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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 2. 2009 - 17:13

Journal '09: 18.2.

Über das Wesen des Double-Bind. Oder: festgezurrt in der Fickmühle. Anhand eines aktuellen populären Beispiels.

Ist vielleicht ein wenig schwierig der Text heute, ja.
Später kommt dann aber Heinz Prüller vor, ausführlich!

Gleich zu Beginn: sorry, ich hab gestern Nacht einen Doku-Essay mit und über Paul Virilio gesehen - das sind Nachwirkungen davon.

Kommunikation im Post-9/11-Zeitalter hat eine starke paranoide Komponente. Dieser geistige Verschwörungstheorie-Tourismus hat mitgeholfen den Grundsatz von Gut-Böse in einen Kampf von Böse-Böse(Positivsten, zb Yunus, nennen es Gut-Gut) umzugestalten.
Wie bei jeder neue Entwicklung oder Denk-Richtung ist das Tool, ist das Prinzip eine wertfreie Einrichtung, ein Anstoß, eine Möglichkeit.
Die Überforderung des Menschen durch die Geschwindigkeit der Informationen jedoch drängt ihn (also uns) geradezu hinein in einen fast schon pathologischen Double-Bind.

Es gibt fast keine Botschaft mehr, die nicht paradox rezipiert wird. Das macht Kommuniktion vielleicht nicht mühsamer als früher (aneinander vorbeireden ist ja durchaus ein Lieblingssport aller Menschen), es stellt aber eine bessere Ausrede dar, mit der Menge an Informationen und Kommunikation nicht klarkommen zu müssen; es bietet also Rückzugs-, Fluchthilfe.

Zudem ist die perfide praktische Perfektionierung des Double-Bind, die Zwickmühle (die in der Schweiz und Schwaben originellerweise Fickmühle heißt) der aktuell meistgepflogenste Block um sich einer echten Beschäftigung gesichtsverlustslos zu entziehen.

Sie hilft getroffene Zuschreibungen zu rechtfertigen - egal von welcher Seite und mit welchern Argumenten.

Ein kleines Beispiel

Ja, es ist durchaus absichtlich, dass es heute praktisch nur Wikipedia-Links gibt - reine Grundlagen-Verlinkung!

aus dem unmittelbaren Kontext, dem Forum des Journal 09: ein Poster fragt unter Geschichte A nach, was ein bestimmter, vom Autor verwendeter Begriff im Zusammenhang bedeuten mag. Der Autor postet einen erklärenden Link. Derselbe Poster beschwert sich dann unter Geschichte B, dass der Autor (auch aufgrund von Nachfragen wie seiner) vermehrt (vielzuviele) Links innerhalb seiner Gesichten setzen würde.

Egal wie: Zuschreibung belegt.

Nun kann man eine Verhaltensweise wie diese als taktische Vorgangsweise betrachten - damit unterstellt man dem anderen Absicht. Dass es nämlich ganz egal ist, wie oder was man tut - jemand, der sich als Gegner sieht, wird immer einen Angriffspunkt suchen und natürlich auch finden, selbst wenn er damit seine eigene Argumentation (womöglich sogar seine eigenen Forderungen) damit ad Absurdum führt.

In einer Diskurs-Kultur, die auf der Basis des abendländischen Humanismus agiert, ist eine solche Vorgangsweise (einmal als widersprüchlich entlarvt) nicht möglich.

Genau da spielt auch das hier bereits angeschnittete Thema der expandierten Skandal-Kommunikation mit rein.

In einer diesbezüglich schwach sozialisierten Gesellschaft kann es aber passieren, dass die (sonstwo eher an den Rändern ausgeprägte) Verschwörungs-Theorie-Sucht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und so zu einem kollektiven Kommunikations-Phänomen wird.

Will heißen: eine in sich absurde Argumentations-Fickmühle, die aufgrund eines paranoiden oder bloß simpel paradoxen Double-Binds entstanden ist, fällt gar nicht mehr auf, weil sie von der Mehrheit als normal angesehen wird.

Also: Heinz Prüller!

Nun wird dieser Tage medial flächendeckend der bevorstehendene Abschied von Heinz Prüller aus dem ORF beklagt. Prüller ist womöglich der berühmteste Formel 1-Kommentator weltweit - was seine Popularität innerhalb seiner Verbreitungsgebietes betrifft. Er ist auch der größtmögliche Fachmann, der selber nicht aus dem Sport kommt - womöglich auch weltweit.
Und er ist 67dreiviertel.
Sein Fall ist - ebenso wie die von ein paar anderen Über60jährigen ORF-Kollegen - nur deshalb öffentliches Thema, weil die Pensionierung von Menschen, die die notwendigen Jahre erreicht haben, Teil des aktuell medial durchgezuzzelten ORF-Maßnahmen-Pakets ist.

Prüllers Abschied wird nun von denselben Medien, Kollegen und Konrtrahenten mit heulenden Krokodilstränen beklagt, die ihn in den letzten Jahrzehnten aller möglichen Untaten (von der zunehmenden Verwirrung bis zur prinzipiellen Unfähigkeit eine Live-Übertragung zu händeln) geziehen haben.

Natürlich gab es immer auch eine veröffentlichte Öffentlichkeit, die Prüller als das anerkannte, was er in jedem Fall ist/war: eine mörderisch gute Erinnerungs- und Assoziations-Maschine, eine zutiefst originäre Erscheinung, ein blendender Kommunikator und jemand, der zu unterhalten versteht, selbst wenn er gar nicht drauf anlegt. Ich will jetzt den ausgeluschten und durch inflationäre Verwendung entwerteten Begriff des Kultstatus nicht einzementieren - aber für jemanden wie ihn ist der wirklich erfunden worden.

Nur: dieser Teil der Öffentlichkeit durfte ihn immer nur dann preisen, wenn die Inhaber der Medien, in denen das geschah (Ausnahme: Krone, wo Prüller ja auch schrieb), grade nicht hergeschaut haben. Ansonsten war Prüller - ebenso wie alle anderen ORF-Mitarbeiter - Tauschmaterial für die diversen gerade aktuell anstehenden Scharmützel im Medienbereich. Und da ging es dann plötzlich hauptsächlich um unerhörte Versprecher, übersehene Überhol-Manöver und anderen Schas, mittels dessen billig Kleingeld gewechselt werden sollte.

Glücklicherweise hat diese miese Taktik nie entscheidend verfangen - auch weil sich Prüller in seiner Arbeit davon nicht im Entferntesten beeinflussen ließ.

Das mediale Gejammer, dass Heinz Prüller nun von einem widerlich-herzlosen Arbeitgeber gezwungen wird mit 68 in Pension zu gehen, ist dieser Tage nicht zu überhören.

So, und jetzt tun wir kurz so als ob

als ob es nämlich den Sparplan von Wrabetz nicht geben würde. Heinz Prüller würde - wie es in einer optimal aufgestellten Welt, die wir nie sehen werden, logisch und richtig wäre - solange Formel 1-Rennen kommentieren, wie es ihm taugen würde, und womöglich sogar mit 88 live vom Stockerl fallen, wenn Ayrton Senna jr (Brunos Sohn) 2029 Weltmeister wird.

Wären die Medien, die jetzt über Prüllers Aus wehklagen, begeisterte Zustimmer gewesen?

Wir wissen: nein, nicht im Entferntesten.
Prüller hätte als Synonym des Sesselklebers herhalten müssen, der einen eh in sich überalteten ORF auch noch enormes Geld kostet - was in wirtschaftlich schlechten Zeiten scheinbar (oder auch zurecht) ja alle angeht. Prüller und das Pensions-Problem wäre ebenso instrumentalisiert worden - halt genau anders herum.

So sind die ORF-Verantwortlichen böse und auch blöd, weil sie den kultigsten und Besten von allen nicht weiterbeschäftigen und sowas wie Altersdiskriminierung betreiben.
Anders wären die ORF-Verantwortlichen böse und blöde, weil sie einen überteuerten Opa, der sich noch dazu dauernd verredet, mitschleppen und so ihren Sparunwillen auch noch unverfroren zur Schau stellen.

Und wieder: bereits zuvor getroffene und unverrückbare Zuschreibung belegt - egal wie.

Mühle auf. Mühle zu.

Und zwar immer so wie's gerade passt.
Und es passt andauernd.
Und selbst wenn nur ein Zug dieses zweiteiligen Systems offen auftaucht - man erkennt die Absicht dahinter. Denn anders als in dem anderen Beispiel vom Posterchen, ist sie die Triebfeder.

Das Gemeinste dran ist: um Heinz Prüller geht es dabei am allerwenigsten.

Er dient den Kommentatoren nur als Rute, mit der man nach dem Esel schlägt.

Und der ist leicht zu treffen.
Weil er in der Zwickmühle festgezurrt ist, die von denen errichtet wurde, die ein Interesse daran haben, dass nicht sinnhaft diskutiert, sondern geblockt und verallgemeinert wird - in einer süffisanten Koalition mit jenen, die dieses System, wohl in ihrer Mehrheit unabsichtlich, aus den oben benannten Gründen verinnerlicht haben und natürlich unter dem Applaus der üblichen Philister.

Die sorgen dafür, dass der zu schlagende Esel (egal ob die Gutmenschen, die digitale Boheme oder sonstjemand, der sich konkret inhaltlich äußert) immer trefflich ausgesucht ist, zum einen um den ökonomischen und ideologischen Interessen der jeweiligen Bereichs-Mächtigen zu entsprechen und zum anderen um den von der Wucht der modernen Kommunikations-Kultur wie Erschlagenen eine simple Fluchthilfe aus dem Böse-Böse-Paradoxon anzubieten.

Dass es just die Positionierung an sich ist, die so anfällig macht, von dieser Interessens-Koaltion in jener unzulässigen Zwickmühle angehalten zu werden, ist die eigentliche Tragik. Wer nichts sagt, oder die perfekte Annäherung daran (den problemlosen Dauer-Widerspruch) vor sich herträgt, entkommt diesem Dilemma natürlich. Und kann seine Zuschreibungs-Pflege weiterhin vorantreiben.

Ein funktionierender demokratiepolitischer Diskurs würde derlei geistigen Tand sofort als Talmi entlarven - eine diesbezüglich unterentwickelte Gesellschaft kann auf seinen vordergründigen Glanz reinkippen.