Erstellt am: 13. 6. 2009 - 13:32 Uhr
Mythen und Motivationen
Ein Mann, ein Mythos, ein Märtyer. Millionen Menschen rund um die Welt verbinden Ernesto Guevara de la Serna, genannt Che Guevara oder einfach Che, vor allem mit einem ikonenhaften Antlitz. Einem bis zur völligen Unkenntlichkeit romantisierten Symbol für Widerstand, Emanzipation und Rebellion, vertraut von unzähligen T-Shirts, Postern, Stickern, Plattencovern und Kaffeehäferln.
Durch das Kino begann der Argentinier gleich nach seiner Ermordung in Bolivien 1967 zu geistern. Ausgerechnet das feindliche Amerika setzte dem radikalen Marxisten, Arzt, Politiker, Militärtheoretiker und Guerillaführer am schnellsten ein filmisches Denkmal.
Richard Fleischer, robuster Handwerker aus der Kapitalistenhochburg Hollywood, dreht 1968 mit dem damaligen Superstar Omar Sharif ein Che-Biopic, das von der Kritik einheitlich verrissen wird. Später karikieren Woody Allen und Monty Python die Revoluzzer-Ikone, etliche Dokumentarstreifen setzen sich mit Guevera auseinander und er tritt sogar im Musical "Evita" auf.
Senator Film
2004 zeigt der brasilianische Regisseur Walter Salles die "Reisen des jungen Che" und folgt dem 23-jährigen Protagonisten auf einem Motorrad-Trip durch Südamerika, der für essentielle Erkenntnisse sorgt. Gael Garcia Bernal erhält für "Diarios De Motocicleta" einiges Lob, der Film selbst eher weniger. Zu idyllisch, bieder, brav lautet das Urteil der meisten Rezensenten.
Nicht leicht hatte es auch Steven Soderbergh mit seiner Annäherung an das Thema bei der Premiere in Cannes. Der Filmemacher, der konsequent zwischen großem Unterhaltungskino und kleineren Arthouse-Ausflügen pendelt, versucht, sich in 262 Minuten, geteilt in zwei Teile, der sagenumwobenen Figur Che zu nähern.
Dabei ist Soderberghs Epos zunächst mal ein mutiges Experiment. Kein klischeehaftes Biopic, kein Aufrollen sämtlicher Stationen, die für Guevara wichtig waren. Keine Psychologisierung oder herkömmliche Dramaturgie. Keine Erklärungen, Verklärungen oder Verurteilungen.
Senator Film
"Che - Revolución", der erste Teil, erzählt vom Bürgerkrieg in Kuba. Schritt für Schritt arbeiten sich versprengte Guerillatrupps in den späten fünfziger Jahren gegen das Regime des Diktators Batista vor.
Aus dem linksradikalen Arzt Ernesto Guevara ist schon lange ein bewaffneter Rebell geworden. Im Laufe dieser Jahre verwandelt er sich jedoch zur militärischen Instanz. An der Seite von Fidel Castro erobert er Dörfer und Städte, bis zum Sieg über das Regime.
Soderbergh legt seine Che-Studie bewusst spröde und auch langatmig an. Wir sehen endlose Momentaufnahmen aus dem Dschungelkampf. Szenen aus den Ausbildungslagern. Diskussionen. Schusswechsel.
Beinahe beiläufig und dennoch sehr überzeugend schlüpft Benicio Del Toro in die Rolle des zigarrenpaffenden Che. Neben dem Oscarpreisträger agieren unbekannte Gesichter, was den Realismus verstärkt.
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Nur in dazwischengeschnitten Interviewszenen, die eine UN-Konferenz in New York nachstellen, erfahren wir etwas über die Ideologie des Che Guevara. Seine späterer Hang zur Bürokratie, die unzähligen gnadenlosen Todesurteile, die er unterzeichnet, seine Affairen, all das wird auch im zweiten Teil "Che - Guerilla" (Start im Juli) nicht angedeutet.
Steven Soderbergh hat eine eigenwillige filmische Meditation geschaffen, deren formale Strenge beeindruckt. Vielleicht ist die distanzierte Machart der einzig vertretbare Weg, eine so mystifizierte Figur auf die Leinwand zu bringen.
Gleichzeitig verlässt man das Kino völlig unberührt und gleichgültig. Eine seltsame, zwiespältige Erfahrung.