Erstellt am: 5. 1. 2009 - 15:00 Uhr
Acht, Neun, Zehn. Ideen nach dem Jahreswechsel (2)
Acht, Neun, Zehn. Ideen nach dem Jahreswechsel
Reproduct
Teil 1
A Period of Transition - über die Übergangszeit.
Teil 2
Rechte Avantgarde. Und die Republik der Neffen.
Teil 3
Die Krise des österreichischen Journalismus. Teil 1
Teil 4
Die Krise des österreichischen Journalismus. Teil 2
Teil 5
Die Grünen sind auf einem Weg.
Es gibt sie, eine rechte Avantgarde.
Und es gibt sie in Österreich, und nicht zufällig.
Anderswo hat die "far right", wie das unsere englischsprachigen Kollegen so schön formulieren, seltsame Gesichter: verbeulte Bauerntheater-Chargen der Marke Schönhuber oder Le Pen, nur notdürftig als Milizen getarnte Paramilitärs wie etwa in Bulgarien oder glamouröse Society-Erben wie im Land Mussolinis. Die einzige wirklich charismatische Figur, der Holländer Pim Fortuyn, nahm den Erfolg seiner Rechtspopulisten mit ins Grab.
Nirgendwo schafft es die Rechte, den gewissen Glam-Faktor mit klar kenntlicher Ideologie, urbanes und rurales Milieu, den gleichzeitigen Willen zu Opposition und Regierung auf einer +25%-Basis zu vereinigen. Außer in Österreich. Und auch hier muss man seit kurzer Zeit anerkennen, dass es nicht ausschließlich an der Strahlkraft von Jörg Haider oder dem von ihm kreierten System liegt. Auch der gern als Kopie gescholtene Strache schafft es recht problemlos anzudocken.
Die Rechtspopulisten liefern tagtäglichen Anschauungs-Unterricht, der innerhalb der losen Rechtsaußen-Gemeinschaft des EU-Parlaments durchaus Neid auslöst.
Und das ist kein Zufall.
Die Mär vom dummen Nazi.
In meiner Schul-/Uni-Zeit war das eine beliebte Dialog-Folge: wenn die Sprache auf die Bestialität der Nazi-Zeit kam und von einer perfiden Intelligenz die Rede war (die in der Tat notwendig gewesen ist, um dieses seinesgleichen hoffentlich auf alle Zeit suchende Modell zusammenzubauen), dann gab es eine klassische Methode der inhaltlichen Blockade: es könne in diesem Rahmen nicht von Intelligenz die Rede sein, weil nur Dummköpfe Nazis (gewesen) sein können.
Diese sehr österreichische Lösung blendet sowas wie einen Nachdenk-Prozess über die Systematik hinter dem glasklar geplanten Massen-Genozid samt Weltherrschafts-Terror zugunsten einer simplen Gleichung aus - was exakt der Herangehensweise des offiziellen Österreich nach 45 entspricht.
Durch diesem offiziösen Schmäh geschützt war es in der Folge - selbst für Nachkommen lupenreiner NSDAP-Familien - ganz leicht, sich abzugrenzen (man könnte auch sagen, sich abzuputzen); vor allem öffentlich. Privat sind Judenwitze in stramm nationalen Familien bis heute Usus. Damit haben Österreichs Rechte mit der Eleganz einer sich schälenden Schlange das Problem, mit dem die dumpf-volkstreue deutsche Rechtsaußen-Szene kämpft, abgestreift.
Die kollektive Erinnerung an die Bereicherung.
Abgesehen von einem latenten Antisemitismus (auch derzeit sprechen sich die Rechtspopulisten selbstverständlich automatisch für die Hamas aus), der allerdings strategisch nicht so stark ins Gewicht fällt, ist es die offen gelebte Xenophobie, die als Identifikationsfaktor Nummer 1 fungiert. Dabei geht es in erster Linie um Begriffe wie den "Zuwanderungs-Stopp", allerdings wird den meisten Menschen auch dann forsch nach dem Mund geredet, wenn es um einen Abbau der "Fremden" geht, also ums offensive Rausschmeißen (schönes Beispiel: der gestrige, ausschließlich an tatsächlich Gesagtem orientierte Tatort über den Fall Telfs).
Zudem dockt dieses "Rausschmeißen" in der kollektiven Erinnerung direkt an 1938 an, als allein in Wien (und in der Provinz war es relativ gesehen, teilweise noch übler) an die 50.000 Wohnungen arisiert wurden, was fast ebensoviel Zwangsversteigerungen, in denen der Besitz der Vertriebenen quasi verschenkt wurde, zur Folge hatte. EIne gewaltige, praktisch flächendeckende Anzahl.
Beim "Rauschmeißen" spielt für den Herrn Karl also immer die kleine persönliche Bereicherung mit, die ja auch dazu führte, dass fast ganz Österreich treuherzig versicherte, nichts von Missetaten gesehen oder bemerkt zu haben.
Da die um sämtliche kritische Geister (die, sofern sie nicht ermordet wurden, emigrieren mussten) erleichterte, damals geprägte Blockwarte-Gesellschaft sich im Nachkriegs-Österreich substanziell nicht geändert hat (aktive Rückhol-Aktionen gab es ja keine), schwingt diese dumpfe kollektive Erinnerung ja noch nach.
Opportunisten und Profiteure.
Auf diesem Grund und Boden arbeiten die Rechts-Populisten, und nicht mit einer grundsätzlichen politischen (rechten oder gar rechtsradikalen) Einstellung: die wenigeren derer, die damals zugeschaut oder sich auch noch bereichert hatten, waren ideologisch blitzsaubere Nazis (das blieb den Planern von Endlösung, Blitzkrieg und Aufrüstung vorbehalten), es handelte sich schlicht und einfach um Opportunisten und Profiteure.
Und zwar solche, die sich - nach 45 - offiziell den Staub der alten Denkungsart vom in den Wind gehängten Mäntelchen klopfen und in eine demokratische "Normalität" eintreten konnten.
Fürs Wegschauen und der Belohnung mittels (quasi) kleiner Werbegeschenke aus den (forcierten) jüdischen (und auch anderen, schließlich wurden etliche Bevölkerungsgruppen gejagt und ermordet) "Nachlässen" zog niemand jemals jemanden zur Rechenschaft - auf alltägliche Unmenschlichkeit stehen keine Strafen und für so etwas wie Zivilcourage gibt es keine Belobigungen.
Die Nachkommen der Blockwarte-Generation (egal ob Stadt- oder Land-, Oberschicht- oder Unterschicht-Bevölkerung) hat dieses Bewußtsein vererbt bekommen. So etwas wie eine Beschäftigung damit, eine Verarbeitung dieser Geschichte, das, was die Justiz "Reue" nennen würde, gab es nicht. Was bleibt ist derselbe Opportunismus, dieselbe Profiteur-Mentalität (derzeit wird diese Einstellung in der Debatte um die "Gier" sehr schön ausgeleuchtet).
Die Republik der Neffen
Die österreichischen Rechtspopulisten haben also einen für so perfekten Nährboden vorgefunden: ein strukturkonservatives Land, in dessen ländlicher Gesellschaft Treu' und Gehorsam immer noch die Leitkultur darstellt und dessen urbane Gesellschaften einen opportunistischen Mittelstand herausgebildet haben, der - getreu der Vorgänger-Generationen - Nachdenk-Verbot über sich verhängt hat.
Hier greift das dramatische Fehlen einer (ebenfalls emigrierten und seitdem nicht mehr neu aufgebauten) intellektuellen Schicht, was zur inhaltlichen Verelendung des Großbürgertums und dem fast kompletten Wegbrechen des Bürgertums geführt hat. Etwas wie Widerstand gegen den klassischen Opportunismus der schweigenden (und im Fall der Fälle) gern zulangenden Blockwarte-Gesellschaft, könnte aber nur von dieser Gruppe kommen.
Hier käme den großen Volksparteien ihre Hauptaufgabe zu: da sich die einen aber zunehmend ins Ländliche zurückziehen und sich die anderen zunehmend aufs halbwegs geschickte Dirigieren der Opportunisten beschränken, wird auch die aktuelle Republik der Neffen hier keinen aktiven Beitrag leisten können.
Links existiert nichts, und es wird auch in absehbarer Zeit nichts von dem passieren, was (aufgrund anderer historischer Gegebenheiten) in Deutschland möglich ist.
Charisma allein ist es nicht.
Bis vor kurzem war es durchaus so etwas wie gesichterte öffentliche Meinung, dass Österreichs sogenanntes 3. Lager ausschließlich via der Person des zum Beelzebuben hochstilisierten Konstrukts Jörg Haider eine derartig slicke Radikalität (Blut&Boden meets Glam, Lodenjanker meets Passage) und darüber auch ein derartig großes Wahlvolk (mit einem Drittel-Potential) erreichen konnte. Man war sich sicher, dass diese Bewegung ohne den Charismatiker wohl wieder in die alten 5%-Schranken gewiesen werden würde, die vor seiner Ära herrschten. Aber man war sich (in Gestalt des Wende-Kanzlers) ja auch sicher, dass eine Regierungsbeteiligung das Lager zähmen oder zerreiben würde.
Beides hat sich (und diese Erkenntnis ist zwangsläufig eine recht neue) als grandioser Irrtum herausgestellt.
Absurderweise war es die Generation der SS-Offiziere und anderer tatsächlich noch Beteiligter, die die alte FPÖ (sowie die Vorgängerbewegung VdU) im Zaum hielten und nicht an die subkutanen Instinkte appellierten, sondern eine Art intellektuellen Nationalismus anboten.
Die Generation der völlig Schuldlosen war es, die die Schleusen öffnete, und die bereits dritte Generation derer, die sich komplett unbefleckt wähnen und das Abspulen von wehrsportlichen Paintball-Routinen womöglich glaubwürdig als unschuldig betrachten, die das was Obersturmführer Peter an Hemmnissen bewusst war, nicht mehr kennen.
"Er ist doch nur ein Zahntechniker!" heißt es in einem aktuellen Fuckhead-Stück - aber genau damit ist Strache die optimale Spokes-Person für die schweigende Mehrheit.
Die rechte Avantgarde Europas
kann deshalb also in Österreich stattfinden.
Hier können die Rechtspopulisten vorzeigen, wie man mit Stimmungen spielt, wie man Kampagnen organisiert, wie man ständigen Widerspruch zu seinem Vorteil ummünzt, wie man mit Vorurteilen hantiert und wie man die traditionell besten Pferde im Stall (Xenophobie und Intellektuellenfeindlichkeit) clever ausreizt.
Die österreichischen Gegebenheiten sind in ihrer prallen Kombination anderswo nicht vorhanden - was es für die Rechtspopulisten innerhalb der EU extrem schwer macht dem erfolgreichen Vorbild nachzueifern.
Das bedeutet aber auch, dass es sich nicht um ein supranationales Phänomen handelt, bei dem man sich auf Brüssel oder gar New York ausreden kann.
Das bedeutet, dass es der aktuellen Republik der Neffen obliegt, durch eine klare Positionierung einerseits und die größte Bildungsoffensive andererseits (denn nur so ist die Gesellschaft der Blockwarte mittelfristig zu wandeln) ihren historischen Beitrag zu leisten.
Das obskure, irgendwie bei Carl Barks abgeschaute System der Neffen-/Onkel-Verantwortlichkeiten ist da gar kein Nachteil. Wenn es immer noch einen Dagobert (Erwin-Onkel, Hans-Onkel... ) in der Hinterhand gibt, sieht man dem Donald/Gustav einiges mehr nach - schließlich erblickt man sie aus der Tick, Trick & Track-Warte.