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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

18. 10. 2009 - 10:38

Wir verlassen die Erde, auf dass sie schöner werde

Warum die Goldenen Zitronen zwar Für immer Punk, aber trotzdem das Gegenteil der Toten Hosen sind.

Es ist jetzt, festhalten, 22 Jahre her, da hätte mich Schorsch Kamerun, heute ein gesuchter Theater- und Opernregisseur und damals wie heute Sänger der Goldenen Zitronen, fast verdroschen. Es war beim Toten Hosen Konzert in der Münchner Alabamahalle, Rocko Schamoni hatte einen Kurzauftritt als "erster deutscher Punk" im Mariachi-Kostüm mit 1½ Meter breitem Sombrero.

Die Hosen stehen breitbeinig auf der Bühne und dreschen ihren 1, 2, 3 Bierzeltpunk herunter. Ich sehe den Kamerun im Publikum rumstehen, wie er die Posen der Hosen nachäfft und sage zu ihm irgendsowas wie "In fünf Jahren seids ihr doch auch so!", worauf er die Faust hebt und ich mich schnell von dannen trolle.

Cover der erstausgabe der Zeitschrift "Business Punk"

Business Punk

Auch eine Art von Punk

Schorsch Kamerun ist mit Campino von den Toten Hosen heute noch gut befreundet, trotzdem ist der Punkbegriff der Goldenen Zitronen diametral anders als der der Toten Hosen. Damals, 1987, war das für einen kleinen Nachwuchspunker wie mich noch nicht wirklich absehbar. Aus meiner Perspektive waren die Goldenen Zitronen und ihre erste Platte Porsche, Genscher, Hallo HSV in der selben Fun Punk Schublade angesiedelt wie die Hosen.

Ein paar Jahre später, die Goldenen Zitronen haben gerade ihre zweite Platte herausgebracht und spielen in Salzburg in der ARGE Nonntal. Neben mir streben zwei Lederjackenpunker der ARGE entgegen. "Hoffentlich", sagt der eine zum andern, "spielen die nix von der neuen Platte."

Einer muss den Job ja machen: Alex Augustin zum neuen Album "Die Entstehung der Nacht"

Abgesehen von der Frage, welche Band eine neue Platte macht, um dann auf Tour nix davon zu spielen, zeigt der Satz, dass die dogmatisch auf die äußere Form bedachten unter den Punks schon recht bald mit den Goldenen Zitronen nicht mehr viel anzufangen wussten.

Die Goldenen Zitronen konzentrieren sich immer zunächst auf den Inhalt – die äußere Form ist das Spielzeug, sie baut auf den Inhalt auf, und sie muss stimmig sein, auch in Bezug zur Außenwelt. Das heißt, dass sie sich ständig ändert, wenn sich die Umstände ändern, und das ist etwas, was sie von den Toten Hosen und den Mainstreampunks unterscheidet. Und das war eine Haltung, die mir auch als kleiner Nachwuchspunker (als ich sie dann verstanden habe) gleich sympathischer war als der Stachelhaar- und Lederjacken-Dogmatismus, von dem irgendwann sowieso nur mehr eine Endlosschleife von medial transportierten Klischees übrig blieb.

Insofern schaut der Punk der Goldenen Zitronen nicht nur nicht aus wie der Postkartenpunk, er klingt auch schon lang nicht mehr so. Der Punk versteckt sich woanders: zum einen legen die Zitronen nach wie vor den Finger in Wunden, die andere für längst vernarbt halten, stellen Fragen, für die andere zu bequem sind, zerfieseln bürgerliche Befindlichkeiten (auch die eigenen) und setzen sich und was sie umgibt in politische Bezüge. Die Lust am Subversiven und Dadaistischen ist noch genauso groß wie die am Kämpferischen; die Herkunft aus dem Hafenstraßen-Häuserkampf ist genauso sichtbar wie die Punk im Punk-Vergangenheit – schon in den Achtziger Jahren waren die Zitronen subversiv genug, dass sie sich im Schlager- und Country-Gewänder verkleideten, um die Lederjackenfraktion zu erschrecken und gleichzeitig mit Am Tag als Thomas Anders starb öffentlich nie gehörte Botschaften in die Charts zu schmuggeln.

Bandtypische Verweigerungshaltung: andere machen es sich mitsamt ihrem Rebellionsgestus im System aka Mainstream bequem –die Goldenen Zitronen machen ein Musikvideo zu einem Instrumentalstück.

Und noch etwas ist Punk bei den Zitronen: die Distanz zum Handwerk (und damit nebenbei auch zur hemdsärmelig-machistischen Rock-Geste). Bei uns könnte immer noch jeder jederzeit mitspielen sagt Schorsch Kamerun heuer im Interview, Dilettantismus und der Spaß am Ausprobieren stehen auch nach 25 Jahren noch im Zentrum, auch wenn sich durch die lange Bandgeschichte so etwas wie routiniertes Zusammenspiel eingestellt hat – was durch immer neue Kollaborationen und Erweiterungen des Kollektivs (auch Hans Platzgumer gehört ja von Zeit zu Zeit dazu) befruchtet wird. Wir behaupten das Kollektiv sagen Ted Gaier und Schorsch Kamerun beinahe wortgleich. Auch wenn dieses Kollektiv durch Schorsch Kameruns Theaterprominenz mitunter auf eine harte Probe gestellt wird, stellt sich beim Hören jeder Zitronen-Platte der Geist der Anarcho-Punk-Kommune CRASS ein – in der Variation der Formen, in der Gleichberechtigung der Stimmen und Töne, in der Lust am Angriff.

Sind wir noch Selbstvertoner? /
oder schon Bildschirmschoner? /
Alle Befindlichkeit /
nervt seit Langem schon, /
dies ist ein Abschiedsgruß /
und kein Klingelton.
(Wir verassen die Erde)

Auch auf Die Entstehung der Nacht sind die Zitronen theatralisch wie immer; mal poppig, mal krachig, laut auch in den ruhigen Tönen, und noch deutlich heterogener als auf dem Vorgänger Lenin. Ähnlich wie die geistesverwandte Gustav brechen die Zitronen angesichts der Krise mit der angepassten Systemkritik, loten stattdessen die Möglichkeiten von Rebellion und Verweigerung aus und stehen staunend und/oder angeekelt vor dem aktuellen Deutschpop-Biedermeier wie vor der posthumen Verehrung verunglückter Landeshauptmänner. Wahrscheinlich ist Punk, so wie ihn die Goldenen Zitronen sehen, angesichts dessen, was uns umgibt, aktueller denn je.

Für meinen blöden Spruch in der Alabamahalle hab ich mich übrigens heuer bei Schorsch Kamerun entschuldigt.