Erstellt am: 14. 6. 2009 - 17:16 Uhr
I'll House You!
Mit dem schönen Wort "Wonky" bräuchte man ihm gleich gar nicht erst zu kommen, meinte der junge englische Produzent Joker noch am Freitag Abend über einem guten Glas Rotwein. Neue Namen für neue Schubladen, Katalogisierungen, das Ersinnen spezieller Subsubnischen für als speziell empfundene Musikspielarten: Seit jeher des Musizierenden großer Feind, weil es macht ja eh jeder sein ganz eigenes Ding und niemand will irgendwo mit Label beklebt ins Regal sortiert werden. Andererseits angeblich des Journalisten liebste Beschäftigung, weil es ja immer neue Trends und Hypes und Codes zu konstruieren gilt, und sonst fällt denen ja wohl eh nie was Gscheites ein. Man darf die ganze Angelegenheit mit den Musiknischen freilich nicht mit Bierernst wie die Bibel lesen, als lose Orientierungsempfehlungen werden sie wohl niemandes Schaden sein, eh klar, vorausgesetzt, wenn man mitdenkt, dass die Grenzen logisch fließend sind.

jokermyspace

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"Wonky", das bedeutet so viel wie "schief" oder "wackelig" und meint seit rund einem Jahr ein etwas aufgekratzteres Derivat von Dubstep, das auch dem Humor nicht abgeneigt ist. "Wonk" kommt mit knalligerer Attitüde daher und hat keine Angst vor Quatschsamples, Synthiepop-Einlagen und sleazy R’n’B. Das Wilsonic-Festival hat mit Joker, Hudson Mohawke, beide ganz große Sets am Freitag, und dem Youngster Rustie drei heiße Eisen, die locker unter dem Etikett "Wonky" laufen, ins Programm gebucht, ganz, ganz guter Riecher. Die Artists selbst wollen den Begriff "Wonky" freilich nicht hören, nicht zuletzt auch weil von Seiten der Medien im Wort nicht selten Drogenaffinität mitassoziiert wird.
Samstag abend trifft uns nach dem geölten Eingrooven zu Joker und Hudson Mohawke am Vortag der Hammer der unangenehmen Festivalankündigung: Wonderboy Rustie, der gerade eine EP für Warp Records vorbereitet, auf die so ziemlich alle warten, hat seinen Flug verpasst. Der Gig ist abgesagt. Nix "Wonky". Im UK regiert mittlerweile ohnehin schon wieder eine andere neue Unternebenspielart der fetten Bassmusik, die, wenngleich sie jetzt nicht unbedingt SO anders klingt, immerhin mit dem besten Genrenamen ever um die Ecke kommt: "Funky". Nicht "Funky Bass" oder "Funky Step" oder "Funky Beat", bloß: "Funky". "Was legt’n der Typ so auf?" "Funky." Das soll mal jemand toppen.

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In the Groove
Funky im althergebrachten Sinne ist auch das Konzert von Jazzanova in Big-Band-Besetzung featuring Stimmgott Paul Randolph plus Bläser und Gerassel und allem Trara. Was noch vor ein paar Wochen für das Konzert von Jazzanova beim Springfestival galt, gilt auch heute beim Wilsonic-Festival noch, es war also sehr super. Wenngleich es in Bratislava einen Tick feierlauniger, tanzfestivalmäßiger und druckvoller ins Publikum zischte. Etwas länger auch. Das zahlreicher als am Freitag vor der Livebühne erschienene Publikum hat es gerne angenommen und mit sexy Hüftschwung belohnt. Hit me!

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Ein Mann und seine Maschinen
Wenn sich die ganz großen Namen gerade nicht so dick im Programm drängen, bleibt Zeit, Musik zu hören, mit der man bislang noch keine Bekanntschaft gemacht hat. Als erster Act im großen Zelt begegnet uns am Samstag Abend eine Ein-Mann-Kapelle namens Disasteradio – also DEN Namen, ja, den hat sich der Herr besonders gut ausgedacht. Als vollelektronischer Alleinunterhalter werkt der Mann aus Neuseeland da kopfnickend und, so scheint’s, hochstrombetrieben an seinen Synths und am Powerbook und rockt so einen konfettistarken Beatkarneval aus den Geräten, da muss schon auch mal getanzt werden. Mit 80er-Power-Fanfaren, cartoonmäßigen Samples, freundlich stolpender Bassdrum, good ol' Robo-Voice und Quietschstimmen im Gepäck darf man sich den Herren Disasteradio als glückliche Kreuzung von Schrottplatzelektroniker Dan Deacon, Jason Forrest, dem Meister von Happy Breakcore, und 80er-Schmalzorgel Jan Hammer vorstellen. Die Stücke heißen dann "Awesome Feelings", da wird dem sympathischen Ausdruckstänzer niemand widersprechen wollen. Demnächst live in Wien. Watch out!

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Where We At
Wie man so da und dort hört, ist der Sound der Stunde gar nicht mehr Minimal Techno, sondern endlich wieder richtig echter House mit Herz und Seele und Deepness. Quasi eigenhändig und zusammen mit der Posse von Innervisions hauptverantwortlich für die Neuinstallierung von House auf den Dancefloors dieser Welt ist da zweifelsfrei Henrik Schwarz gewesen, jener Mann, der den wohl besten Beitrag zur DJ-Kicks-Reihe zu verantworten hat, gerade erst mit seinen Kumpels Dixon und Âme eine beinahe schon lächerlich großartige Mix-CD zum Thema "Minimal Music" zusammengestellt hat und als DJ sowieso ein Meister der Smoothness ist.
Sein Liveset ist ein Höhepunkt des Festivals, wie viel da hinter Bildschirmflimmen und mit Knöpfchendrehen nun wirklich "live" ist, das ist da tatsächlich nebensächlich. Die Beats kommen weich und gut, das Publikum tanzt und tanzt, Henrik Schwarz bleibt erwartungsgemäß auf der druckvoll angejazzten Seite, mit einigem an Blechbläseraufkommen und klassischen House-Pianofiguren in den Tracks. Den größten Hit, "Walk A Mile in My Shoes" von Coldcut im Henrik-Schwarz-Remix, gibt's leider nicht zu hören, das wäre wohl zu einfach gewesen. Dafür aber "Imagination Limitation", Henrik Schwarz' wohl beste Eigenproduktion. Eine Stunde voller Erleuchtungen, die Füße sind müde, zu Recht.

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Berlin Calling
Wenn ein paar Elektroniker nebeneinander in einer Reihe hinter ihren Pulten stehen, heißt das immer, das sei kraftwerkmäßig. Kraftwerkmäßig stehen Moderat hinter ihren Pulten, es blitzelt und blinkt. Auf die Superboygroup der Berliner Rumpelelektronik haben alle gewartet, auch die Zweifler. Auch wenn man sich vielleicht nicht mehr so ganz damit anfreunden mag, was das Berliner Label BPitch Control in den letzten Jahren so veröffentlich hat, sind Moderat vor allem live der Beweis dafür, dass bei Bündelung unterschiedlicher Stärken bisweilen, Achtung, mehr als die Summe der einzelnen Teile das Ergebnis sein kann. Die Komponenten gleichen sich bei Moderat aus, Sascha Ring alias Apparat steuert seine sphärische Emo-Elektronik bei, greift zur Gitarre und singt, während es die zwei Herren Modeselektor ordentlich in den Kisten rumpeln lassen, ihren üblichen Ragga-Faktor dabei aber glücklicherweise fast gegen Null gefahren haben. So gestaltet sich ein hervorragendes Konzert! Zum Tanzen und zum Schmachten und Schwelgen. Die beste Darbietung von Live-Elektronik, schon auch weil wirklich "live" und wirklich "elektronisch", die man zur Zeit erleben kann. Die Knochen sind morsch, draußen werden schon die Eier in die Pfanne geschlagen, wir kommen wieder, Bratislava, gute Nacht.

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