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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

16. 2. 2009 - 19:13

Falsche Bescheidenheit

Eine Beinahe-Replik, ein Schuldgeständnis, vor allem aber ein bisschen Polemik: Über die Angst österreichischer Filmemacher, Musiker und Künstler vor der großen Geste.

Gestern habe ich hier Martin Blumenaus Ermahnung an das heimische Kinopublikum gelesen, keine faulen Ausreden vorzuschieben und sich doch mehr österreichische Produktionen anzusehen. Prinzipiell lässt sich dieser Aufforderung wenig hinzufügen.

Aber vielleicht doch, dachte ich mir dann beim Überfliegen der Kommentare. Zumindest ein privates Schuldgeständnis ist fällig. Auch als jemand, der an dieser Stelle regelmäßig über Film schreibt, widme ich mich eher selten den Werken österreichischer Regisseure. Ich reiße mich, um das jetzt milde zu umschreiben, auch nicht gerade um den jährlichen Besuch der Diagonale.

Die Gründe sind vielfältig und nicht ganz frei von jenen schlechten Ausflüchten, die Kollege Blumenau zurecht aufs Korn nimmt. Trotzdem gibt es da eine fundamentale Sache, die auch bei einem gestrigen Kaffeehaustreffen mit Freunden wieder erwähnt wurde.

"Mich spricht alleine schon die Ästhetik der meisten Produktionen nicht an", lästerte R. sinngemäß, jemand, dessen Kenntnis der Filmhistorie mich erblassen lässt und der tonnenweise DVD-Raritäten zu Hause hortet. A., eine Filmsüchtige, nickte heftig. Und C., ebenfalls jemand mit einer übergroßen Liebe zum Kino, begann ihre Kritikpunkte an diversen heimischen FilmemacherInnen aufzulisten.

Was sich dabei herauskristallisierte, waren zwei Dinge. Warum, bemäkelte R., wirkt die Bildsprache des Austrofilms immer so nüchtern, unspektakulär, an TV-Arbeiten erinnernd? Woher, meinte C., kommt diese ungeheure emotionale Distanz, mit der österreichische Regisseure meist an ihre durchaus spannenden Themen herangehen? Wie kann man jahrelang an Filmen arbeiten, die dann bewusst jede offensive Leidenschaft verstecken?

Meine Antwort auf all diese Fragen: Weil ein nicht zu geringer Teil der heimischen Filmemacher noch immer an einer Krankheit leidet, die schon ewig die Kulturszene in diesem Lande lähmt - an der Übervorsichtigkeit, an der falschen Bescheidenheit, an der Angst vor Drastik und vor großen Gesten.

Lukas Beck

Ich muss jetzt natürlich ausholen. Wenn ich große Gesten meine, dann denke ich nicht zwangsläufig an entfesselte Kameras und hysterisches Overacting. Sondern an die emotional und formal überwältigenden Momente in beispielsweise Filmen von Aronofsky, Lynch, Wong Kar-Wai, Lars von Trier, der Coens, Fincher, Carax, P.T. Anderson, Christopher Nolan, Todd Haynes, James Gray, Paul Greengrass, Gaspar Noé, um nur ein paar zu nennen, die mir sofort in den Sinn kommen.

Nichts gegen ein Kino, das in der möglichst unverfälschten und fast schon sachlichen Abbildung der Realität sein Ziel sucht, sich sozialer Anliegen annimmt oder kleine, alltägliche Geschichten aufregender findet als virtuose Genre-Erneuerungen.

Aber es gibt auch einen (gar nicht so ungängigen) Zugang zum Film, der die Dramatik sucht, das Herzklopfen, die Raserei oder einfach nur die Transformation der stinknormalen Alltäglichkeit.

Nicht aus bloßen Eskapismus, obwohl das Sich-Hineinbeamen in andere Realitäten, der Film-als-Droge-Ansatz einer der legitimsten und ältesten ist. Sondern auch, weil beispielsweise die Coen-Brüder oder David Lynch die Schrecken der Existenz mit dem Hilfsmittel der Überhöhung ein klein wenig in den Griff zu bekommen versuchen. Siehe auch: Kubrick, Peckinpah, Charles Laughton, Orson Welles, Scorsese.

Das österreichische Kino, das sich - da sind sich Fans und kritische Stimmen einig - ausgiebig dem Schrecken der Existenz widmet, meidet diesen zweiteren Zugang im allgemeinen wie der Teufel das Weihwasser.

"Fallen", Regie: Barbara Albert

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Natürlich hat die Angst vor der großen Geste budgetäre Hintergründe. Viele Regisseure bei uns können von Hollywood nur träumen und müssen sich Stoffe suchen, die sich mit minimalen Mitteln realisieren lassen. Aber viel ausschlaggebender ist die von mir angesprochene Haltung.

Im Gegensatz zu den aufgezählten Namen, denen ich unbedingt noch die Bilderstürmer Sofia Coppola, Spike Jonze und Michel Gondry hinzufügen muss, bewegen sich österreichische Filmemacher - aber eben auch allgemein viele Künstler hier - bisweilen noch in einem Denken von E und U, das so alt ist, dass man es jungen Leuten oft schon erklären muss.

Dazu gehört erstmal eine panische Angst vor dem Sellout, dem Fehltritt, der Peinlichkeit. Mir fallen dazu auch manche heimische DJ- und Elektronikstars der Neunziger ein, die damals mit verschränkten Armen neben ihren auszuckenden britischen Kollegen standen. Weil der Österreicher sich einfach lieber in nobler Zurückhaltung übt, überlegt, vorsichtig agiert.

Was dann hinzukommt, und hier wird es für mich oft ärgerlich, ist die Verwechslung der verdammten Verklemmtheit, die uns Ösis von Geburt an eingeimpft wird, mit Strenge und Radikalität. Mit dem Rücken zur Wand stehend, würdigt der verstockte heimische Regisseur, Laptop-Bastler oder Autor die anderen, die Enthusiasten, Entertainer, Traumbeschwörer herab.

Zuviel überbordende Emotion ist nie gut, zuviel Farbe, Bewegung und Lautstärke sollte man auch eher meiden. Nur nicht übertreiben. Denn man könnte sich blamieren, vor den rigiden Kollegen ebenso wie vor den pingeligen Kritikern.

"Import/Export", Regie: Ulrich Seidl

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Der Versuch, diese Haltung, diese völlig falsche Zurückhaltung, jetzt näher zu sezieren, würde massiv den Rahmen hier sprengen und Bücher füllen. Ich werfe nur wieder einmal das schneidende Klima der Unterwürfigkeit ein, das der Nationalsozialismus hinterließ und danach die komplett fehlende Rock'n'Roll-Tradition hierzulande.

Jedenfalls leide ich schon seit meiner frühen Jugend unter einer bildungsbürgerlichen Biederkeit, die im Gewand des puristischen Künstlers versteckt, heute noch tonangebend ist.

Menschen, die wie meine Wenigkeit, mit Disco, New Wave und Punkrock, mit Unmengen von Genretrash und Monstermovies, mit einer Überfülle von Comics, aber auch mit Dandyliteratur und echten künstlerischen Revolteuren aufgewachsen sind, prägten in anderen Ländern die Kinolandschaft. Ich füge vielen oben erwähnten Namen jetzt auch noch Tarantino, Jaume Balagueró, Sam Raimi oder Shinya Tsukamoto hinzu.

Bei uns dagegen hat es das Grelle, Plakative, überbordend Obsessive schwer. Dabei, und das ist das Absurde und gleichzeitig Schöne, katapultier(t)en sich die zentralen Ausnahmen von der traurigen Regel gleich in den Olymp der Kunst und Popkultur, in die Bestenlisten und Charts: Ich erwähne nur die Wiener Gruppe um Konrad Bayer, den Wiener Aktionismus, den Übertreibungskünstler Falco oder Technolegende Christopher Just.

Und klarerweise gibt es andere gute Kräfte, die einem ständig Hoffnung geben: Didi Bruckmayr und seine unzähligen wahnwitzigen Projekte. Der Austrofred in seinen Inkarnationen. Die knallige Clubszene der letzten Jahre, die den vorsichtig abwägenden DJ der Neunziger vergessen lässt. Heimische Modemacher wie Petar Petrov, Wendy & Jim oder Anna Aichinger mit ihren Kreationen zwischen Strenge und lustvoller Überhöhung.

Um zum Kino zurückzukehren: Natürlich gehört der missverstandene Ulrich Seidl zu meinen Lieblingen, mit seinen irren Filmen, die den alltäglichen Horror auf eine Weise transformieren, die alles andere als eiskalt und distanziert ist. Ich freue mich auf den nächsten Arbeiten des feinfühligen und zugleich brachialen Genremeisters Andreas Prochaska.

Und mit dem "Knochenmann" von Wolfgang Murnberger habe ich schon einen Film gesehen, der auf so spezifisch österreichische Weise Rock'n'Roll ist, dass man eine Gänsehaut im Kinosessel bekommt. Ein bisschen mehr von dieser Nix-scheißen-Attitüde und weniger falsch verstandene Strenge - und es gibt keine Ausreden mehr.

"Der Knochenmann", Regie: Wolfgang Murnberger

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