Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Juli Zeh in der FM4 Bücherei"

Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

19. 9. 2009 - 13:13

Juli Zeh in der FM4 Bücherei

Die Schriftstellerin gesteht, dass sie eine Chaosleserin ist, der man besser kein Buch borgen sollte. Falls doch, dann beispielsweise Herta Müller, Sibylle Lewitscharoff oder Angela Krauß.

Die FM4-Bücherei ist keine herkömmliche Bücherei, in der man Bücher ausleiht, sondern eine, in der Bücher vorgestellt werden.
Der oder die BesucherIn der FM4 Bücherei stellt seine oder ihre drei Lieblingsbücher vor, bzw. Bücher, die man durchaus lesen sollte.

Diesmal zu Gast: Juli Zeh

Juli Zeh
1974 in Bonn geboren, Jus-Studium und Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, Gastdozentin in Leipzig, Düsseldorf und zuletzt Witten/Herdecke. Zahlreiche Preise. Zuletzt erschienen: Schilf (2007), Das Land der Menschen (2008), Corpus Delicti (2009) und gemeinsam mit Ilija Trojanow: Angriff auf die Freiheit (2009).

Sie sei zu einer Chaosleserin geworden, zeigt sich Juli Zeh in der FM4 Bücherei besorgt, früher habe sie immer nur ein Buch gelesen und das unter allen Umständen bis zum Ende. Ganz egal, was es war. "Angefangen hieß auch durchlesen. Das wäre mir als der Gipfel der Respektlosigkeit erschienen, ein Buch wegzulegen." Aber irgendwie werde man älter und merke, dass die Zeit knapp werde. Und jetzt lege sie eben auch Bücher frühzeitig weg und lese mehrere gleichzeitig.

Dabei kann sie sich keine Bücher ausleihen, weil sie diese beim Lesen so schlecht behandelt, dass sie diese unmöglich zurückgeben kann. Nicht mal ihr Freund, mit dem sie im selben Haushalt lebt, borgt ihr seine Bücher ...

Nun denn, in der FM4 Bücherei stellt sie Bücher vor. Meistens liest sie Bücher "toter Männer", insofern habe diese Auswahl zufällig etwas gemein: es handelt sich um drei lebende Frauen, und alle drei haben einen starken Ostbezug.

karteikarte mit gezeichnetem portrait von juli zeh

zita bereuter

Herta Müller: Herztier

Cover Herztier

Fischer Verlag

Herta Müller: Herztier. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M., 2007

Hertha Müller ist eine Autorin, die in Rumänien geboren wurde und nach Deutschland emigrieren musste. Sie setzt sich öfter in ihren Texten mit ihrer Vergangenheit auseinander, also mit Erfahrungen aus ihrer Biographie, die im totalitär dominierten Rumänien stattgefunden hat. So auch in diesem Buch.
Es ist ein Buch, das auf eine unglaublich poetische, ästhetische, wirklich schöne Weise ganz grauenvolle Zustände schildert. Aus dieser Diskrepanz ergibt sich ein Zauber, der einen nicht mehr loslässt und wo man ständig schwankt: zwischen Liebe zur Menschheit, weil sie so schöne Kunst hervorbringt, weil sie sich einer Kunst wie der Literatur so widmen kann und gleichzeitig aber auch so grauenvolle politische Verhältnisse erzeugt. Deswegen ist das Buch für mich geradezu eine Metapher auf das was die Menschheit auch prägt - eben die Fähigkeit zu so viel Schönem und soviel Schlimmem auf ganz engem Raum.
Das ist ein Buch, das man nur ganz langsam lesen kann. Ich würde empfehlen nicht mehr als ein, zwei oder drei Seiten am Tag zu lesen. Sehr viele dieser Sätze kann man immer wieder lesen, weil sie schon auf allerkleinstem Raum diese große Spannbreite enthalten. Das ist wirklich ein absolutes Faszinosum.

Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff

Buchcover Apostoloff

Suhrkamp

Lewitscharoff, Sibylle : Apostoloff Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009

Wenn man den Nachnamen der Autorin und den Titel zusammen sieht, kann man schon eine Ahnung bekommen, worum es geht - um Bulgarien. Sybille Lewitscharoff ist die Tochter eines Bulgaren, die aber selbst in Deutschland groß geworden ist und auch nach eigenen Angaben kein Bulgarisch spricht.
Sie beschreibt in Apostoloff auf ungeheuer komische Art und Weise wie sie als sozusagen Ursprungsbulgarin, aber nicht des Bulgarischen mächtig und zu Bulgarien auch keinerlei Verbindung habend, außer über den verstorbenen Vater, wie sie jetzt dieses Land bereist und dort eben gewisse Beobachtungen anstellt und Erfahrungen sammelt.
Ein Großteil des Witzes ergibt sich eben dadurch, dass dieses Buch ein totales "Bulgarienbashing" ist: Sie findet an Bulgarien schlichtweg alles grauenvoll. Das ist eine literarische Vernichtung eines kompletten Landes. Und anders, als man das erwarten würde, ist es auch nicht so, dass die Heldin des Romanes während dieser Reise eine wundersame Wandlung durchmacht, und am Ende doch merkt, dass da nette Leute und schöne Landschaften sind, sondern sie hasst es bis zum Schluss. (...)
Sie erkennt mal an, dass vielleicht irgendwo eine Landschaft ganz hübsch ist, aber das ist dann auch nur der Bewies dafür, dass auf grauenvollen Dingen immer schöne Etiketten kleben.(...)
Es ist wirklich ein totaler Schlag gegen das Land und erschöpft sich natürlich nicht in dem, sonst wärs für den ganzen Roman ein bisschen wenig Stoff, sondern eigentlich ist es auch eine Abrechnung mit dem verstorbenen Vater, der eben Bulgare war. (...)

Die Ich-Erzählerin des Romans hat diesen Vater verloren und sie hasst ihn mit der gleichen Inbrunst wie Bulgarien und sie rechnet mit beiden gleichzeitig ab, während sie ihr Vaterland bereist. Aus dem großen Hass, mit dem das Buch geschrieben ist, schlägt sie funkensprühenden Sprachwitz. Es ist ein sehr komisches Buch und keines, wo man sich pointenreich auf die Schenkel klopft, sondern das über sprachliche Raffinesse funktioniert.
Ich hab an keiner Stelle schallend gelacht, aber ich hab immer wieder den Blick abgewendet vom Buch und die Augen zur Decke gedreht und gesagt - "komm, das hast du jetzt nicht wirklich hingeschrieben, das steht da jetzt nicht wirklich." (...)

Das hat auch so was Befreiendes, das einer mal alle Tabu sprengt, und wirklich, was Literatur ja meiner Meinung nach darf, wirklich ohne mit der Wimper zu zucken bis ans Äußerste geht, was Kritik und Vernichtung angeht.

Angela Krauß: Wie weiter

Buchcover Wie Weiter

Suhrkamp

Krauß, Angela: Wie weiter.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main, 2006

In "Wie weiter" geht es um die DDR-Vergangenheit. Das ist ein ungeheuer sprachgewaltiges und sehr poetisches Buch. Man sieht es und denkt sich: "Ach, das les ich an einem Nachmittag," und das geht nicht. (...)
Angela Krauß arbeitet teilweise ihre Vergangenheitsgeschichte aus der DDR auf, aber sie tut das immer im Gegenwärtigen und im Heutigen. Sie beobachtet ihre Umgebung, sie beschreibt Menschen, die sie liebt. Es ist eigentlich vor allem ein Buch über die Liebe. Es tauchen immer wieder Figuren auf, die Liebesmenschen genannt werden, die der Erzählerin sehr nahe stehen. Anhand dieser Figuren arbeitet sie eher an emotionalen Details Dinge heraus, die dann zurückverweisen können in die Vergangenheit. Die erzählen, wie sie die Wende erlebt haben, die davon erzählen, wie ein System zusammenbricht und ein neues ganz plötzlich aufgefalten wird. Und wie Leute ganz plötzlich zwischen den Stühlen sitzen und ihren historischen und geographischen Ort verlieren.
Solche Themen sind in dem Buch vorhanden, aber es geht nicht thematisch darum. Sondern das Thema ist eigenltich die Liebe und anhand dieser sehr sensibel und weichgezeichneten Beziehungen fließen dann andere Themen mit in das Buch hinein.

Auch ein kleines Sprachwunderwerk.


Die FM4 Bücherei mit Juli Zeh gibt es am Sonntag, 20. September 2009, in FM4 Connected (13-17 Uhr) zu hören.

Juli Zeh schon bald live in Österreich: Sie hat ihren Roman "Corpus Delicti" hat sie in eine sogeannte Schallnovelle umgearbeitet, zu der Slut eigens Musik komponiert hat. Zu hören gibt es das am Sonntag, 27. September im WUK in Wien und am Montag, 28. in Salzburg in der ARGE.