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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 6. 2009 - 17:41

Journal '09: 12.6.

Über die jahrelang unhinterfragte Verschiebung der Grenzen, was die subjektive "Sicherheit" betrifft, und was das mit der MQ-Diskussion im Nachhall der jüngsten politischen Geschehnisse zu tun hat.

"Die dunkle Wolke der Verzweiflung liegt über diesem Land", sagte Fred Schreiber Mittwoch abend.

Unlängst hat ein alter Bekannter ein Plakat von einem Konzert ausgegraben, bei dem wir dabei waren:
Nürnberg, Zeppelinfeld (das ehemalige Reichparteitags-Gelände der Nazis), Open Air mit Bob Dylan, 1. Juli 1978.

Dylan stimmte "Masters of War" an und sagte sowas wie "Ich weiß, wo und warum ich diesen Song heute spiele."

Mein Bekannter kommentierte das so:
"… und einen Augenblick dachten wir alle, eine bessere Welt ist wirklich möglich."

Freds Wolke sagt: Vergiss es; geht sich nicht aus. Derzeit zumindest.

In den letzten Tagen musste ich viel reden.
An sich kein Problem (ich muss immer viel reden, nicht weil das meine Veranlagung ist, aber weil ich einfach immer auf irgendetwas angesprochen werde, wenn ich draußen bin – was ja auch gut so ist), nur angesichts einer mittleren Verkühlung ist das womöglich schneller anstrengend – wahrscheinlich hab ich's auch deshalb schneller gemerkt und war schneller angenervt.

Denn die Themen sind nicht erfreulich.
Und viele Haltungen vieler an sich guter Menschen zu diesen unerfreulichen Themen sind noch unerfreulicher.

Die Schuld-Umkehr-Zuweiser

Es gibt z.B. den, der für jedes persönliche Erlebnis erst einmal einen Beweis mit Stempelmarke haben will, weil er prinzipiell davon ausgeht, dass die Dinge nicht wahr sind (letztlich ist er ein erfolgreiches Produkt des letzten populistischen Wahlkampfs, in dem diese Strategie der Umkehrung von "Schuld"-Fragen ja auch so gefahren wurde). Und plötzlich ist der, der anmerkt, dass etwas scheiße läuft, der Urheber des Problems.

Wozu, frag ich mich dann, wenn solche Figuren auftauchen, überhaupt reden mit Menschen, die einem sowieso nichts glauben wollen/können? Klar, es sind von ihrer Lebenssituation Verbitterte, die ihre Angst vor der Gegenwart hinter einer Arroganz den besser (Aus-)Gebildeten gegenüber verstecken - in der ein "Glaub ich dir nicht!" die einzige Waffe ist; klar, es handelt sich um einen Akt der Verzweiflung, um einen Hilferuf - weil sonst würden diese Menschen ja nicht mit dir reden wollen.

Und die verteidigen dann den Einsatz von Securities mit Neonazi-Symbolik bis zum eindeutigen Beweis einer rassistischen Bemerkung (und dann auch drüber hinaus).
Und treiben damit dasselbe Spiel wie die politisch agierenden Populisten: Schaun was geht, salonfähigmachen, was möglich ist, sind schnell mit dem Begriff der Lüge bei der Hand um sich und ihr eigenes Reinkippen in die Blockwarte-Mentalität des geistigen Einbunkerns zu rechtfertigen.
Das tut man am cleversten, indem man künstlich Feindbilder aufbaut; wo man dann die, die sich gegen Tendenz stellen, zu illiberalen Freiheits-Verweigerern aufblasen kann.
Als ob der Liberalismus (wie auch der Humanismus) sich nicht im Kern auch dadurch auszeichnet, dass alles eben nur so weit okay ist, solange jemand anderer nicht zu Schaden kommt.

Die Angst vor den großen Symbolen

Oder es gibt den, den die Befindlichkeits-Schwellen anfucken.

Der auszuckt, weil sowas wie die MQ-Debatte losgebrochen ist, und sich persönlich davon beleidigt fühlt, dass es nicht bei anderen Vorfällen, oder anhand anderer Symbole ebenso großen Aufschrei gegeben hatte. Dass die Punkte, bei denen ihre persönliche Schwelle überschritten wurde, für sowas wie eine Verständlichmachung nach außen völlig untauglich sind, interessiert sie nicht.
Dass es immer richtiger ist, einen symbolischen Focus herzunehmen, der viele betrifft und vielen eine neue Praxis vor Augen führt, anstatt sich mit einem theoretisch wohlklingendem Appell ohne Anlass hervorzutun, ist ihnen nicht klarzumachen - löst Vorwürfe aus, die man aus alten Basisdemokratie-Plenen kennt; und ihr Scheitern bei diesen Gelegenheiten macht sie dann wütend, wenn's bei anderen Anlässen wie von selber flutscht.

Die dann herumknurren über die Ungerechtigkeiten der Debatte, aber komplett alternativlos sind, wenn man sie nach ihren Wünschen befragt. Und auf die Lichterketten verweisen, die sich wieder zu organisieren beginnen. Als ob diese, an und in sich wichtigen Statements, andere und anderes, wie die Debatte an allen Ecken und Enden ersetzen könnten.

Beide Typen sind in ihrer eigenen Kleinlichkeit gefangen.
Die Verweigerung des über den eigenen inneren Zeitplan hinausreichenden Denkens und Handels zerreißt sie.

Und das sind nur zwei, die mir zufällig aufgefallen sind, in diesen letzten Tagen unter der Wolke - es wird wesentlich mehr davon geben, mehr, die wegbröseln und aufgeben, sich aufgeben, die Wahrnehmung und die Wehrhaftigkeit be- und einschränken, sich selber zu Opfern stilisieren.

Die unmerkliche Verschiebung der Grenzen

Es hat wenig Sinn, sich ausschließlich in alte Denkmuster einzubunkern, ausschließlich in Gemeinplätzen zu denken und zu handeln, wenn sich die Parameter komplett verschoben haben.

Wo vor Jahren noch sowas wie Selbstbestimmung und Eigenverantwortung die Norm war, wird heute, ohne eine Sekunde drüber nachzudenken, ausgesourcet. Und damit auch Denken verweigert und Mit/Nachdenken abgetötet.

Und das hat nichts mit dem überwachungsstaatlichen Irrsinn zu tun. Der zwingt den kleinen Party-Macher oder das große MQ nämlich nicht einen Millimeter lang eine in großen Feldern dubiose Sicherheits-Branche zu beschäftigen; das liegt vielmehr an einem kollektiven Faulbett, das von Law & Order-Typen, denen (in aller Heimlichkeit) so viele, und auch so viele in der alternativen Szene recht geben, erfunden wurde, um genau diese Auflagerung des selbstständigen Denkens herbeizuführen.

Die Law&Order/Sicherheits-Hysterisierung hat ja nur genau zwei Hintergründe: Den ökonomischen (man schafft eine neue profitable Industrie) und den politischen (man kontrolliert Menschen über ihre Ängste, ihre Uninstinkte, ihre grausigen Reflexe).

Dass sich dann innerhalb dieser neuen (sträflich unhinterfragten) Selbstverständlichkeit für jede Nichtigkeit "Sicherheit" zu organisieren, eine komplette Bewusstlosigkeit für die Umsetzung breitgemacht hat, ist der nächste Schritt zur völligen Selbstentmündigung.

Security im Spiegel der Geschichte...

Ein Beispiel aus eigener Anschauung.
Vor vielen Jahren, als FM4 im Rahmen seiner damaligen Bundesländer-Touren noch ein Fest in Klagenfurt aufgezogen hat, überraschte uns der lokale Co-Produzent mit einer Security-Truppe, die alles bis dahin Gesehene übertraf: Schwere Gestapo-Ledermäntel, deutlich zur Schau getragener Nazi-Chique. Man (also die politischen Entscheidungsträger, die diese Party auf dem Uni-Gelände gestattet hätten) habe, entschuldigte sich der lokale Veranstalter, ihm diese Sicherheitsfirma mehr oder weniger deutlich anbefohlen. Wir haben zumindest eine Entmantelung erreicht (auch weil den meisten dieser quasi Uniformierten gar nicht bewusst war, wie das rüberkommt) und danach immer auf Information über die (bei solchen Veranstaltungen vorgeschriebenen) Securities bestanden.

Unlängst, bei einem ganz anderen Event, einem Anti-Rassismus-Open Air im Wiener Prater, mussten sich der Kollege Zikmund und ich von zwei Sicherheits-Kerlen auf das Absurdeste anlabern (samt Androhung von sonstwas) lassen, weil wir auf dem Gelände lustig mit jungen Menschen sprachen, die zuvor versucht hatten, sich in den Backstage-Bereich zu schwindeln. Weil der lange Herr Robert und ich uns schon rein prinzipiell sehr wenig gefallen lassen, artete der "Dialog" dann in einer "linkslinke Studentenzecken"-Arie der Bullies aus, der dann eine Entschuldigung eines anderen Securities, der sich für den Auftritt der Kollegen genierte, folgte. Das wie gesagt auf einer Anti-Racism-Bühne der Gemeinde Wien.

Ganz im Sinne der Koalition der dunklen Wolke

Was ich damit sagen will: Es ist nicht so sehr eine Frage der Kostümierung, sondern eine Frage des Prinzips, das dahintersteht.
Wenn die Überwacher, wenn die Security-Industrie (die sich zu einem erklecklichen Teil als noch weniger an moralische Konventionen gebunden sehen, als es die Polizei tut), wenn die dort versammelten Kinder und Enkel der Blockwarte-Generation des Herrn Karl das Gefühl der Zuschreibung von Macht vermittelt bekommen, dann werden sie sie ge/missbrauchen, ganz automatisch und selbstverständlich.

Das ist im Sinne der Rechtspopulisten.
Das ist im Sinne der Unsicheren und Ängstlichen.
Das ist im Sinne der Paranoiden.
Das ist im Sinne der Zusammenraffer unter den Besitzenden.
Das ist im Sinne der Verbitterten.
Das ist im Sinne derer, die ihre eigene Courage, ihre eigene Zusändigkeit ausgelagert haben, weil sie das Prinzip der "Sicherheit" unhinterfragt übernommen haben.

Muassma hoid - also mochma.
Warum eigentlich, und mit welchem Ziel? Egal.
Die neue Selbstverständlichkeit hat die Frage nach dem Sinn überwuchert.

Dass selbst jemandem wie dem MQ-Verantwortlichen Wolfgang Waldner, also jemandem, der sowohl im Kunst- als auch im Management-Bereich dauernd mit derlei Überlegungen zu tun hat, ein derartig katastrophaler Denk-Aussetzer passieren kann, kann nichts als ein weiterer der vielen Weckrufe sein, die in den letzten Jahren schellen und schellen (und viel zu wenig auslösen).