Erstellt am: 2. 9. 2009 - 13:24 Uhr
Von wegen Veröden
Meredith Haaf sagt:
- Meine Generation ist geschwätzig.
- Wir sind nicht fähig, Kritik zu üben.
- Wir wissen, was auf uns zukommt – und haben: Angst.
- Meine Generation hat keine Subkultur
- Wir fürchten die Konfrontation.
- Wir sind uns nicht zu schade.
- Wir lieben unser gestörtes Körperbild.
- Wir denken nicht politisch.
Vor gut zwei Wochen übte sich Meredith Haaf im Magazin der SZ in sexy Selbstkritik: Geschwätzig, unpolitisch und verängstigt. Ohne Mut zu Kritik und Konfrontation. Ohne Selbstwert, dafür bevorzugt essgestört. Dieses wenig erbauliche Bild unserer Generation breitet die 26-Jährige in acht schön gegliederten Punkten genüsslich provokant aus und stellt zum Abschluss noch mit erhobenem Zeigefinger die Rute ins Fenster: "Wir verwenden unsere Energie dafür, unsere Karrieren zu sichern, unsere Bachelorstundenpläne einzuhalten und zwischendurch bei Facebook einzugeben, was wir gerade tun. Wenn wir das nicht ändern, werden wir irgendwann feststellen, dass eine andere, jüngere Generation über uns sagen wird: Sie ließen ihre Welt veröden, weil sie lieber labern wollten."
Starker Tobak, schwere Geschütze, wenn auch sehr charmant formuliert.
In da guadn oidn Zeit
Ich denke - und die vorbehaltlose Zustimmung Martin Blumenaus bestärkt mich in dieser Ansicht - Haaf ist der nicht geringen Versuchung erlegen, sich selbst und ihre AltersgenossInnen am Idealbild unserer (linken) Elterngeneration zu messen. Wenn sie über fehlende Subkulturen lamentiert und schreibt, dass "die Generationen vor uns stets zu einer Form des Ausdrucks gefunden" hätten, sie das "politische Argument" in unserer Generation für fast ausgestorben erklärt oder enttäuscht anmerkt, dass "den Begriff Opportunist, das härteste Schimpfwort meiner Eltern" heutzutage niemand mehr benutzt, bedient sie sich einer befremdlichen "früher war alles besser"-Rhetorik. Befremdlich nicht nur ihres jungen Alters wegen, die Glorifizierung vergangener Zeiten krankt meist ganz allgemein am allzu menschlichen Hang zur romantischen Verklärung.
Journal 09: Die acht Thesen der Meredith Haaf. Oder: die Generation 20-29 läuft Gefahr, ihre Welt zu veröden.
Und gerade was die Errungenschaften der sogenannten Baby-Boomer betrifft ist es kein Leichtes, sich zu distanzieren. Denn tatsächlich war und ist - wie man bei Blumenau schon lesen konnte - die Generation der heute 50-Jährigen zahlreich und stark. Sie musste stark sein, schließlich hatten ihre Eltern, LehrerInnen und ProfesorInnen leben gelernt, da wurde mit gestrecktem Arm noch gegrüßt oder der Gewehrlauf auf den Russ gerichtet. In einer Welt voller Kriegsgeschädigter aufzuwachsen, die sich im Rausch des Wirtschaftswunders mit den Mitteln der Verdrängung und der harten Hand in eine völlig utopisch heile Welt zurückboxen wollen, ist natürlich eine harte Schule. Eine Umgebung die Konfrontation erfordert, politisches Bewusstsein, wo sich aus der Tristesse des Alltags, der Enge der Gemeindebauten ganz selbstverständlich Sub- und Gegenkulturen bilden. Und abseits aller heute stattfindenden Selbstbeweihräucherung der damals Rebellierenden muss man anerkennen: es hat sich ausgezahlt.
Als ich übrigens das letzte Mal innerhalb weniger Stunden - abwechselnd persönlich oder im Klassenverband - davor gewarnt wurde, ja nicht zu viel zu schwätzen, unkritisch zu denken, unpolitisch zu handeln, oder mir wegen einem zu geringen Selbstwert eine Essstörung aufzureissen, war ich auch in der Schule.
Von der Volksschule bis zur HTL wurden mir Kreativität, kritisches, selbstbestimmtes Denken und ein demokratisch geprägtes politisches Bewusstsein als unumstößliche Grundwerte vermittelt. Große weltanschauliche Konflikte mit meinen Eltern blieben mir - ebenso wie dem Großteil meiner Freunde - fremd. Im Gegenteil. Unser Verhältnis ist geprägt von Achtung und Respekt und als ich wissen wollte, wie es sich anfühlt, gegen die Globalisierung zu demonstrieren, ging der Papa eben mit.
Nun aber zu erwarten, dass unsere Generation eine ähnliche Entwicklung durchlaufen sollte, ist - bei aller Wertschätzung - blauäugig wie eh und je. Das gab es noch nie und wird es nie geben und jedesmal werden die Eltern den Verfall der Jugend beklagen, während ihnen ein paar besonders Wohlerzogene brav nach dem Mund reden.
Von der Freiheit
Im dritten und spannendsten Absatz ihrer harschen Anklage spricht Haaf nun zwei Aspekte an, die das Wesen meiner Generation tatsächlich entscheidend geprägt haben. Das vergleichsweise hohe Maß an Sicherheit, Wohlstand und Mobilität, einhergehend mit einer von Wirtschafts-, Energie- und Umweltkrise genährten Angst vor der Zukunft.
Dass es damals wie heute um die "soziale Durchlässigkeit" in Österreich nicht zum Besten bestellt war und ist, ist natürlich klar. Hier geht es ausschließlich um die Relation.
Die kurze und erstmalige Hochblüte der Mittelschicht gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts bescherte ein bisher nicht gekanntes Maß an Chancengleichheit. Der Siegeszug der neuen Medien, vor allem das Internet, ein Informationspotential sondergleichen und der Beitritt zur Europäischen Union schließlich einen ganzen Kontinent an einfach zu erreichenden Arbeits- Studien- und Lebensplätzen. Keine Generation vor uns war so ungebunden von den Fußstapfen der Eltern, so frei, ihre kulturelle Entwicklung auch abseits lokaler Szenen voranzutreiben und mit einem solchen Potential bedacht, ihre Zukunft zu gestalten.
Im gleichen Maße allerdings stieg die Komplexität der zu meisternden Lebenswelten. Wer nicht untergehen, sein Potential ausschöpfen will, muss informiert sein, das Richtige finden. Muss an sich arbeiten und den Druck der steten Möglichkeit des Scheiterns akzeptieren. In der Zwischenzeit im Dienst der Wahrheitsfindung vermehrt als PraktikantIn zu arbeiten, ist so gesehen eine ebenso natürliche Reaktion, wie der verstärkte Fokus auf die eigene Entwicklung fast eine Notwendigkeit.
Wenn nun Meredith Haaf eine zu Gunsten persönlicher Entfaltung und Karriere gehende politische Desensibilisierung und vermehrte Konfliktscheue anprangert, teile ich das Ideal und verstehe die Besorgnis, halte sie aber für weit überzogen.
Meine Generation verhält sich in Anbetracht der Umstände völlig normal. Auch die politisch ach so aktiven 68er waren dies - bei näherer Betrachtung - nur zu sehr exklusiven Teilen. Geschwätzig sind Menschen seit jeher, mit oder ohne Facebook und ob sich das (von den in den letzten Jahren führenden Kräften der Finanz und Wirtschaft vorgelebte) Prinzip der kompromisslosen Konkurrenz gegen eine etwas solidarisiertere Gesellschaftsordnung weiter durchsetzt oder nicht, halte ich für äußerst unentschieden. Aus persönlicher Erfahrung würde ich stark zu Letzterem tendieren.
Dass wir vielleicht ein bisschen entpolitisierter, konservativer, wirschaftsliberaler oder schlicht langweiliger, und damit zumindest eine kleine Antithese zu unseren Eltern sind, sollte dabei niemanden ernsthaft überraschen.
Wird schon!