Erstellt am: 14. 6. 2009 - 16:39 Uhr
Noch mehr Mythen und Motivationen
Steven Soderberghs seltsame Annäherung an den Mythos rund um Che Guevara ist nicht der einzige Versuch derzeit, eine mythenumrankte und kontroverse Person filmisch greifbar zu machen.
Noch eine Legende, noch ein Zweiteiler, der um Gewalt, Macht und auch Politik kreist. Ende der Siebzigerjahre avancierte der Pariser Jacques Mesrine zu einem der meist gesuchten Verbrecher und galt in Kanada und Frankreich als Staatsfeind Nummer eins.
Der Mann, der in soliden Verhältnissen aufwuchs, streunt schon als Jugendlicher nachts in Bars und Bordellen herum, begeht etliche Diebstähle und Autoeinbrüche. 1959 kehrt Mesrine vom Algerienkrieg zurück, ein radikaler Einschnitt in Sachen emotionaler Abstumpfung. Mit Freunden taucht er ganz ins Zuhälter- und Glücksspielmilieu ab.
Monsieur Mesrine begeht private Rachemorde, verdingt sich als Berufskiller bei Gangsterfehden und handelt mit Falschgeld. Immer wieder landet er im Gefängnis, aber sogar aus den sichersten Zuchthäusern gelingt ihm die Flucht. 1973 wird Mesrine erneut verhaftet, kann zwar während der Verhandlung fliehen, doch eine spezielle Einheit der Polizei stellt ihn.
Senator Film
1974 nimmt er im Gefängnis an Hungerstreiks teil, um Haftverbesserungen zu erreichen, schließlich wird er in einen eigens gebauten Hochsicherheitstrakt verlegt. Dort schreibt Mesrine seine Autobiografie, kokettiert mit terroristischen Idealen, verkauft sich als antiautoritärer Rebell, bricht erneut erfolgreich aus.
Im Oktober 1979 wird der Staatsfeind Nummer eins, dessen Präsenz die Grande Nation erschüttert, von einem Sonderkommando der Polizei in seinem Auto gestellt und von unzähligen Schüssen zerfetzt.
Ein Einbrecher also, ein Bankräuber, Kidnapper, Mörder. Aber auch ein Schriftsteller, selbsterklärter Sozialrevolutionär, ein Frauenheld und Mann der tausend Masken. Für die einen war Mesrine ein rücksichtsloser Gewaltverbrecher, für andere ein moderner Robin Hood.
Senator Film
Regisseur Jean-François Richet geht diesem düsteren und gerade in seiner Widersprüchlichkeit hochspannenden Charakter in dem Crime-Biopic Public Enemy No. 1 nach. "L'instinct de mort" nennt sich der erste, eben bei uns angelaufene Teil, die Fortsetzung folgt im Juli.
Im Gegensatz zu Steven Soderberghs Che-Studie funktionieren die beiden Mesrine-Streifen kaum unabhängig voneinander, schon ein Trailer am Ende von "Mordinstinkt" verweist frech auf das Sequel "Todestrieb".
Richet bemüht sich auch nicht um einen ungewöhnlichen Zugang wie der amerikanische Regiekollege. Ganz straight, in chronologischer Reihenfolge, zeigt der Film, wie aus einem kleinen Pariser Kriminellen ein Gespenst wurde, das den französischen Staat in Angst versetzte.
Senator Film
Mit enormem Aufwand und illustrer Besetzung, von Ludivine Sagnier und Mathieu Amalric bis Gérard Depardieu, erweist sich das Portrait des Star-Gangsters als französisches Prestigeprodukt.
Dabei ist "Public Enemy No. 1" dennoch im Grunde eine One-Man-Show: Vincent Cassel gibt sich das volle Method-Acting-Programm, inklusive heftiger Gewichtszunahme, und beeindruckt mit einer darstellerischen Tour de Force.
Eines bleibt der Mesrine-Film aber ebenso wie Soderberghs Che-Streifen schuldig: Einen wirklich tiefen Einblick in die Hauptfigur. Man sitzt endlose Minuten im Kino und inmitten all der Kugelhagel, Sexzszenen und Gewaltausbrüche erschließen sich diese Männer und ihre Motivationen kaum.
Senator Film