Erstellt am: 22. 10. 2009 - 18:40 Uhr
Fütter mich
Hermann Rauschmayr
Die Frau in der Titelgeschichte des Erzählbands "Fütter mich" wird täglich mit Biskuit, Eis, Weißbrot und Käse vollgestopft. Sie wird von ihrem Freund gemästet, weil sie Essen mit Liebe verwechselt und muss für diesen Irrtum mit ihrem Leben bezahlen. Ihre stummen Hilfeschreie hat der Falsche erhört. Den meisten Charakteren in Cornelia Travniceks Geschichten ergeht es so. In „Ouroboros“ wird ein alter, verlotterter Mann von einem jungen zu sich nach Hause zum Essen eingeladen. Dabei landet eine Tote auf dem Teller und der Gast am Ende in der Kühltruhe.
Der 22-jährigen Informatik-Studentin Cornelia Travnicek gelingt in den meisten ihrer Kurzgeschichten ein Überraschungseffekt, weil sie immer nur so viel sagt, wie notwendig ist. Weil sie weiß, wie man mit Sprache umgeht. Das merkt man auch an den Titeln, die sie für ihre Erzählungen gewählt hat. Viele davon sind in lateinischer Sprache. Nicht weil die Autorin ein Latein-Freak ist oder einen wahnsinnig guten Lehrer hatte, sondern weil sie die Sprache "poetisch ansprechend" findet. Interessant dabei ist, dass sie selbst gar kein Latein kann und sich die Wörter mühselig aus diversen Quellen zusammensuchen muss. Aber es macht Sinn: "Ouroboros" klingt tausend Mal poetischer als "Schwanzfresser". Der deutsche Titel hätte aber sicher auch Publikum gebracht.
Der unheimliche Alltag
Bei Cornelia Travnicek muss man aufpassen – aufpassen was man sagt und was man tut. Sonst könnte man zwischen zwei Buchseiten landen. Die 22-jährige hat ihr Notizbuch immer dabei: im Kaffeehaus, in der Straßenbahn, auf der Uni. Die Inspiration lauert schließlich überall. Manchmal auch beim nächtlichen Streifzug mit Freunden. "Cornelia Travnicek hat gestern eine zukünftige Romanfigur getroffen", steht auf ihrer Facebook Seite. Warum auch ein Hehl daraus machen, dass das Leben wie ein großer Selbstbedienungsladen ist? Warum verschweigen, dass die Geschichten tatsächlich auf der Straße liegen?
Skarabeus Verlag
Die junge Autorin klaubt sie gekonnt auf und weiß sie in einer bildhaften und klaren Sprache aufs Papier zu bringen. Sie erschafft Figuren, die direkt aus dem Leben zu kommen scheinen, wie die junge Frau in der Geschichte "Vulpes Vulpes". Sie steht an einem Grab und erinnert sich an die beendete Liebe. An Kleinigkeiten, die alles erschüttern können und das Unheimliche in den Alltag reinlassen. Texte wie dieser sind besonders stark, weil sie verstören und zeigen wie nah Gut und Böse oft beeinander liegen. Und wie sehr der Hunger an einem nagen kann, auch wenn der Magen nicht knurrt. Wenn es jedoch um klassische Essstörungen geht, schöpft Cornelia Travnicek ihr Erzählpotential nicht aus. Das Mädchen, das nichts essen will, das andere, das zu viel isst und alles wieder rauskotzt - die Ideen sind etwas einfältig, die Erzählungen zum Thema allgemein und fast ein bisschen langweilig.
Dennoch überzeugt "Fütter mich", Cornelia Travniceks vierte Buchveröffentlichung, insgesamt. Die Kurzgeschichten sind wuchtig und nachhaltig. Sie bleiben da, auch wenn man das Buch längst weggelegt hat. Und wenn man, wie die Autorin, im Alltag genau hinschaut, tauchen die Figuren plötzlich wieder auf. In der U-Bahn, beim Bäcker ums Eck, im eigenen Wohnzimmer. Denn schließlich haben wir alle oft und immer wieder Hunger.