Erstellt am: 28. 9. 2009 - 08:45 Uhr
Ich bin eine Tigerin!
Ich habe mir Coaching ja immer so vorgestellt, dass das ein braungebrannter geschniegelter Gewinnertyp veranstaltet. Dass ich mir da auf die Brust trommeln muss und mir Mantras wie "Ich bin ein Tiger und kein Lama" vor mich hersagen muss und wir dann aggressive Verhandlungstaktiken vor der Videokamera üben, was dann vor einer Gruppe vorgeführt und verrissen wird. So etwas wollte ich mir ersparen.
Radio FM4/Irmi Wutscher
Bei der Recherche zu meinem Artikel über Gehaltscoaching bin ich dann Ingrid Kösten gestoßen. Sie bietet über ihre Agentur woman success Coaching und Mentoring speziell für Frauen an und verspricht dabei, einen "die Entwicklung einer neuen Kultur des Miteinanders". Das wollte ich mir ansehen - wenn auch an einem halben Vormittag bei weitem kein richtiges Coaching durchzuführen ist. Bei Ingrid Kösten war das dann alles ein wenig anders als in meiner Vorstellung: Sie rät zwar Frauen auch manchmal dazu, aufzustampfen oder sich ein wenig auf die Brust zu trommeln – so als Lockerungsübung im Vorzimmer zum Klo. Aber viel wichtiger ist es ihr, an der Bewusstseinsebene anzusetzen: Zu wissen was man für die Arbeit bekommen sollte und wie man es sich holt.
Women don't ask
"Women don't ask" heißt ein Bestseller aus dem Jahr 2003 von Linda Babcock und Sara Laschever, in dem die Autorinnen aufzeigen, was für große Unterschiede es zwischen Männern und Frauen beim Verhandeln gibt.
Viele Frauen sehen Verhandeln nämlich als etwas Unangenehmes. Fragt man Männer nach einer Metapher für Gehaltsverhandlungen, nennen sie meistens das "Gewinnen eines Ballspiels", während Frauen von einem Besuch beim Zahnarzt sprechen. Frauen gehen laut den Autorinnen sogar soweit, dass sie beim Autokauf sogar 1.353 $ mehr bezahlen, nur um das Verhandeln um den Preis zu vermeiden. Und dabei gehen ihnen wichtige Beförderungen und Gehaltserhöhungen durch die Lappen, die ihnen zustehen und die sie sich locker holen könnten. Das muss nicht sein, findet Ingrid Kösten, und deshalb unterstützt sie Frauen, damit Verhandeln für sie kein Zahnarztbesuch mehr ist.
Den Marktwert kennen
Schwerpunkt: Gehalt
Geheimnis Gehalt
Frauenministerin Heinisch-Hosek und Ökonomin Michalitsch über Gehaltsschere und die Forderung nach der Offenlegung der Gehälter
Gehaltschoaching
Irmi Wutscher testet Gehaltschoaching speziell für Frauen
Schwerpunkthema "Gehalt"
Eine Übersicht
Ich stelle mich erstmal dumm und frage Frau Kösten, warum ich nicht in ein Vorstellungsgespräch hineingehen kann und einfach mal schaue, was die mir so bieten. "Weil sie dadurch fremddefiniert werden," sagt die Coachin "und diese Selbstdefinition ist auch Teil meiner persönlichen Integrität und meiner Autonomie. Ich habe ja eine bestimmte Ausbildung, bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen, die in der Regel auch einen Marktwert haben. Das Erste ist also: Ich schaue mich um, was ist denn überhaupt mein Marktwert. Das geht über Recherche, das sind viele Gespräche, Austausch in Netzwerken. Es gibt auch Fachzeitschriften für verschieden Berufssparten, die jährlich Gehaltsrichtlinien veröffentlichen. Dadurch kann man sich dann schon recht gut einordnen."
Aber das Sprechen über das Gehalt ist ja nicht so einfach, werfe ich ein, vor allem weil es gerade in Österreich ein Tabuthema ist. Für Ingrid Kösten ist dieses Schweigen über Gehälter ein Machtinstrument der ArbeitgeberInnen-Seite. "Die können so mit den MitarbeiterInnen spielen. Mit einer kleinen Zugabe hier oder da, wenn die anderen nicht wissen, was die bekommen. Und wenn man die Gehälter dann offenlegt, kommt dann oft ein großes AHA-Erlebnis. Weil klar ist, dass nicht nach Leistung, sondern nach individuellen Kriterien bezahlt wird. Es macht also Sinn, sich darüber zu unterhalten. Gerade wenn wir davon ausgehen, dass Gehälter nicht etwas Individuelles sind, sondern das auch immer in den gesellschaftlichen und politischen Bereich hineinwirkt."
Klingt logisch, auf der ToDo-Liste vor meinem geistigen Auge steht jetzt also ein großes "Marktwert rausfinden!" und ich wundere mich warum ich nicht selbst drauf gekommen bin.
Mit diesem ersten Schritt, meint Frau Kösten, bin ich aber noch lange nicht soweit, in eine Verhandlung zu gehen, da sind noch mehr Vorbereitungen nötig. "Ich muss mir auch einen Überblick verschaffen, was habe ich im letzten Jahr geleistet. Ich empfehle hier immer wieder, vor allem den Frauen, dass sie sich das aufschreiben. Dass sie so eine Art Leistungsportfolio erstellen. Und das zweite ist, dass ich auch eruieren muss: Wie sind die Gehaltsstrukturen im eigenen Unternehmen. Dann habe ich genügend Vorbereitungsarbeit für die Verhandlung geleistet."
Rollenbilder
Ich will jetzt endlich ans Eingemachte – sprich an das was ich mir unter Coaching vorstelle – und frage nach der Körpersprache. "Da kommt es jetzt drauf an: wie bringe ich das alles rüber!" meint Ingrid Kösten. "Komme ich schon mit einer Mäuschen-Stimme und einer unterwürfigen Körperhaltung in die Verhandlung rein oder eben nicht – das sind ja alles Dinge die ganz wesentlich zur Überzeugungsarbeit meiner Vorgesetzen beitragen."
Und dann spricht sie auch noch ein psychologisches Moment an: Nämlich, dass Frauen die Tendenz haben, sich mit ihrer Forderung zu identifizieren. Und dass das gutes Verhandeln behindert, weil man so über sich als Person und nicht über Geld für Leistung verhandelt. "Bevor du dort hineingehst entflechte dich von deiner Forderung", sagt Ingrid Kösten, "mach eine Bewegung dazu!" Sie hebt ihre gefalteten Hände und reißt sie auseinander "Irgendetwas, damit du nicht so assoziiert bist mit deinem Ding. Und dann leg es auf den Tisch!" Sie klopft auf die Tischplatte, "so bist du ein Stückchen freigespielt und es ist so als würdest du für jemanden anderen verhandeln!"
Hier, meint Kösten, kommen auch uralte tradierte Rollenbilder zu tragen, dass Frauen immer eingeredet wird, sie haben bescheiden zu sein. Sie zitiert Studien, laut denen für Frauen das Geld in der Liste der Dinge die ihnen an ihrem Beruf wichtig sind, ganz unten steht, während es bei Männern auf den ersten Plätzen rangiert. Bei den Frauen stehen Harmonie und ein gutes Klima etc. an erster Stelle "Es ist fast so als würde gute Leistung und auch zufriedenstellende Arbeit gar nicht vereinbar sein, mit einem guten Gehalt. Als wäre das ein fast lasterhafter Gedanke.
Und diese Muster kann man laut Ingrid Kösten nicht durch Tipps und Tricks und Übungen überkommen, sondern nur durch Aufklärung und Bewusstmachung. Das erscheint mir als ein sehr vernünftiger Gedankengang und widerlegt endgültig meine Vorurteile gegenüber Coaching. Nämlich dass hier Leute mit schwindligen Autosuggestionstricks neoliberale Selbstoptimierung betreiben, wo kritische Reflexion über sich selbst nicht gefragt ist.
Nicht aufschieben
Radio FM4/Irmi Wutscher
Und was soll ich sonst noch so beachten, frage ich zum Schluss. "Sie sollten das nicht auf die lange Bank schieben", meint die Coachin zu mir. "Denn dass die Pensionen so auseinanderklaffen zwischen Männern und Frauen, das beginnt am Anfang. Das heißt je früher ich schaue: Werde ich leistungsgerecht bezahlt? Desto mehr vermeide ich, dass die Gehaltsschere aufgeht. Wichtig ist hier, dass ich weiß, es geht nur um einen Austausch von Leistung gegen Geld. Das ist keine Bittsteller-Situation, ich muss deshalb nicht unterwürfig sein. Wenn sie ihren Marktwert wissen und das auch gut kommunizieren können, dann bekommen sie Respekt. Und nicht, wenn sie glauben, ihr Chef wird sie schon bemerken und ihnen das Zustehende geben."
Individuelle Lösung für ein strukturelles Problem?
Schwerpunkttag: Geheimnis Gehalt
Infos zum genauen Programm gibt es hier
Ob das nicht eine sehr individuelle Lösung eines strukturellen Problems ist, werfe ich noch ein, wenn man nur an sich selbst und die Maximierung des Gehalts denkt. "Die Gehalts-Problematik ist natürlich eine strukturelle, das dürfen wir nie vergessen", sagt Kösten "Diese individuellen Versuche sich fit zu machen für Verhandlungen sind also nur ein kleiner Baustein. Und wir arbeiten ja alle sehr daran, dass die Frauen das Bewusstsein haben, dass sie für Gleichwertige Leistung auch den gleichen Lohn bekommen. Diese Forderung ist ja nach wie vor berechtig. Und das erste, wo ich etwas dazu tun kann, ist, dieses Recht einzufordern!"
Zu hören in der Homebase (19-22) mit Gerlinde Lang/