Erstellt am: 3. 11. 2009 - 11:42 Uhr
Die Mühen der Ebenen
Simon Welebil
Die Besetzung der Sowi-Aula wird von vielen als willkommene Aktion, von einer Professorin gar mit dem Ausruf "Endlich!" begrüßt. Schnell ist die Infrastruktur, wie sie von den Besetzungen in den anderen österreichischen Universitäten schon bekannt ist (Vokü, Arbeitsgruppen, Homepage, Livestream, etc.), aufgebaut, schnell formiert sich das erste Plenum. In welcher Form es ablaufen soll, muss allerdings erst ausgelotet werden.
Simon Welebil
Eines ist klar: Basisdemokratisch soll es sein. Nach der Klärung, was Basisdemokratie eigentlich bedeutet, wird sie so ausgelegt, dass im Plenum jedeR sprechen und Anträge einbringen darf. Es werden RednerInnenlisten geführt und erst wenn es keine Wortmeldungen mehr gibt, wird über die Anträge mit Handzeichen und einfacher Mehrheit abgestimmt. Bei mehr als 50% Stimmenthaltungen muss weiterdiskutiert werden.
Die RednerInnenliste wird streng eingehalten. Selbst geladenen DiskussionsteilnehmerInnen wie dem Rektor der Innsbrucker Universität Karlheinz Töchterle, dem Tiroler Landtagspräsidenten Herwig van Staa oder dem besetzungskritischen Politikwissenschaftler Gerhard Mangott wird erst nach Sonderabstimmungen vorzeitig das Wort erteilt.
"Es ist mir recht, dass Sie dasitzen!"
Hier die Aussendung des Rektorats zur Diskussion
Rektor Töchterle ist froh darüber, dass durch die Besetzungen die Themen Bildung und Hochschulen auf die politische Tagesordnung in Österreich gesetzt worden sind. Zu einigen Diskussionspunkten gibt es von ihm sehr konkrete Lösungsvorschläge, etwa zu den missglückten Bachelor-Studiengängen: "Das Bakkalaureats-Studium muss wieder ein Studium werden, das seinen Namen verdient! Es muss gedehnt und entschult werden! Man muss Freiräume schaffen und Möglichkeiten zur Orientierung geben! (...) Mein Lösungsansatz: Dekonstruktion der Bachelor-Studien!"
Überhaupt schwebt ihm ein "Studium liberale" vor, das ohne Module oder ECTS-Punke funktioniert.
Obwohl Töchterle nicht in allen Punkten mit den Anliegen der Studierenden übereinstimmt - Studiengebühren kann er sich unter bestimmten Umständen durchaus vorstellen - unterstützt er die Besetzung: "Sie befinden sich hier in einem öffentlich-finanziertem Raum und das dürfen Sie. (...) Was Sie hier tun ist Universität im besten Sinne und dazu gratuliere ich Ihnen."
Demokratie braucht Sitzfleisch
Mittlerweise sind die Grundsätze überarbeitet worden und können nur mehr per Konsens festgelegt oder aufgehoben werden.
Das Gespräch mit dem Rektor dauert drei Stunden, ohne langweilig zu werden. Andere Diskussionen sind mühsamer. Die Heterogenität der BesetzerInnen spiegelt sich in der Verhandlung der Grundsätze wider: Antisexismus, Antirassismus und Antihomophobie werden einstimmig angenommen, der Punkt Antifaschismus allerdings sehr kontrovers und langdiskutiert.
Die Forderungen der Wiener Audimax-BesetzerInnen werden als Grundlage genommen. In einigen Punkten werden allerdings Änderungswünsche angebracht. Vorläufige Forderungen der SoWi-BesetzerInnen gibts hier
Simon Welebil
Die Debatten erscheinen manchmal zäh. Im Plenum, das durchschnittlich 150 Personen besuchen, ist über einige Wortmeldungen Unmut zu spüren. Viel Energie verpufft. Andere Organisationformen stehen allerdings außer Diskussion. Ein Ausspruch Winston Churchills ist konsensfähig.
Many forms of Government have been tried and will be tried in this world of sin and woe. No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.
Das Vorgehen der BesetzerInnen wird durch die Abstimmungen demokratisch legitimiert. Die Entscheidungen des Plenums sind bindend. Obwohl keine Sanktionen vorgesehen sind, werden die Beschlüsse von allen eingehalten, selbst das Rauchverbot. Leuten, die gegen Beschlüsse verstoßen, droht gesellschaftliche Ächtung. Ein Student, der anmerkt, er werde trotz des beschlossenen Rauchverbots drinnen rauchen, wird vom Plenum gnadenlos ausgebuht. Fünf Minuten später steht er mit seiner Zigarette im Hof.
Von der Abstimmung mit einfacher Mehrheit gibt es Ausnahmen: Die Grundsätze und der Beschluss zur Auflösung der Besetzung müssen im Konsens erfolgen. Damit will man einer "feindlichen Übernahme" zuvorkommen. Schon am Dienstag wollen Studierende eines Wirtschaftskurses den besetzten Hörsaal stürmen.