Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal '09: 31.8."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

31. 8. 2009 - 21:47

Journal '09: 31.8.

Die acht Thesen der Meredith Haaf. Oder: die Generation 20-29 läuft Gefahr, ihre Welt zu veröden.

Ich bin heute in den Genuss eines kurzen demoskopischen Vortrags gekommen, der unter anderem einen Blick auf die durchaus verheerende Entwicklung, die Österreich in den letzten Jahren genommen hat, zuließ.
So ist die Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gewachsen - allerdings nicht der Nachwuchs (Schüler nämlich gibt es annähernd so viele wie vor zehn Jahren), sondern in der 40plus-Gruppe. Das Land wird zunehmend pensionistischer.

Und eine Bevölkerungsgruppe ist sogar geschrumpft: die 20 bis 29jährigen. Da gibts entscheidend weniger als noch vor ein paar Jahren.
Ich mag gar nicht spekulieren, obwohl das durchaus lustvoll wäre (man könnte etwa zum Schluss kommen, dass Einbürgerungen in dieser Altersgruppe scheinbar prinzipiell verboten sind, oder auch dass die Auswanderungstendenzen dieser Altersschicht massiv überproportional ausgeprägt sind).
Ich mag diesen Schwund auch nicht als eine Katastrophe für alle Medien, die sich tendenziell an genau dieses Publikum richten, hochquatschen.

Die 20 bis 29jährigen sind weniger geworden

Lustig ist es in jedem Fall nicht, wenn einem die Jungen wegbröseln. Und zwar ganz egal, ob man ein Jugendmedium, der Staat oder auch die Wirtschaft ist - alle brauchen Nachwuchs, egal ob als Konsument oder Steuerzahler; und alle haben eigentlich ein Interesse daran, dass aus den eh schon viel zu wenigen dieser Kernschicht der Innovativen auch was Gscheites wird.
Denn nur die 20 bis 29jährigen haben beides: den jugendlichen Ungestüm, die Risiko-Bereitschaft des Ausprobierens, die den ganzen Schwachsinn der Pubertät schon hinter sich gelassen hat - also Wagemut schon mit Lebenserfahrung kreuzen kann.

Bloß: Die Vorgänger, die Baby-Boomers, die 30 bis 49jährigen sitzen fett in allen Stühlen und sind so jung wie keine Generation vor ihnen. Der Druck der Nachrücker ist also schwächer als der, den sie selber ausüben mussten.

Wenn die Nachrücker dann auch noch so wenige sind...

Meredith Haafs 8er-Liste

Im Nachhall des Vortrags ist mir dann etwas eingefallen, was ich in Berlin, also quasi im Urlaub gelesen habe. Es war eine Selbstanklage, eine Suada in acht Teilen, die im SZ-Magazin erschienen ist. Autorin war eine 26jährigen Bloggerin, die sehr unbarmherzig über die Tadeligkeiten der eigenen Generation gewettert hatte. Wir hatten das am Frühstückstisch gelesen und, obwohl meine Freundin und erst recht ich doch schon eine bzw. drei Generationen weit weg sind, konnten wir alle acht Punkte nichts als abnicken, weil sie alle sehr öffentlich stattfinden und das durchaus klägliche Bild der around 25jährigen ergeben.

Nun weiß ich nicht, ob es in Deutschland so ganz anders ist und es dort irrsinnig viele 20 bis 29jährige gibt. Der Wende-Einschnitt von 1989, der einen entscheidenden demoskopischen Unterschied machen kann, hat sich aber jedenfalls auf diese Generation noch nicht ausgewirkt.
Sind also die 20 bis 29jährigen in Deutschland wie in Österreich die g'fickte Generation, fucked forever, stigmatisiert und traumatisiert, auch oder vor allem wegen ihrer zahlenmäßigen Winzigkeit?

Ich hab dann heute abend das Magazin der Süddeutschen vom 13. August rausgekramt und möchte die 8 Punkte der Meredith Haaf kurz anreißen. Haaf ist Co-Autorin des recht interessanten Buchs "Wir Alphamädchen" und bloggt unter maedchenmannschaft.net.

Ihre acht Punkte treffen ins Mark.

1. Die Geschwätzigkeit

Frau Haaf zitiert die Mobilfunk- und andere Werbeindustrien und erwähnt die Webwelten, in denen vor allem gelabert wird. Plattes Mitteilungsbedürfnis rules.
Zentraler Satz: "Die Grunger und Raver vor uns waren süchtig nach Party, Drogen und merkwürdiger Synthetikkleidung. Wir sind vor allem süchtig, etwas zu sagen. Egal was."

2. Die Unfähigkeit Kritik zu üben

Frau Haaf erwähnt den wichtigen Facebook-Faktor "Lob", also das "etwas gut finden", und sieht das als Tendenz hin zur reinen Affirmation. Sie erzählt dann ein Beispiel aus dem Uni-Alltag: Irgendein neoliberaler Arsch verteidigt in einer Wirtschaftsethik Kinderarbeit. Widerspruch aus dem Auditorium: nada. Die Angst mit dem Stoff nicht durchzukommen overrult die Einmischung. Die Form überwuchert also das kritische Potential.

Zentraler Satz: "Wenn etwas unangemessen erscheint - keine Reaktion." Und zwar im Guten wie im Schlechten.

3. Nichts als Angst

Zentraler Satz: "Keine Generation vor uns ist so sicher, wohlhabend und mobil aufgewachsen. Trotzdem wird die Zukunftsmusik als Dreiklang aus Arbeitslosigkeit, Klimawandel und Energiekrise vorgespielt."
Angst essen also Seele auf, oder wie der echte Wiener sagt: "Z'Tod gfürcht is a gsturbm!".

Konkurrenz statt Solidarität, das sei die Kernbotschaft des Bildungssystems, sagt Meredith Haaf (und meint damit das deutsche, das diesbezüglich dem österreichischen - im schlechten - voraus ist).
Wer sich für die Zukunft nur mit Konsum, Fleiß, Kommunikation aber vor allem (mit unproduktiver) Angst zu wappnen vermag, hat schon ziemlich verloren.

4. Das Fehlen einer Subkultur

Subkulturen als Gegenmodelle zum herrschenden Kulturbegriff sind auch deshalb so wichtig, weil sie eigene Wertesysteme und Codes schaffen und so Denkprozesse in Gang setzen.
Das sieht Frau Haaf auf einem Tiefpunkt. Die beiden aktuellen Subkulturen (Emos und Hipster) haben bei ihr keine guten Karten: "eskapistische Heulsusen" bzw. das reine Ansammeln von Konsumvorgaben, das ist zuwenig.

Zentraler Satz: "Meine Generation macht einfach alles irgendwie ein bißchen." Die Füllwörter sind Absicht.

5. Konfrontation = pfui

Schließt an Punkt 2 (keine Kritikfähigkeit) und Punkt 3 (Angst) an: Konflikt gilt als Nogo. Der Opportunist, der Frau Haafs Eltern noch als schlimmstes Feindbild galt, ist mittlerweile opportun, oft wird er sogar eingefordert.
Die Mühle-Auf-Mühle-Zu, die von Medien und Populisten gespielt wird, bedingt sogar den angewandten Opportunismus.

Zentraler Satz: "Wie soll jemand, der glaubt, Konflikt sei etwas Schlechtes, in irgendeiner Form in den gesellschaftlichen Diskurs eingreifen, sich etwa gegen einen rhetorisch gut geschulten Rechtsradikalen wehren?"

6. Die Praktikums-Trottel

Mit ihnen kann man's ja: ein Gelegenheits-Job, ein Praktikum nach dem anderen, kein konkretes Interesse an einer wirklichen Berufung, stattdessen Warten auf eine Gelegenheit. Dieses entwürdigende Leben macht alles noch schlimmer: Selbstwertgefühl der Generation: unter aller Kanone.

Zentraler Satz: "Wir hängen jahrelang zwischen zwei Polen der Entwürdigung: auf der einen Seite die Unternehmen, die unsere Arbeitskraft mit nichts oder wenigen hundert Euro pro Monat bewerten; auf der anderen die Eltern, die den Finanztopf kontrollieren und dafür Fragen stellen dürfen, die man mit Ende 20 nicht mehr hören möchte."

7. Gestörte Körper

Frau Haaf sieht zwei, nein drei aktuelle Prägungen: die Essstörung, die Porno-Ästhetik und die reale Maßlosigkeit, die mehr Junge denn je übergewichtig werden lässt. Sie zitiert den Zwang zur Selbstschwächung, die Akzeptanz von Hochglanzerotik und führt die freiwillige Zurschaustellung des Körpers auf dieses negativen Potentiale zurück. Ihr Beispiel: Ein von studiVZ produzierter Unterwäsche-Kalender findet aberhunderte Freiwillige, die alles für lau und "just for fun" machen (siehe auch Punkt 1 oder Punkt 7).

8. Unpolitisch

Da schließt Meredith Haaf an Punkt 5, die Angst vor der Konfrontation an und setzt einen drauf: Die 20 bis 29jährigen haben die Fähigkeit zum politischen Argument verloren, was zu einem "maroden" Verhältnis zur Demokratie führt. Wieder greift sie auf Beispiele aus dem Uni-Alltag zurück, die ich auch von allen Seiten zugeliefert bekomme. Ich dachte da eher an ein österreichisches Spezial-Phänomen, offenbar hat Bologna da aber bereits europaweit ganze Arbeit geleistet. So wie das aktuelle Mantra, dass es keine Alternative zum Kapitalismus geben würde.

Zentraler Satz: "Um ein System in Frage zu stellen, braucht es eine Menge Energie. Wir verwenden unsere Energie dafür, unsere Karrieren zu sichern, unsere Bachelor-Stundenpläne einzuhalten und zwischendurch bei Facebook einzugeben, was wir gerade tun."

Diese acht Thesen der Meredith Haaf

sind unangenehm und schmerzen. Nicht nur die, die es betrifft, die 20 bis 29jährigen, sondern alle, die an sowas wie die Weitergabe der Fackel glauben, um da Ted Kennedy und Barack Obama zu zitieren.

Wenn diese aktuelle Generation zahlenmäßig so wenige und inhaltlich so schwach sind, dann gilt es sie zu stärken, zu forcieren, aufzubauen - was sich nicht in Beschönigung oder mit einer Glaceehandschuhbehandlung erschöpfen darf, sondern in ein Fordern und Fördern münden muss.

Die Ansätze sind da. Meredith Haafs Schlussworte: "Wenn wir das nicht ändern, werden wir irgendwann feststellen, dass eine andere, jüngere Generation über uns sagen wird: Sie ließen ihre Welt veröden, weil sie lieber labern wollten."