Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Comedown nach der Euphorie"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

24. 5. 2009 - 13:39

Comedown nach der Euphorie

Dass Tag 4 beim Springfestival programmtechnisch nicht ganz so funkelt wie die Tage davor, heißt nicht, dass es nicht doch noch einiges Großes zu erleben gilt. Jazzanova zum Beispiel.

Es gibt auch den Tag, den Tag mit Sonnenlicht und Ladenöffnungszeiten, selbst beim Springfestival in Graz. Ist man gerade nicht mit Schwimmengehen und Wanderungen auf den Schlossberg beschäftigt, spaziert man ins für vier Tage im Kunsthaus eingerichtete Studio von FM4, um dort Drum'n'Bass-Altmeister Goldie dabei zuzusehen und zuzuhören, wie er ganz klassisch, rauchend und ein Metalheadz-T-Shirt zur Schau stellend, ein schönes DJ-Set zusammenklopft. So häufig wie Frühstück kommt das ja auch wieder nicht vor.

GOLDIE

wolfANG BAUCH

Goldie
goldie

wolfgang bauch

goldie

wolfgang bauch

Rockin' You Eternally

Wie schon an den beiden Tagen zuvor eignet sich auch am Samstag das Orpheum ausgesprochen gut für einen Start in die Nacht. Es ist kurz vor zehn, der Zuschauerraum gut gefüllt und das Publikum im Durchschnitt grob über den Daumen gepeilte zehn Jahre älter als gestern bei der Discorock- und Nu-Rave-Sause mit WhoMadeWho und The Whip. Auf der Bühne stehen acht Herren, ihre Aufgaben verteilt auf Bass, Gitarre, Schlagzeug, Tasten, Blasinstrumente, Percussion, Powerbook und Gerassel, es handelt sich um die mit einem Haufen Gastmusikern zu einem Miniorchester aufgeblasene Liveumsetzung von Jazzanova.

jazzanova

plh

Jazzanova - Die Band
jazzanova

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Das Berliner Kollektiv Jazzanova, das sich schon seit über zehn Jahren etliche Großtaten im Graubereich zwischen Nu Jazz, House, Brasil und gefühlten 14 Zwischennischen auf die Fahne schreiben kann, besteht für gewöhnlich ja aus sechs DJs und Produzenten, heute sind 2 davon auf der Bühne zugegen, links hinten in der Ecke.

Nach einer ersten Instrumentalnummer kommen eine Sängerin, an dieser Stelle leider unbekannt, und Paul Randolph auf die Bühne. Paul Randolph hat schon so ziemlich alles gemacht, er ist Produzent und Bassist mit Homebase Detroit, hat bei Carl Craigs Innerzone Orchestra mitgewirkt und ist mit der Stimme Gottes gesegnet, das werden auch Atheisten zugeben müssen.

jazzanova

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Paul Randolph
jazzanova

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Das Konzert der Big-Band-Umsetzung Jazzanova verfolgt dann eine ziemlich perfekte Dramaturgie, in der sich funky Uptemponummern mit dickem Bläsereinsatz, langsame Soul-Schleicher und housige Instrumental-Nummern, bei denen die Band schon auch mal abgespeckt wird und die Querflöte das Zwitschern der Vögel hörbar macht, sanft umschmiegen.

Im Publikum wird stilvoll getanzt, Paul Randolph ist verschmitzter Frontmann, großer Charmeur vor dem Herren, "Graz, Lookin' Good Tonight!", und sexy Ausdruckstänzer mit dem guten Hüftschwung. Wenn dann am Schluss auch noch die, ja, Weltnummer "I Can See" gespielt wird, die übrigens auch schon das Duo Holy Ghost!, das am Mittwoch hier war, remixtechnisch veredelt hat, dann lässt das Konzert aber wirklich gar nichts mehr zu vermissen übrig.

jazzanova

plh

Sexy Time
jazzanova

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2 Teile wirklich Jazzanova

Durch die Nacht

Auf den Staßen von Graz sind nicht gerade Menschenmassen vorzufinden, das Gewusel und Kribbeln, das in den vergangenen Tagen durchs Kunsthaus gegangen ist, wo den Musikern und DJs Salate mit Hühnerstreifen und Salate ohne Hühnerstreifen aufgetischt worden sind, ist verebbt. Wie ein Samstag Abend fühlt sich das alles nicht an, naja, eher wie Samstag Abend nach drei Tagen dichtem Partyprogramm.

Im ppc ist es gegen halb 12 trotzdem sehr voll und, wie immer, SEHR heiß. Auf dem kleinen Floor im ersten Stock hat Cherry Sunkist, die eigentlich nach Plan erst viel später hätte auftreten sollen, das Publikum gut unter Kontrolle. Unter dem Namen Cherry Sunkist baut Karin Fisslthaler aus Linz rumpelnde und schön scheppernde Elektronik mit politisch durchwehtem Unterton, die das eine oder andere Mal schon auch mit der rockenden Attitude von Le Tigre daherkommt. Das ist schön anzuschauen, wie sich rotes Kleid von Cherry Sunkist und roter Vorhang im Hintergrund (Achtung: David-Lynch-mäßig) visuell Bälle zu spielen, sehr gut anzuhören sowieso und freilich exzellent als Einladung zum Tanze zu verstehen.

cherry sunkist

plh

Cherry Sunkist
cherry sunkist

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cherry sunkist

plh

Cool Kids Can't Die?

Das Berliner Duo Kissogram, aktuell um einen Schlagzeuger erweitert, hat sich schon das eine oder andere Mal als gute Liveband, gut im Sinne von: Bringt die Party zum Rocken, erwiesen. Die Zusammenführung von Indierock, Discobeats und cool-schnutiger Berlinmäßigkeit, die Jonas Poppe und Sebastian Dassé da paraktizieren, ist ja nicht selten ein Garant für extatisch aufjohlende Konzerthäuser. Das funktioniert auch heute abend im großen Raum des ppc ganz gut, Alleinstellungsmerkmale haben Kissogram leider immer noch nicht vorzuweisen, und, naja, Graz ist auch schon ein bisschen müde.

kissogramm

plh

Kissogram
kissogramm

plh

kissogramm

plh

Every Once in a Blue Moon

Zumindest stehen sie da mal kurz gemeinsam hinter den Plattentellern. Gerade hat Richard Dorfmeister aufgelegt, da kommt Peter Kruder. Gemeinsame Auftritte der beiden Großmeister des "Sounds of Vienna" (das hieß irgendwann einmal so) sind ja mittlerweile sehr selten geworden, im Rahmen der Nacht von G-Stone im Dom im Berg darf also wieder einmal "Kruder UND Dorfmeister" im Programmheft geschrieben stehen. Peter Kruder beginnt dubby und gelangt überraschend schnell und unüberraschend super bei Techno an, punktuelle Unterstützung kommt von Ras T-Weed aus Birmingham und Sugar B aus, ähm, Wien, wie fast immer großartig, als MCs und Anheizer. Der Dom ist, man ahnt es schon, voll, voll und heiß, und stellt sich nach drei Tagen High-Energy-Ravings nicht mehr gerade als die sympathischste Location des Festivals dar. Der Aufenthalt war also ein zeitlich beschränkter, es galt noch einen bislang unbekannten Club zu erkunden. Ob es denn an diesem Abend noch zur herbeigesehnten Reunion von Kruder und Dorfer oder Ähnlichem gekommen ist, muss anderswo nachgelesen werden. Oder hier unter den Text hingepostet werden.

richard dorfmeister

plh

Richard Dorfmeister
peter kruder

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Peter Kruder
sugar b

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Sugar B
sugar b

plh

Hello, Empty Room!

Eine Opernpassage gibt es also auch noch! 14 Locations und gefühlte 1300 Acts und DJs hat das Springfestival anzubieten, und auch wenn wir es hier freilich mit einem sehr guten Festival zu tun haben, kann man sich da und dort dann doch ein bisschen über die Sinnhaftigkeit der Opulenz des Programms den Kopf zerbrechen.
Die Opernpassage ist leer, von weißem Leder dominiert, und Ben Mono legt auf, vor ihm war ein Herr von Jazzanova dran. Das es hier leer ist, ist nicht die Schuld von Ben Mono, denn der ist ein ganz ein Guter, hat Platten bei den Münchnern von Compost veröffentlicht und spielt Bass in der Liveband von Munk. Sein Set beginnt er mit dem hervorragenden Supermayer-Remix von Rufuswrainwrights "Tiergarten", vereinzelt gleiten einsame Tänzer über den Dancefloor. Sie werden es versäumen, wie viele andere vieles andere die vergangenen vier Tage, wenn der Beatboxmeister Beardyman aus London den kleinen Raum der Postgarage heute nacht noch einmal zum Kochen bringt.

ben mono

plh

1x Jazzanova +1x Ben Mono + 1x keine Leute
ben mono

plh

P.S.: Anregung zur Programmerweiterung fürs nächste Jahr:

schranzer

plh