Erstellt am: 25. 10. 2009 - 14:06 Uhr
Zum politischen Auftrag meiner Generation
Es ist nicht lange her, da wurden an dieser Stelle Zustand und Zukunft der Generation 20-29 diskutiert. Der von einem notorisch rührigen Martin Blumenau souverän übernommene Anstoß kam in Form einer harschen Anklage aus Deutschland, die Debatte selbst setzte sich in Folge im konventionellen Print wie der Blogosphäre auch hierzulande erfreulich fort. Einer der Kernpunkte war die Befürchtung einer politisch unmündigen, konfliktscheuen Generation. Einer Generation verängstigter, unreflektierter Ich-AGs, die ohne Vision und Auftrag an der Verödung der Welt basteln würden.
Fotohaus Scharinger
Ich teile diese Ansicht nicht. Ich sehe die - ursprünglich von Meredith Haaf formulierten - Vorwürfe als Misinterpretation gegebener Fakten und einem elitären wie anachronistischen Selbstverständnis entsprungen. Diesen Einspruch hatte ich damals bereits in einer eher gemischt rezipierten Entwarnung ausformuliert, blieb allerdings eine über die reine Abwehrhaltung gehende Vision vom gesellschaftlichen, politischen Auftrag meiner Generation ebenso schuldig. Diese werde ich in den nächsten Absätzen nachreichen.
Woher wir kommen
Ich weiß nicht, ob wir in der besten aller Welten leben, bin jedoch guter Dinge, in die beste aller bisherigen geboren worden zu sein. Die 80er und 90er waren in Österreich und - abseits der DDR-Diktatur und der Mühen der Wiedervereinigung - wohl auch in der Bundesrepublik eine gute Zeit, groß zu werden. Der Mittelstand war stark, das öffentliche Bildungswesen ausgeprägt, vergleichsweise frei zugänglich und weitestgehend kostenfrei. Das Wirtschaftswunder hattte beschaulichen Wohlstand und Mobilität gebracht. Die Verhältnisse waren stabil, Gewalt in den Familien nicht mehr die Regel, die Kriegsgeneration von den Hebeln der Republik in die Altersheime entschwunden. Zwar begann nach dem seligen Jahrzehnt der Vollbeschäftigung 1980 der stete und bis heute fortwährende Anstieg der Arbeitslosigkeit, trotzdem waren die Beschäftigungsverhältnisse unserer Eltern in der Regel sicher und vor allem: langfristig.
Wir waren die ersten Profiteure des Internets und der Europäischen Union, zweier Entwicklungen, die uns entschieden von vorangegangen Generationen abheben. Nie zuvor war es auch abseits speziell privilegierter Schichten so einfach, die Grenzen der Heimat zu überschreiten, sei es aus beruflichen Gründen oder zum Zweck der Weiterbildung. Nie zuvor waren Zugang zu Information, wie die Möglichkeit, sich mitzuteilen, zu kommunizieren, der Allgemeinheit in so vielfältiger Weise gegeben. Und vor allem: Wir, die wir in dieser Zeit aufwuchsen, wissen, mit diesen Möglichkeiten umzugehen.
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Man darf hierbei keinesfalls vergessen, dass eine zahlenmäßig nicht zu unterschätzende - und doch überraschend Stille - Minderheit unserer Generation von alldem wenig bis gar nichts erlebte. Laut dem ersten Jugendbericht der Europäischen Union mangelt es innerhalb selbiger derzeit einem Fünftel der Kinder an grundlegendsten Bildungsstandards. Man muss davon ausgehen, dass es vor 15 Jahre nicht bedeutend weniger waren, und wissen die Vertreter der so genannten "Generation Praktikum" heute mit abgeschlossenen Studien nicht wohin am Arbeitsmarkt, reicht eine begrenzte Phantasie, sich der erdrückenden Perspektivenlosigkeit eines Hauptschulabsolventen aus zerüttetem Elternhaus bewusst zu werden.
Dass wir tatsächlich ziemlich gut gebildet sind, lässt sich zum Beispiel in der bereits vorhin angesprochenen Studie nachlesen.
Und doch gilt: In der breiten Masse sind wir erstaunlich gut gebildet, aus guten Verhältnissen. Wir wissen von der Welt und von uns selbst, müssen unsere Eltern nicht aufarbeiten, keine alten Konflikte bereinigen. Wir leben im friedvollsten, demokratischsten Europa aller Zeiten. Wenn wir nicht die Werkzeuge, das Verständnis besitzen, etwas sinnvolles aus dieser Welt zu machen, ich wüßte nicht, wer sonst.
Wo wir stehen
Die zentrale Botschaft, die uns vom Kindergarten zur Matura beständig begleitete, war das ewige Mantra vom Glauben an uns selbst. Wenn wir nur brav wären, brav lernen würden, fleißig arbeiten, so wäre uns nicht nur ein gemütlicher Platz an den Trögen gewiss, nein, wir könnten erreichen, was immer wir wollten. Die Welt, so sagte man, stünde uns offen. Die schönen Plätze an der kalifornischen Sonne ebenso wie die Beschaulichkeit eines Fertigteilhauses in Wiener Neustadt.
Es gab keinen Grund, dem nicht zu vertrauen. Die Welt, wie wir sie kennenlernten, sie schien verlässlich und stabil. Von unseren Eltern erfuhren wir Liebe und Respekt. Also waren wir brav - und glaubten. Wir gingen zur Schule, und so wir konnten, maturierten wir. Es folgten Wehr-, Zivildienst, womöglich ein freiwilliges soziales Jahr und alsbald die Immatrikulation. Wir studierten nicht zwingend auf der Suche nach Reichtum, sondern vor allem, was uns interessierte. Und irgendwann blickten wir auf, und fühlten uns betrogen.
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Denn 2009 ist nicht beschaulich, nicht verlässlich, nicht stabil. Im Nacken sitzt die Krise und auf unseren Schultern lastet der Druck einer überalternden Gesellschaft. Wir haben vieles richtig gemacht, sind clever, aktiv und flexibel und doch verzieht der Arbeitsmarkt im Angesicht unseres Strebens das Gesicht, wie nach einem schlechten Whiskey. Akzeptiert im erhabenen Kreis der bezahlt Beschäftigten werden wir nicht ohne Vorbehalt. Befristet, auf Probe sollten wir es versuchen. Wer kann heute noch sicher sein, in Zeiten der Krise, in dieser Lage. Denn der Weltmarkt, und die Globalisierung, wenn sogar schon Opel, es ist halt nicht mehr so, wie früher - Sie verstehen?
Wir verstehen nicht!
Im Gegenteil. Unser lang gepflegtes, liebgewonnenes Bild einer im Grunde stabilen Welt der Verheißung zerbröselt genüsslich vor unseren wachen Augen und überlässt die zarten Träume von einem erfüllten Leben dem Zynismus der wirtschaftlichen Realität. Da ist nichts zu verstehen. Da bleibt im ersten Moment der Verstörung nur ein unbestimmtes Gefühl des allein gelassen werdens, der Angst und natürlich der Druck, zu reagieren.
Hier erklärt sich vieles, was von Meredith Haaf zwar richtig beschrieben, jedoch falsch interpretiert wurde.
Diese aus dem Affekt geborenen Reaktionen schmecken zutiefst nach Panik und Trotz. Anstatt uns zu besinnen, der veränderten Lage mit neuen Konzepten zu begegnen, versteifen wir uns auf jenes System, von dem wir eigentlich wissen, dass es nicht mehr funktioniert. Wir erhöhen unsere Wettbewerbsfähigkeit, nehmen Einschnitte in Kauf, erfreuen uns schlechter Vertragsbedingungen und sollte nach dem fünften Praktikum wieder nur Ungewissheit stehen, warten wir eben auf das sechste. Immer im verbissenen Glauben, mit genügend Engagement und Beharrlichkeit letztlich doch erreichen zu können, was uns so süß versprochen wurde.
Die Entdeckung der Solidarität
Welche Parteien sich derzeit in Österreich und Deutschland als einzige "erfolgreich" der Angst und Einsamkeit der Jugend annehmen, wissen wir übrigens eh alle.
Hierbei kann und wird es sich jedoch nicht um unserer Weisheit letzten Schluss handeln. Denn es kotzt, es widert uns an. Es widert uns an, bei einem Rundblick durch Schulklassen und Hörsäle bereits potentielle Konkurrenten vermuten zu müssen. Mitbewerber, die mit Argwohn zu betrachten und Finesse auszustechen sind. Wir haben keine Lust mehr, im blinden Vertrauen immer schneller, höher, weiter zu streben, um am Ende erfahren zu müssen, dass wir gar nie hätten ankommen können. Wir wollen und werden uns nicht im Dienste einer scheiternden Idee vom Glück immer weiter in uns selbst zurückziehen, nur um letzten Endes verbraucht und verloren in der Wüste zu stehen.
Wir werden die Solidarität entdecken. Sie wird nicht auf Plakaten stehen, nicht in Parolen skandiert und nicht auf Transparenten durch die Innenstädte getragen werden. Im Kleinen wird sie beginnen, wenn wir in Ausbildung wie Arbeit gemeinsam Projekte verwirklichen, ohne Angst, andere könnten von uns profitieren. Wenn wir nach den unvermeidlichen Fehlern im Arbeitsalltag nicht mehr - ungeachtet der Sache selbst - ausschließlich trachten, dem Stigma des Schuldigen zu entgehen. Wir werden die alte Lehre vom Erfolg durch Täuschen und Tarnen, Kaltblütigkeit und knallharte Ellenbogen ablehnen. Nicht aus Gutherzigkeit oder Gott gegebener Einsicht, sondern weil wir einfach keine Lust mehr dazu haben.
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Vielleicht werden wir - auf einer höheren Ebene - auch einsehen, dass die Kilometer und Energien im Kampf gegen Türken und Marokkaner leere, verschwendete waren. Dass der dadurch entstandene Zusammenhalt ein trügerischer war und gut organisierte Zuwanderung und Integration auch ermöglichen können, dass alle von allen profitieren. Vielleicht werden wir eine Generation von Spitzenmanagern hervorbringen, die nicht mehr daran glaubt, 142-mal wertvoller zu sein, als ihr durchschnittlicher Arbeitnehmer.
Auf jeden Fall werden wir zusammenrücken, uns solidarisieren. Nicht, weil wir die bessere Generation sind, sondern, weil wir müssen. Denn wollen wir uns nicht bis zur Auflösung selbst zerfleischen, gilt: So einsam wie heute können wir in Zukunft nicht sein.
Nachtrag zu den Uni-Protesten (25.10. um 18:01)
Der eine Grund, warum die aktuellen Proteste, Besetzungen und Demonstrationen heimischer StudentInnen in diesem Text keine Beachtung finden, ist, dass er schon vor diesen entstand. Da es sehr mühsam wäre, diese Vorgänge nun rückwirkend einzubetten, an dieser Stelle ein paar kurze Anmerkungen:
Wenn Judith Gruber weiter unten von einem "weiteren Schritt zur Überwindung der Schockstarre" schreibt, kann ich dem nur zustimmen. Es ist gelungen, eine spontane Demonstration praktisch aus dem Nichts in eine strukturierte, gut organisierte, vernetzte und solidarische Protestbewegung zu wandeln, die ernst genommen werden muss. Das zeugt nicht nur von einer weit verbreiteten Unzufriedenheit, sondern vor allem vom Willen, untragbare Zustände nicht stillschweigend hinzunehmen.
Darüber hinaus ist unser politisches Potential mit der Besetzung des Audimax keinesfalls erschöpft. Während der Unmut der Studierenden sicherlich ein parteiübergreifender ist, waren die bisherigen Kundgebungen und Forderungen fraglos einem eher "linken" Weltbild entsprungen. Wie groß hier die Gräben auch zwischen den Studierenden noch sind, lässt sich beispielsweise ausführlich in den beiden Facebook-Gruppen Studieren statt Blockieren bzw. Die Uni brennt! nachlesen. Dass sich jedoch solcherart organiserte VertreterInnen des konservativen Lagers dem Vernehmen nach am Dienstag zum Zweck einer vernünftigen Diskussion dem Plenum der BesetzerInnen stellen wollen, und hier beide Seiten gleichermaßen zu Respekt und Bedachtheit aufrufen beweist, dass wir - zumindest zum Teil - schon darüber hinweg sind, uns im aufgewirbelten Staub ideologischer Grabenkämpfe zu verlieren.