Erstellt am: 18. 2. 2009 - 10:29 Uhr
Geschmack haben alle
Pop und Zukunft
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"Unser System ist ziemlich dumm. Es weiß wirklich nur den Künstlernamen und den Songnamen." Jonas Woost ist ein smarter unaufdringlicher Typ um die 30 und um einiges schlauer als seine Maschinen. Er ist Musikchef des Internetradios last.fm, einem Musikportal mit dem Slogan "the social music revolution". Und auch wenn er sein System für noch so dumm hält, lässt es jedenfalls alte Medien wie das klassische Formatradio noch um einiges dümmer aussehen.
Das klassische Formatradio versucht nämlich über einen einheitlichen Musik-/Moderations-/Beitragsstil möglichst genau die Stimmungen und Geschmäcker seiner HörerInnen zu treffen. Sie sollen sich auf ihren Radiosender verlassen können und wissen was sie erwartet, wenn sie einschalten. Das Programm ist "durchhörbar" und möglichst exakt auf die Zielgruppe abgestimmt. Die Musik programmieren zwar auch Maschinen, die werden aber von Menschen gefüttert und bedient. ExpertInnen, die sich täglich durch Unmengen von Musik hören, und auswählen was für ihre HörerInnen gut genug ist und was nicht.
Petroleum Jelliffe (http://www.flickr.com/petroleumjelliffe)
Die neue Formatierung
Das Internetradio funktioniert anders. Die HörerInnen bestimmen selbst, was sie hören wollen. Gibt man zum Beispiel MGMT ein, wird man sicher irgendwann bei Vampire Weekend, Black Kids, The Teenagers, Van She oder den Klaxons landen. Bei recht "ähnlicher" Musik also. Was "ähnlich" ist, bestimmt die Software. Sie anaylsiert, was sich wie viele Menschen in welcher Reihenfolge anhören und vermutet, dass häufiger angehörte Sachen populärer sind. Die schlägt sie dann auch anderen Usern vor. Also je nachdem was andere, die auch MGMT gern haben, angehört haben, spuckt last.fm für uns die demensprechend "passende" Musik aus. Dazu kommt, dass last.fm umso präziser unseren persönlichen Geschmack trifft, je öfter wir das Portal benutzen.
Musikinstrumente und Stimmen haben bestimmte Frequenzmuster, die mit den Frequenzmustern anderer Songs verglichen werden können. Das Music Information Retrieval im FM4 Soundpark kann das ziemlich gut.
Anders als beim Radio, wo ExperInnen versuchen den richtigen Geschmack zu treffen, oder etwa beim Music Genome Project, bei dem Musik in ihre Einzelteile zerlegt und analysiert wird, weiß last.fm nicht wie die Musik klingt. "Es funktioniert im Vergleich deshalb besser, weil ein sozialer Kontext mit ihm Spiel ist", meint Woost. Der kollaborative Filter hinter dem Internetradio kann also Geschmack vorausahnen.
Arbeit am Geschmack
Geschmack, den wir uns bis jetzt hartnäckig erarbeiten mussten. Aus dem Angebot im Plattenladen, im Musikfernsehen und im Radio haben wir die Musik destilliert, die uns interessiert und für uns relevant ist. Einzig der Freundeskreis, Musikkritiken oder Fachzeitschriften waren eine Hilfe dabei.
aloshbennett (http://www.flickr.com/aloshbennett)
Wobei aber vor allem die letzten beiden gerade dabei sind, in der sozialen Wirklichkeit des Internets obsolet zu werden. Versierte, gut informierte UserInnen tauschen Informationen über Musik selbst untereinander aus. Die Blogs geben Anstöße für neue Musiken, das unendliche Archiv, das man zur Verfügung hat, lässt ein fröhliches Nebeneinander von Stilen, Epochen und Geschmäckern zu. Eine "Geschmackspolizei", wie sie die Musikkritik gern ist, braucht dafür eigentlich niemand mehr.
Rezeptionsrealität von Pop
Für die ehemalige Spex-Redakteurin Kirsten Riesselmann hat das Desinteresse an Musikkritik vor allem mit einem strukturellen Problem zu tun. Das Format CD-Besprechung, Plattenrezension oder Konzertkritik entspricht ihrer Meinung nach nicht mehr so ganz der Rezeptionsrealtität von Pop. "Das hat auch ganz viel damit zu tun, wie man als Journalistin oder Journalist an Informationen kommt. Das sind meistens die alten, gut eingespielten Kanäle. Du bekommst Informationen von den Labels, von Konzertveranstaltern und aus deinem sozialen Kontext." Während auf den verstreuten Blogs gerade wieder ein paar hundert neue Songs besprochen worden sind.
Mark Terkessidis ist (ehemaliger) Musikjournalist und hat sich in den letzten Jahren auf das Thema Migration spezialisiert. Am 5. März ist er zu einer Lecture in Wien.
Den Kulturwissenschaftler und Autor Mark Terkessidis stört vor allem, dass in der "Fixierung auf das Produkt CD" so viel verlorengeht. Das Feld der Popmusik ist für ihn eine "Mischung aus Körperspannung, musikalischem Ausruck, Aussehen, Haltung, Stil und Ereignissen" und nicht nur ein Datenträger, über den geschrieben wird. Er ortet eine generelle Krise des Musikjournalismus, aus dem "eine Mischung aus Industrievorgaben und Wikipediawissen" geworden ist. Auch ein großer Teil der "Qualitäts-Musikpresse" fungiert, seiner Meinung nach, als reines Werbeorgan. "Es hat in den 90er Jahren angefangen, dass es selbstverständlich geworden ist, Artikel gegen Anzeigen zu tauschen, oder dass man Cover kaufen kann. Mittlerweile ist das vollkommen gängige Praxis." Die Kritikfähigkeit bleibt bei so einer Politik der Kooperationen natürlich auf der Strecke und die Musikpresse macht sich so zu einer Art "Hofberichterstattung" der Industrie.
matiasjajaja (http://www.flickr.com/matiasjajaja)
Kritik der Kritik
Neben den allzu gut bekannten Möglichkeiten von Musikkritik, wie etwa der Suche nach Referenzen in der Platte selbst oder in früheren Platten der Musikerin/des Musikers, nach Referenzen innerhalb der Gattung oder nach einem Verhätnis zu anderen Gattungen fordert Terkessids auch wieder ein paar etwas in Vergessenheit geratene Möglichkeiten der Kritik an den Tag:
"Kritik fragt nach dem Widerhall in der Welt, die der Gegenstand bewohnt. Verschafft mir der Gegenstand eine Erkenntnis über die Welt? Gibt mir der Gegenstand möglicherweise sogar eine Waffe, mit der ich die Welt verändern kann? Kritik sucht auch - möglicherweise ein seltsames Wort - nach Originalität. Kritik sensibilisiert im besten Falle für Unbekanntes, Kritik kann auch so etwas organisieren wie "cooles Wissen" - alternative Wissensbestände also. Und Kritik begründet, was es möglich macht, dass man sich auseinandersetzt, dass man eben mehr haben will als bloß einen Geschmack."
Geschmack haben alle
Jonas Woost, Kirsten Riesselmann, Mark Terkessidis und Geert Lovink waren Teil des Kongresses Dancing With Myself Mitte Jänner in Berlin.
Mit der Verschiebung der Pop-Öffentlichkeiten in Richtung Internet tun sich natürlich auch neue journalistische Formate auf. Das Privileg des Schreibens über Naheverhältnisse und "gute alte" Bekanntschaften zu den Stars wird von den Online-Plattformen gerade vom Sockel gestürzt, denn obwohl Musikplattformen und Blogs laut Jonas Woost eher "Musikgeschmäcker aggregieren" bieten sie auch Platz für Artikulation: "Früher hatte man nur so wenig Leute, die einem zugehört haben. Seine Freunde, die Leute im Plattenladen, in der Schule. Es gab ein paar wenige privilegierte Kritiker, die - hoffentlich weil sie gut waren - ein größeres Medium bekommen haben. Das hat sich geändert. Jetzt hat jeder theoretisch eine sehr, sehr große Audience."
Dieses "freie Schreiben" über Musik im Netz ist aber selbst wieder ein Mythos geworden, denn es folgt genauso gewissen Logiken. Der holländische Medientheoretiker Geert Lovink weist etwa darauf hin, dass Kritik heute, wie jeder andere Text auch, maschinenlesbar ist. "Viele Leute die Blog schreiben, sind sich darüber klar, dass sie eigentlich für Google schreiben, und dass sie bewusst oder unbewusst über die Wahl von Tags, Wortwahl oder die Wahl der Referenzen höher in den Suchmaschinenlistings kommen." Das positive an Blogs ist für Lovink die Kritik an der zentralisierten Meinungsbildung. Blogs schaffen neue Formen der Subjektfindung, die sich "nicht nach der Meinung hegemonialer Medien richten."
Häppchenjournalismus
Radio-Tipp
Mehr zur Wertschöfpungskrise in der Musik: Pop und Zukunft auf fm4.orf.at und am Donnerstag, 19.02. ab 19h in einer FM4 Homebase Spezial
Während ein Teil der alten Medien versucht mit der Geschwindigkeit der Blogs mitzuhalten, seine Inhalte auf ein Mindestmaß an Information zu verknappen, um so den Reiz der neuen Artikulationen zu treffen versucht, wird diesen kurzen journalistischen Häppchen (von anderer Seite) keine lange Zukunft prophezeit. Der Schweizer Medienforscher Carlo Imboden etwa meint: "Die Zeit der kleinen Infohappen in den Tagesprintmedien ist vorbei". Vielleicht ist ja die Verabschiedung vom Häppchenjournalismus auch für den Rest der herkömmlichen Medien das adäquate Mittel im Ringen um Aufmerksamkeit, denn last.fm kennt beispielsweise nur Meinung und Geschmack.
Was fehlt, sind die langen Texte, die breiten Analysen, die Einordnungen und die inhaltlichen Ausführlichkeiten. Radiostationen, die ihren Fokus immer schon auf eine Qualität abseits von Homogenität und Durchhörbarkeit legten, wird last.fm wahrscheinlich nicht nur musikalisch weniger jucken, sondern auch strukturell. Unter der Voraussetzung natürlich, dass dort Inhalt über Gefühligkeit und Form des Formats steht.
Und vielleicht wird sich Musikhören über Internetradio irgendwann anfühlen wie Suhlen im Sumpf der eigenen geschmacklichen Treffsicherheit? Vielleicht will man wieder einmal überrascht werden? Vielleicht ist die Unschärfe des Zielpublikums sogar die große Chance der herkömmlichen Medien?