Erstellt am: 26. 10. 2009 - 12:13 Uhr
Vlog #4: Ist das Kino tot?
Die Viennale auf FM4
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Viennale
Nein, das Kino ist nicht tot, es lebt, muss ich fast sagen, nachdem ich in zwei Stunden in meinen fünften Viennale-Tag einbiegen werde. Wenn eine Vorstellung von Jennifer Reeves großartigem Erlebnis-Film (ich könnte auch Avantgarde sagen) When it was blue, präsentiert als Doppel-Projektion im wunderschönen Metrokino ausverkauft ist, dann kann doch das Kino abseits von Multiplex-Massagen nicht hinüber sein, oder? Das zu behaupten, wäre bloße Provokation. Aber wie lebt das Kino? Die Viennale erscheint mir dieser Tage wie Frankensteins Monster. Als das, zusammengenäht aus Leichenteilen, im Turmlaboratorium von Dr. Victor Frankenstein erwacht, schreit der verrückte Wissenschaftler auch „It’s alive!“ Und tatsächlich: es bewegt sich und geht, fast könnte man meinen es fühlt. Dennoch ist es nur die schlechte Coverversion eines echten Menschen.
Schöne, alte Welt
Wo ist die Kinoleidenschaft, wenn gerade nicht Viennale ist, wenn gerade nicht die angesehen Medien des Landes jedem Rezipienten einen Besuch des Festivals anraten? Eine gute Freundin stellt gestern treffsicher fest, als wir vor dem Filmmuseum auf den Beginn der Vorstellung warten, dass die hervorragend programmierte Retrospektive „The Unquiet American“ erst seit Beginn der Viennale wirklich gut besucht wird. Und das obwohl sie bereits mehrere Wochen vor Festivalstart begonnen hat. Warten die Kinoliebhaber also auf den Viennale-Kick und geben sich dann zwei Wochen hindurch eine Filmüberdosis? Oder ist es gar so, wie meine Freundin meint, dass Mensch vorwiegend ein Herdentier ist, und von der massiven Wirkkraft des Festivals in die Säle gezogen wird? Ganz so schwarz will ich das nicht sehen. Die Wirklichkeit ist viel eher grau.
Jetzt, wo das Kino in der Bundeshauptstadt regiert, Mailath-Pokorny und Gusenbauer mit gönnerhaftem Gestus neben Frau Swinton im Gartenbaukino hocken, könnte man meinen, die Kultur hätte etwas zu sagen in diesem Land. Die Viennale als Planschbecken für die wahren Leidenschaftler? Nein. Das Festival hat für mich immer auch etwas Verzweifeltes. Weil es als Korrektiv zur tagein, tagaus servierten Filmkost gelten will, aber letzten Endes und jedes Jahr wieder an seinem eigenen Anspruch scheitert. Denn, sind wir uns mal ehrlich, die Verteilungs-, also die Verleihsituation für aktuelle Kinoproduktionen war noch nie so desaströs wie im Moment. Die Viennale aber geht in ihrer marxistischen Grundhaltung davon aus, ich habe an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen, dass sie schon auch eine Gegenhaltung zum verliehenen, zum allzeit verfügbaren Kino beziehen muss, dass sie Raritäten und Vergessenes, Obskures und Seltenes vorführen muss. Das ist als Stehsatz sicherlich zutreffend, jedenfalls ehrbar und überhaupt angenehm altmodisch. Das Festival als Gedächtnispalast des vernachlässigten Kinos.
Weinen für das Lachen
Nur: der Ansatzpunkt der Viennale ist ein falscher. Denn wer heutzutage noch davon ausgeht, dass Filme von renommierten Autoren, mit hohen Produktionsbudgets und, Himmel hilf!, Spezialeffekten automatisch und ohne Protektion etwa durch ein Festival in die Kinos kommen, hat die Zeichen der Zeit nicht nur falsch gedeutet, sondern grundlegend missverstanden. Hiesige unabhängige Verleiher (obwohl das Wort „unabhängig“ auch nicht mehr wirklich zutreffend ist) wie Polyfilm oder der Filmladen bringen nämlich schon längst nicht mehr die Filme in die Kinos, die es verdient hätten oder von denen die kulturelle Landschaft profitieren würde.
Die Distributionspolitik balanciert sich aus zwischen Arbeiten von bekannten Arthouse-Filmemachern (aktuell etwa Lars Von Trier), europäischen Ko-Produktionen, für die nationale Verleiher eine Verleihförderung von der EU bekommen und die deshalb schneller Gewinn machen als, sagen wir, ein aktuelles Meisterwerk des japanischen Kinos, und so genannten Paketfilmen. Das heißt, dass die Verleiher die österreichischen Auswertungsrechte etwa von deutschen Verleihtiteln erwerben. Es sind Unternehmen, also ist der Primat ein ökonomischer. Das ist grundsätzlich nichts schlechtes, denn für die wirklich harte Kinokunstkost, für Filme ohne jedwedes kommerzielles Potenzial gibt es ja die Viennale. Aber dieses Modell funktioniert nicht mehr, es ist abgeschaltet, außer Kraft gesetzt.
Columbia Tristar
Am besten lässt sich die schwierige Situation vielleicht an der Verleih-Malaise der amerikanischen Komödie darstellen. Ich sitze mit offenem Mund da, als mir vor einigen Monaten eine fachkundige Kollegin erklärt, dass in Österreich so gut wie jeder Film mit Adam Sandler (ein Meister!) in die Kinos kommt, die meisten Will Ferrell-Produktionen aber direkt ins Videothekenregal wandern, weil WIR HIER eben Sandler mögen, DIE OBEN (die Deutschen) aber Ferrell bevorzugen. Ich werde die Logik dahinter nie verstehen: Adam McKays Stepbrothers etwa, der finale Teil seiner aberwitzigen Americana-Trilogie, läuft in Deutschland an, macht keine Kohle und wird dann in Österreich erst gar nicht in die Kinos gebracht. Soll heißen, WIR HIER bekommen nur mehr jene Filme zu sehen, die garantiert erfolgreich sein werden. Was in einem anderen Markt sich nicht bewährt hat, das muss der Österreicher gar nicht erst sehen. Oh Glück, oh Freude! Wer will schon mündig sein?
Das Abenteuerland ist abgebrannt
Und da, genau bei diesem Missverhältnis, da muss die Viennale ansetzen, wenn sie überhaupt noch etwas gelten will. Denn dass Herr Hurch die neuen Filme von Rivette und von Trier, philippinisches und südkoreanisches und französisches Kino serviert, das muss als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden . Aber dann? Lücken füllen! Und die beschränken sich leider schon lang nicht mehr nur auf obskures Kunstkino, sondern betreffen mehr und mehr auch größere Filme.
Viennale
Da fühle ich mich, pardon, wirklich verarscht, wenn ich in Greg Mottolas feiner Nostalgie-Komödie Adventureland sitze, in einem Film, der noch während der Viennale regulär in den österreichischen Kinos anläuft! Währenddessen gibt es so viele Produktionen, die aller Wahrscheinlichkeit nach nie zu sehen sein werden. Hier bei uns. Das Österreichische Filmmuseum bemüht sich als Institution darum, unter dem Jahr zumindest einige der offenen Wunden zu zupflastern. Dort ist Charlie Kaufmans bewegendes Regie-Debüt Synecdoche, New York in zwei Vorstellungen zu sehen gewesen, dort ist Kathryn Bigelows Action-Meisterwerk The Hurt Locker gelaufen, dort wird es im November die beiden ersten Teile von Adam McKays „Americana“-Trilogie, nämlich Anchorman: The Legend of Ron Burgundy und Talladega Nights, und damit zwei der besten amerikanischen Komödien dieses Jahrzehnts, die beide (!) nicht (!) bei der Viennale zu sehen waren, spielen.
www.slate.com
Welcome to Idiocracy!
Gestern Abend also sitze ich, bekleidet mit einem Bud Spencer-T-Shirt, immerhin weiß ich, was sich gehört, im Österreichischen Filmmuseum und kann mein Glück kaum fassen: in einem ausverkauften Saal sehe ich Mike Judges Idiocracy, ein Zentralfilm des amerikanischen 00er-Kinos, das nach seiner Fertigstellung vom Fox-Filmverleih nicht nur nicht beworben worden ist, sondern wie ein unerwünschtes Kind in ein paar Großstadtkinos verheizt und dann als DVD deponiert worden ist. Judge, immerhin der geistige Vater von „Beavis & Butthead“ ist einer der brillantesten und witzigsten Gesellschaftsbeobachter im zeitgenössischen Kino: in „Idiocracy“ erzählt er von zwei Durchschnittsmenschen, die sich für ein geheimes Armee-Experiment einfrieren lassen und 500 Jahre später in einer Zukunft aufwachen, die ausschließlich von Idioten bevölkert ist.
Fox
Die Evolution hat den Dummen den Vorzug gegeben: im Kino läuft ein Film namens „Ass“ (Warhol lässt grüßen), der zwei Stunden einen Hintern zeigt, dem ab und an ein Furz entfährt. Die Kinder feiern bei „Butt-Fuckers“ eine Geburtstagsparty mit Burgern und Fritten. Und bei Starbucks kann man sich nicht nur Kaffee, sondern auch einen Hand-Job kaufen. Das halbe Stadtareal ist besetzt von einer Mall, der Rest ähnelt einem Ghetto. „Idiocracy“ ist vielleicht der beste Film der diesjährigen Viennale, der nicht im offiziellen Programm der Viennale, sondern in der Retrospektive im Filmmuseum zu sehen ist. 2006 (!) ist er nicht in die Kinos gekommen: in dem Jahr hätte er auf der Viennale zu sehen sein müssen. Mit vielen anderen Filmen, die für ein großes Publikum gemacht sind, aber keines mehr finden dürfen.
Also, liebe Viennale, steig’ endlich runter von deinem hohen Ross, erkenne die Zeichen der Zeit und tue endlich mal wieder was für das Kino. Ansonsten blicke ich den nächsten drei Viennalen unter Hans Hurch nicht freudig, sondern ängstlich und zornig entgegen.