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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

12. 5. 2009 - 09:58

Tanz der Elefanten

Morgen eröffnet das Filmfestival von Cannes. Eine Liebeserklärung. Eine Hasstirade. Ein Überblick. Eine Resignation.

Das Filmfestival von Cannes auf fm4.orf.at

Cannes ist wie eine Gummipuppe, die alljährlich aufgeblasen wird und mit neuen Sinnesreizungs-Features um die Gunst der Angereisten buhlt. Fast schon wieder romantisch, diese Vorstellung einer Instant-Filmmesse mit der Compétition und dem Beigaben-Panorama Un Certain Regard als Aushängeschildern, den Marktständen in den ausladenden Kellerhallen des Palais du Cinema als eigentlichem Zentrum, als Herz und Magen des Festivals. Trotzdem: könnte mal jemand die Luft rauslassen?

Vermutlich nicht, denn in Cannes galoppieren die Selbstläufer um die Wette, hier erhalten auch Filme Publicity, die unter anderen Umständen an 99% der anwesenden Journalisten sang- und klanglos vorbei projiziert werden würden. Das ist natürlich gut, die Wirkkraft bestimmt den kommerziellen Wert bestimmt die Größe dieses Festivals. Das ist natürlich auch schlecht, da man es dann zuhauf mit stümperhaft formulierten und ungenügend recherchierten Texten zu tun bekommt, geschrieben von Leuten, die Jim Jarmusch für das Limit der Zumutbarkeit, die Speerspitze der Film-Avantgarde halten, dann aber halt doch auch über den auf Digitalvideo gedrehten philippinischen Wettbewerbsfilm schreiben müssen. Wieso müssen? Weil er in den Wettbewerb von Cannes eingeladen worden ist, womit sich automatisch seine Wertigkeit mit erklärt.

Cannes Sujet 2009

Festival Cannes

Looking for Nothing: eine Szene aus Antonioni's "L'avventura", Zentralmonument des Kino-Modernismus, als Ankünder des diesjährigen Filmfestivals von Cannes

Old Joy

Das schwierigste, wenn man in der Cannes-Maschine intellektuell überleben will, ist es, sich selbst zu vertrauen, auf seine eigenen Gefühle zu hören. Zurück zur Primitivität muss der Filmjournalismus in solchen Ausnahmesituationen: weil jeder Kritiker auch Mensch ist, Kino immer menschlich ist, das Wahrgenommene in den Zuseher rein fließt, ihn beeinflusst. Die Beschreibung dessen, was dabei in einem vorgeht, welche Assoziationsketten aufgefädelt werden, das Festhalten des Erlebten, das muss heute Kern einer jeden Filmkritik sein, die sich nicht selbst abschaffen will. Denn was hat Name-Dropping im Wiki-Age mit seinen jederzeit jederorts abrufbaren Informationen noch für einen Wert? Ich stelle mich auch in diesem Jahr wieder der Herausforderung, toure durch Cannes vom ersten bis zum letzten Tag, werde diese Plattform als mein Journal verwenden, was nicht heißt, dass ich täglich, sondern dass ich regelmäßig schreibe. Worüber? Das entscheiden meine Lüste und Launen, irgendwas von den unten stehenden Filmen wird aber sicherlich Erwähnung finden.

Baukasten, Schaukasten

Ein bisschen wie ein fehlgeleiteter Copy/Paste-Befehl aus dem Cannes-Zentralrechner sieht sich das diesjährige Wettbewerbs-Programm ja schon an, wo Silberritter wie Michael Haneke mit Das weiße Band (ein aus Kinderperspektive erzähltes Drama aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, des Regisseurs erster deutschsprachiger Film seit "Funny Games", 1997) oder der spanische Geschichtenverschachtler Pedro Almodovar mit Los Abrazos Rotos, laut Presseinformationen erneut eine Balanciererei zwischen Meta-Ebenen, autobiografischen und filmhistorischen Referenzen, um die Goldene Palme kämpfen dürfen.

Erweitert wird das Panoptikum um eine Generation jüngerer Autorenfilmer wie Park Chan-wook (dessen Vampirfilm Bak-Jwi seine Weltpremiere feiern wird) oder Johnnie To (Vengeance), richtige Überraschungen gibt es aber nicht. Dass Quentin Tarantino seinen auf einem (empfehlenswerten) Grindhouse-Klassiker von Italo-Trashfilmer Enzo G. Castellari basierenden Kriegsfilm Inglourious Basterds an die Croisette bringt, war ebenso absehbar, wie dass Lars Von Triers Antichrist dort vom Kreuz steigt.
Ich freue mich auf viele Filme: Sam Raimis Schocker Drag Me To Hell etwa, oder auch Terry Gilliams The Imaginarium of Doctor Parnassus.

Selbstauslöschung

Pixar

"Up"

Und weil ich gerade merke, dass Vorschauen immer etwas Aufzählendes haben und Aufzählungen nichts anderes sind als Name-Dropping und ich vorhin über den Minderwert von Name-Droppings geschrieben habe und mir nicht zwei Absätze später selbst widersprechen will, weil ich ansonsten Gefahr laufe, vollkommen unglaubwürdig zu werden, mich also überflüssig zu machen, werde ich meinen ersten, wie ich fürchte, dramaturgisch etwas wertlosen, aber hoffentlich doch irgendwie stimulierenden Text an dieser Stelle beschließen, erlaube mir noch hinzuweisen auf meine kommenden Einträge wiewohl auf die Webseite des Filmfestivals von Cannes.

Ahja: eröffnet wird in diesem Jahr – am morgigen Dienstag - im Übrigen mit dem Film Up aus dem Pixar-Stall. Eine Digitalanimation. In Disney Digital 3D (was auch immer das heißen soll). Ich sehe: zweitausend Journalisten aus aller Welt im Salle Debussy mit chepo-futuristischen Augengläsern. Ich würd ja ein Foto davon machen, würd ich dabei nicht verhaftet werden.