus Röhrenjeans abgekauft. So ein Talent muss gefördert werden.