Erstellt am: 14. 9. 2009 - 13:25 Uhr
1 Jahr Krise - ab nach Japan?
Vor einem Jahr standen die Herzen der Banker still, als Lehman Brothers Pleite ging und die Finanzwelt auf einen Kollaps zuzuschlittern schien. Monate später, nachdem die Banken vom Staat auf Kosten der Allgemeinheit gerettet und die Börsen wieder zu brummen begannen, begannen im Rest der Wirtschaft immer mehr Räder still zu stehen: Die Krise entpuppte sich als mehr als eine Finanzkrise.
Rettungsringe aus Geld
1 Jahr Wirtschaftskrise auf FM4
- Crisis? What Crisis? - Vor einem Jahr hat die Wirtschaftskrise begonnen, an der Fassade von Banken und Konzernen zu wackeln. FM4 fragt Experten, Künstler und Studenten zwei Tage lang, wo sie heute stehen.
- Ab nach Japan? - Ist die Krise überstanden? Das ist derzeit die große Frage.
Die Wirtschaftspolitik schnürte daraufhin zusätzlich zu den Bankenpaketen noch Konjunkturpakete und verabschiedete sich kurzfristig von der Orientierung an einer rigiden Budgetpolitik (wenngleich nicht alle angekündigten Maßnahmen so richtig der Wahrheit entsprachen – so manche bereits geplante Maßnahme wurde als neu verkauft, viele Maßnahmen wurden großzügig überschätzt, und nicht alle angekündigten Summen wurden tatsächlich ausgegeben).
Mit einem gewissen Erfolg: Seit dem Frühjahr 2009 scheinen unmittelbar größere Verwerfungen und neue Turbulenzen auf den Finanzmärkten für's erste gebannt. Obwohl die realen Auswirkungen zunehmend sichtbar werden, die Anzahl der Konkurse im produzierenden Gewerbe wächst und die Arbeitslosigkeit steigt, wird vor allem auf den Finanzmärkten wieder ein Bestreben zum "business as usual" sichtbar. Das, sowie das Auftauchen positiver Frühindikatoren prägte die öffentliche Debatte und verhalf der Meinung zum Vordringen, es sei eine baldige wirtschaftliche Erholung zu erwarten. Angesichts dessen verblasst die noch vor einem Jahr demonstrierte Entschlossenheit der führenden Wirtschaftspolitiker, fundamentale Reformen in Angriff zu nehmen.
Alles nur Kosmetik?
Doch was, wenn die Gewinnmeldungen der Banken auf Bilanzkosmetik und glücklichem, kurzfristig-vorübergehendem Krisengewinnlertum in Teilbereichen beruhen? Was, wenn sich das "Aufschwung spätestens 2010"-Mantra der Wirtschaftsforschungsinstitute als Gesundbetungs-Formel entpuppt, die auf das Gelingen einer selbsterfüllenden Prophezeiung setzt, dass Menschen wegen der guten Prognosen Vertrauen schöpfen, wie wild zu konsumieren beginnen und so den prognostizierten Aufschwung erst selbst herbeiführen?
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Dann sind wir in Japan. In Japan platzte 1990 eine Immobilien- und Börsenblase, doch statt des erhofften baldigen Wiederaufschwungs versank das Land in einem "verlorenen Jahrzehnt" der wirtschaftlichen Stagnation, aus dem es mit Ausnahme weniger Jahre des zarten Aufschwungs bis heute nicht so richtig herausgekommen ist. Die nationale inflationsbereinigte Wirtschaftsleistung lag zwischen 1992 und 2001 im Schnitt bei 1,1% pro Jahr (gegenüber 3,8% zwischen 1974 und 1991) und bewegte sich immer an der Kippe zur Deflation, dem Gegenteil von Inflation. Als Hauptgrund für die Verschleppung der Krise in Japan gilt das zögerliche Eingreifen des Staates und die allzu lang gepflegte Strategie des Verleugnens und Versteckens vor den Problemen in getürkten Bilanzen.
Modelle gesucht
Dieses Mahnmal vor Augen, war die Wirtschaftspolitik in USA und EU in der jüngsten Krise bestrebt, schnell und massiv einzugreifen. Doch die angehäuften Verluste, faulen Kredite und die Überschuldung des Finanzsektors der letzten Jahre kann sie zwar zu einem gehörigen Anteil den Steuerzahlern aufbürden, aber damit auch nicht gänzlich aus der Welt schaffen. Und ob die US-Privathaushalte neuerlich zu exzessiver Kreditaufnahme bewegt werden können, und damit die US-Wirtschaft wieder zum weltweiten Konjunkturmotor machen, ist mehr als fraglich. Denn die schwere Krise der Finanzmärkte war auch eine Krise eines globalen Wirtschaftsmodells, in dem – holzschnittartig vereinfacht – die US-KonsumentInnen auf Kredit konsumierten, was Länder wie Deutschland (und in seinem Windschatten Österreich) und China verkauften.
In beiden Ländern wurde bei den Löhnen gespart, während die Gewinne und die Einkommen der Wohlhabenden überproportional wuchsen. Das führt in der Regel zu Absatzproblemen der Unternehmen – denn wer soll all die produzierten Dinge kaufen, wenn in der Lohntüte der Leute Ebbe herrscht? Für dieses Problem wurden in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Lösungen gefunden, die einander ergänzen: In den USA wurden die KonsumentInnen ermuntert, Kredite aufzunehmen, um sich zu kaufen, was mit ihren kargen Löhnen allein nicht leistbar gewesen wäre. Die Illusion steigenden persönlichen Vermögens in Form von im Marktpreis ständig steigender Eigenheime wiegte die KreditnehmerInnen während des Immobilienbooms der vergangenen Jahre in falscher Sicherheit.
Mit den Krediten wurde ein Konsumwachstum ermöglicht, das die USA zum internationalen Absatzmarkt Nummer 1 machte, und so die Absätze für die "Exportweltmeister" Deutschland (und in seinem Windschatten nicht zuletzt "Zulieferer" Österreich), China etc. sicherte. Die konnten die schwächelnde Kaufkraft ihrer ArbeiterInnen und Angestellten dadurch umschiffen, dass sie einfach mehr ins Ausland verkauften. Nun fällt dieser globale Hauptkonsument, der US-Privathaushalt, vermutlich aus, denn es ist unwahrscheinlich, dass nach so einer Krise wieder in gleichem Maße wie vorher die Privatverschuldungswelle anrollt. Jetzt muss der globale Kapitalismus schleunigst einen neuen Modus finden, wie Unternehmen ihre Produkte an den Mann bzw. die Frau bringen – also neue Absatzmärkte erschließen, oder die nächste Lohnrunde weniger mager gestalten. Das wird nicht einfach.
Deshalb sind viele ExpertInnen skeptisch angesichts optimistischer Erholungsprognosen. Wer eine schnelle Rückkehr zum "business as usual" erwarte, sei ein Fantast, schrieb etwa der Financial Times-Chefkommentator Martin Wolf im Juli. Am wahrscheinlichsten sei eine langsame und schwierige Erholung, geprägt vom Abtragen der aufgebauten Schulden im Finanzsektor und dem Risiko einer Deflation (also einem allgemeinen Sinken des Preisniveaus, was zu einem Teufelskreis führen kann, wenn Leute in Erwartung weiterer Preissenkungen Konsumausgaben ständig aufschieben). Willkommen in Japan.