Erstellt am: 29. 10. 2009 - 20:37 Uhr
Vlog #7: Der zärtliche Gigant
Ich bin glücklich. Gestern Abend feiert Peter Kerns neuer Film Blutsfreundschaft seine Weltpremiere im ehrenwerten, ausverkauften Gartenbaukino. Ich bin traurig. Wie immer wird dieser Regisseur gering geschätzt und verlacht. Von einem Publikum, das keine Verbindung herstellen kann zu dieser so brachial wie zärtlich inszenierten Geschichte von der Freundschaft zwischen einem alten Homosexuellen und einem Jungen, der mit dem rechten Rand flirtet. Ich bin ratlos und versuche in den Stunden nach der Vorführung einen Grund für die verhaltene Reaktion auf diesen bedingungslosen Film zu finden.
Klaus Vyhnalek
Vielleicht träume ich in der Nacht darauf deshalb vom Ende der Welt. Ich blicke aus dem Fenster, auf eine schwarze Wolkenfront, die sich urplötzlich am Wiener Himmel formiert, ganz so als wollte jemand jeden einzelnen Lichtstrahl auf diese verdammte Stadt unterbinden. Wirbelstürme, zwei, drei, nein vier, toben innerhalb meines Blickfelds über die Häuser hinweg, Trümmer segeln, fliegen an mir vorbei. Als alles vorbei ist, wage ich, der Überlebende, nach Draußen zu treten. Ich wache auf, der Alkohol der letzten Nacht läuft mir als scharfer Magensaft die Gurgel runter. Ich wanke ins Wohnzimmer, lege mich zu meinen Katzen, werfe Tabletten ein und saufe Käsepappeltee. Wohlig. Da weiß ich, dass Peter Kerns Kino immer schon die Wirklichkeit und Anmutung eines Traums hatte. Der Alltag und all das was zwischen Gratis-Zeitung und Fiaker-Gulasch sich so ansammelt an österreichischen Befindlichkeiten, gefiltert durch das Hirn eines der gewaltigsten heimischen Poeten.
www.peterkern.net
Ein proletarischer Künstler
Herr Kern ist ein Hackler-Bohemien, ein proletarischer Künstler. Er lebt in der Großfeldsiedlung, dort also, wo alle sind, die gebildete Privilegierte nur als Unterschicht-Familien aus Fernsehsendungen kennen. Alle sind gleich. Wir sind uns gleicher. Peter Kern war zeitlebens ein Randständiger, ist es immer noch: sein Kino zeigt das klar und schön. Dick, schwul und wortgewaltig: eine Stimme der Unvernunft, ein Dichter des Untergangs und der Liebe, der vom hiesigen Fördersystem gerne für immer vergessen werden würde. Ich höre sie schon wieder, die Stimmen, die plärren, dass „der Kern“ sich das nicht zuletzt selbst zuzuschreiben hat. Weil er immer wieder das Maul aufreißt, diejenigen beleidigt, die ihm Geld verschaffen könnten, diejenigen angreift, die es eigentlich gut mit ihm meinen. Und wer nicht mit den Regeln spielt, wird abgebaut, ja nicht eingebaut in die kulturelle Landschaft. Bei der Viennale-Eröffnung 2007 will Peter Kern mit dem Star-Gast Jane Fonda sprechen, ihr eine Rolle anbieten in jener „Blutsfreundschaft“, die jetzt Premiere auf unserem größten Filmfestival gefeiert hat. Er hat noch nicht mal sein Angebot unterbreitet, da wird der Unförmige vom hoch gewachsenen Mailath-Pokorny und den anderen Auserwählten, die sich mit Fonda die Kartoffel-Pampe vom Buffet einverleiben, des Tischs verwiesen.
Klaus Vyhlanek
„Blutsfreundschaft“ ist ein lange gediehenes Projekt von Peter Kern, der dauernd schreibt, dichtet, filmt, schneidet, redet, lebt und denkt. Der Professor Unrast aus der Großfeldsiedlung. Viele Stadien liegen hinter dem Stoff: Förderzusagen, Förderabsagen, Zensuren, zu viel Arsch, zu viel Frechheit, zu wenig Substanz. Zu schwul. Letzteres hat man natürlich nie gesagt, aber Mitgrund ist es immer gewesen. Gestern, vor dem Film, drehe ich mich um und lasse meinen Blick durch den Saal schweifen. Viele junge Menschen sind da, auch einige ältere: ich frage mich, wer von ihnen weiß, was dieser Mann, der vor dem Podium seine launige, liebliche Eröffnungsansprache hält, alles erlebt hat, welcher große Geist in diesem großem Körper wohnt.
Nach dem Film bin ich schlauer – und trauriger. Ich muss auf diversen Social Networking-Plattformen hingerotzte, hämische Kommentare lesen. Die Autoren kritisieren die Schauspieler, den Schnitt, die Ausstattung, die dilettantische Anmutung des ganzen Films. Sie ärgern sich über die klischeebesetzten Figuren, über die Glatzerten und alten Schwulen. Sie machen sich lächerlich. Ich will nicht glauben, dass das von jungen Leuten kommt, von einer offensichtlich kulturinteressierten Generation, die sich lieber in den ästhetischen Leerlauf so vieler anderer hiesiger Filme einpasst, als dass sie die eventuellen bis manifesten Schwächen dieses großen Films übersehen kann und stattdessen jubiliert über dessen geile und laute Unangepasstheit.
www.schlingensief.com
Kino der Verletzten
Kern ist kein Intellektueller: seine Stimme ist die eines einfachen Leidenden. Sein Kino der Verletzten hat Ähnlichkeit mit dem von Christoph Schlingensief. Er sucht in Schauspielern nicht den perfekten Darsteller, er such Blicke, Gesten, ein Funkeln in den Augen. Oder auch Unbeholfenheit, Verletzlichkeit. Helmut Berger gerät ihm zu einem der größten Coups seiner Karriere: wie der gestürzte, stolze Welt-Star wie ein Hauch aus der Vergangenheit, ein Gespenst auf der Leinwand vergeht, das ist unglaublich bewegend. Melanie Kretschmann hingegen impft der irritierenden Figur der Christina Türmer, die sich im Verlauf der Handlung in Marokko von der gefühlten zur biologischen Frau operieren lässt und als Christina Stürmer (!) wie Grace Kelly aus dem Flugzeug steigt, eine Lautheit und Schrille ein, die manchmal schwer erträglich ist. Harry Lampl, der den Axel spielt, in den sich Helmut Berger als Wäschereibesitzer Gustav Tritzinsky verliebt, bringt eine unverbrauchte Echtheit und Verletzlichkeit in seine Rolle.
Peter Kern
Ganzheitlichkeit gibt es nicht im Kino von Peter Kern, alle seine Schauspieler sind wie seine Figuren brüchig. Leider ist das Publikum da, jedenfalls teilweise, anderer Meinung. Vom kontinuierlichen Arthaus- und Mainstream-Output auf oberflächliche Perfektion hin getrimmt, fällt ihnen wie Spürhunden jeder Fehler sofort auf. Die spießigen Reaktionen haben etwas von jenem hämischen Gelächter, mit dem B-Filme zuweilen bedacht werden bei ihren Wiederaufführungen. Hihi: da hängt ein Mikrofon ins Bild. Haha: der spielt so schlecht. Bruhaha. So weit ist es also schon gekommen.
Ich frage mich, ob die Reaktionen auf die „Blutsfreundschaft“ auch dann so feindselig gewesen wären, wenn die gesamte Zuschauerschaft mit Peter Kerns Werk vertraut wäre. Jeder Wiener und jede Wienerin hatte dazu ausreichend Gelegenheit: es ist erst ein paar Jahre her, dass das Filmarchiv Austria im Metro Kino das Gesamtwerk dieses vielleicht wichtigsten österreichischen Regisseurs gezeigt hat. Vor teilweise weniger als fünf Zuschauern. Und einer davon war der Regisseur selbst, der mit seinem Krückstock am Eingang gesessen ist und jeden, der den Saal vor Filmende verlassen hat, um eine Erklärung gebeten hat.
Novotny & Novotny Film
Kern ist ein Kämpfer: ihm fallen nicht wie den Ruzowitzkys und Dornhelms und Murnbergers die Förderungen vor die Füße. Er muss agitieren und polemisieren, Aufmerksamkeit erzeugen. Irgendwie. Er muss schreien. Freilich: Kern, der in Siebziger Jahren unter Fassbinder und Syberberg gespielt hat, der 1980 seinen ersten Film als Regisseur inszeniert hat, hätte immer auch zum Fernsehen gehen können. Er hätte sich anpassen und seine Leidenschaften, seine Abhängigkeiten, seine Fetische und Schmerzen verstecken können. Zum Glück hat er sich nicht dafür entschieden.
Skandal
- Christoph Weiss über die Werbekampagne zum Film
Alles wird immer so ernst genommen, in diesem Land. Kaum einer lacht über Kerns witzige Dialoge, über seinen unverschämten Humor. Es hat auch keiner gelacht, als am vorvergangenen Sonntag eine Werbung für den Film in großen Tageszeitungen wie "Die Presse" geschalten worden ist. Virales Marketing: irgendwie muss man ja gehört werden. Helmut Berger ist zu sehen, darüber der Slogan "Soziale Wärme statt Woarme". Könnte von der FPÖ sein. Würde es irgendjemanden überraschen? Genau darum geht es in seinem Film: um die Altlasten der Vergangenheit, die Dummheit des Alters, die Krankheit der Jugend, letztendlich um unsere Gegenwart. Die Gewista hat die Plakatierung des Sujets am Wiener Ring abgelehnt: die Fratze von Strache muss ich aber tagtäglich aushalten. Ist Kunst gefährlicher als Politik? Endlich tut sich was: Leute protestieren und schreiben an gegen die Kampagne, Schwule und Lesben lernen wieder zu kämpfen für ihr Recht, brechen aus aus der österreichischen Gemütlichkeit. Und jetzt tanzen Studenten schon Mambo gegen den Bildungsabbau. Ist diese Bewegung echt?
Goldfish
Das österreichische Kino wäre nichts ohne Peter Kern. Wer erzählt sonst schon von Strichern und Huren, von Strippern, Tunten und philippinischen Regisseuren (Kern hat einen Film zum großen Ishmael Bernal gemacht; war mit ihm und Lino Brocka gut befreundet), wettert aus dem Bauch und Herz heraus gegen die Rechten, Parteien, Politiker und ihre Schergen? Nicht ein junger österreichischer Regisseur (Kern ist 60!) würde mir einfallen, der sich mit derart viel Feuer und unverkrampfter Geilheit gegen den Sud stellt, durch den wir alle tagtäglich waten müssen. Herr Kern will geliebt werden und wird für sein Kino immer wieder verlacht. Weil es Arte Povera ist, und all die Menschen, die sich ein Leben, wie es Peter führt, nicht einmal vorstellen könnten, aus ihren Altbauwohnungen ins Kino fahren und sich dann über Schnittfehler und schlechte Schauspieler ärgern. Sie sausen am Leben und damit auch am Film vorbei.
Klaus Vyhnalek