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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

2. 5. 2009 - 05:32

Gegen die Krawallmacher

Der 1. Mai in Berlin Kreuzberg ist eine Mischung aus Festival, Demo und Bezirksfest. Die Menschen sind friedvoll und gemeinschaftlich - zumindest solange die Sonne scheint.

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In der Oranienstraße bin ich eigentlich ein Außenseiter. Mit meinem "61" hintendran entlarvt mich die Postleitzahl sofort als West-Kreuzberger, der nicht nur ein alternatives, heterogenes Umfeld schätzt, sondern auch den einen oder anderen schicken Modeladen und so manch semi-poshes Restaurant ganz okay findet. Kreuzberg 36 hingegen gilt als das "echte" Kreuzberg, das, worum sich wilde Mythen der autonomen Herrschaft ranken und von wo aus berichtet wird, wenn Fernsehkameras und Mikros im Spiel sind. "36 brennt, 61 pennt", wie es der Volksmund zusammenfasst.

Dass es hier tatsächlich brennen kann, bestätigen die letzten zwei Jahrezehnte, seit denen Kreuzberg 36 als das Zentrum der 1. Mai-Demonstrationen in Berlin gilt. Die Straßenschlachten und Maikrawalle haben als Initial das Jahr 1987, seitdem rankt sich eine Art Mythos um das dortige Geschehen am Tag der Arbeit.

Tanzende Menschen statt fliegender Steine

Weil in den letzten Jahren die institutionalisierte Ausschreitung sogar Krawall-Touristen angelockt hat ("voll geil, ey!") hat sich der 1. Mai zu einem friedvollen linken Aufbegehren, eingebettet in Open Air-Parties und Imbissbuden hin entwickelt. Die Basis dazu stellt das sogenannte "MyFest", das die gesamte Kiez-Gemeinde zum Organisieren einer riesigen Straßenfeier vereint - in der und rund um die Oranienstraße. Ich habe mir nachmittags von meiner 61er Heimatbasis aus meinen Weg in die laute Nachbarschaft gebahnt.

Polizeiautos auf der Berliner Oranienstraße

Robert Glashüttner

Am westlichen Anfang der Oranienstraße ist es - mit Ausnahme der Polizei - noch ebenso menschenleer wie ringsum. Auch Kreuzberg 61 feiert heute offensichtlich im aufregenderen Bezirksteil.
Feier am Berliner Moritzplatz

Robert Glashüttner

Auf Höhe Moritzplatz geht's los: Clubsounds stampfen in erprobter Straßenparade-Manier aus den stehenden LKWs und Bussen, dazwischen sitzen die Menschen wahlweise in der Wiese oder tanzen sich einen.
Feier am Berliner Moritzplatz

Robert Glashüttner

Wir sind unsere eigenen Stars

Bekannte Namen oder "angesagte" Bands findet man auf den kleinen provisorischen Bühnen keine - sie wären auch fehl am Platz. Stattdessen trifft man auf Gruppen und DJs, die sich ihrem Kiez verbunden fühlen und der Gemeinschaft etwas zurückgeben möchten: Gelebte Solidarität, für die Kreuzberg 36 beispielhaft ist.

Eine Band beim Open Air Fest am Berliner Moritzplatz

Robert Glashüttner

Dieser Mann spielt ... die Schleifmaschine!
DJ auf der Berliner Oranienstraße

Robert Glashüttner

Die Beschallung vor den Läden ist erstaunlich druckvoll: Ein paar Schritte hin zur gewünschten Musik und fertig ist die Feierei.
Berliner Oranienstraße am 1. Mai

Robert Glashüttner

Laufsteg MyFest
1. Mai Feier in der Berliner Oranienstraße

Robert Glashüttner

War das ein "Hallo", als einer der Fenstersitzer plötzlich ein rosa Kissen in die Menge warf!
Rappende Frauen auf der Berliner Oranienstraße

Robert Glashüttner

Respektvolles Miteinander

Zwischen dicht gedrängten Menschentrauben, jeder Menge Gegrilltem und den Musikmachenden sind auch viele Lokale geöffnet. Während das Fest auf der Straße munter weiter geht, sitzt man derweilen draußen und drinnen an seinem Mittagessen ohne gestört zu werden.

Müll auf der Straße

Robert Glashüttner

"Wir machen unsere eigene Müllkippe!"
Stoffplakat des Berliner Veranstaltungslokals SO36

Robert Glashüttner

Der Club SO 36 hat eine ähnliche Relevanz wie das EKH in Wien und ist derzeit wegen Nachbarschaftsstreitereien von der Schließung bedroht. Beim MyFest ist ein entsprechender Seitenhieb dazu nur würdig und recht.
Berliner Polizeibeamte, die gelbe Jacken mit der Aufschrift "Konfliktteam" tragen

Robert Glashüttner

Auf Höhe Heinrichplatz kommt der große Demo-Zug von der Mariannenstraße aus näher. Die Polizei, pardon, das "Anti-Konfliktteam" schreitet aus.
Demonstranten in Berlin am 1. Mai

Robert Glashüttner

"Kapitalismus war als Kind schon scheiße"
Ein Pressefotograph mit Militärhelm

Robert Glashüttner

Presse? Nur mit Helm!
Demonstrationen in Berlin am 1. Mai

Robert Glashüttner

Je länger der Demozug desto gemischter der demographische Querschnitt.
Band mit Trommeln inmitten von Straßenbesuchern in Berlin

Robert Glashüttner

Auf zur letzten Teilstrecke, wo sich die kollektive Feier nochmal zuspitzt.
Berliner U-Bahn-Station Görlitzer Bahnhof

Robert Glashüttner

So belebend können Straßensperren sein: Der Görlitzer Bahnhof markiert das östliche Ende der Oranienstraße, wo ein gemütliches Herummarschieren auf der Kreuzung sonst nicht zu empfehlen ist.

Sonne vor dem Sturm

Bis nach 20 Uhr ist von gewaltbereiten Steinewerfern oder renitenten Festbesuchern keine Spur. Im Gegenteil: Je länger ich im prachtvollen Wetter die 1. Mai-Feier miterlebe, desto mehr fühle ich mich darin wohl. Selbst der Demozug brüllt keine platten Parolen sondern lädt per Megaphon Touristen als auch Alteingesessene BerlinerInnen freundlich ein, sich dem politischen Protest anzuschließen.

Und doch: Als langsam die Dunkelheit einbricht, spitzt sich die Lage dann doch noch zu. Vor allem der harte Kern der schwarzen Kapuzenpullis dürfte die Scharmützel mit der Polizei angezettelt haben. Der "Tagesspiegel" bringt dazu einen eigenen Ereignis-Ticker.

Ein Mann von hinten mit der T-Shirt-Aufschrift "Myfest 2009"

Robert Glashüttner

So schnell lässt sich die fragwürdige Straßenschlacht-Tradition von Kreuzberg 36 dann wohl doch nicht in eine artige Bezirksfeier umwandeln. Das MyFest (heuer war die siebte Austragung) hat aber bereits viel dazu beigetragen, dass der gewaltbereite Mob auf eine überschaubare und im historischen Vergleich weitaus weniger relevante Größe zurückgedrängt wurde. Das bringt Platz für mehr kommunalen Zusammenhalt und konstruktiven Protest. Es war ein schöner 1. Mai, Berlin!