Erstellt am: 23. 1. 2009 - 15:22 Uhr
Journal '09: Freitag 23.1.
In Kitsch-Romanen wird ja gerne so getan, als wäre die vordringlichste Assoziation zur Erinnerungsleistung der Geruch. In schwachbrüstiger Literatur wimmelt es von Kindheits-Reminiszenzen, die sich aus Düften oder anderen Riech-Reizen herleiten. Nun ist der Geruch, der in Silberpapier verpackten Schoko-Nuss sicher ein signifikanter, der mir den strahlenden Weihnachtsbaum der Kindheit wieder vor Augen führt - allerdings erst deutlich nach der glitzernden Optik und deutlich hinter dem Krisp-Krokant-Geschmack.
Zudem ist meine Erinnerungsleistung tendenziell am ehesten an einen Ort gebunden. Ich muss jedesmal grinsen, wenn ich an dem kleinen Hotel vorbeigehe, von dem mir eine Ex-Freundin (im Zusammenhang mit dem Verlust ihrer Unschuld) erzählt hat und mich stichts jedesmal, wenn ich das Krankenhaus, in dem meine Oma bei einer harmlosen Routine-Untersuchung gestorben ist, passiere.
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Menschen und Gegebenheiten lassen sich erinnerungstechnisch eben leichter verorten als erschnuppern. Schwierig wird es bei abstrakten Einheiten, bei Institutionen. Und ganz schwer ist es, wenn man sich quasi täglich in dieser Institution befindet.
Es ist wie mit den alten Schul- oder Uni-Freunden, denen man zig Jahre nicht begegnet ist: die kommen dir mit ihrem Letztstand, also mit Dingen, mit denen du womöglich seit zig Jahren abgeschlossen hast; aber es ist halt das letzte Bild, das sie von dir haben und dir deshalb entgegenspiegeln, und somit eine klar zeitlich einzuordnende Erinnerungs-Leistung.
Ich denk' deshalb über diese Dinge nach, weil ich mich jedes Jahr, so zwischen dem 16. 1. (also dem FM4-Start) und dem FM4-Geburtstagsfest, fast zwangsläufig an den Beginn und die Entstehung erinnere. Das ist ein peinlicher Krampf, etwa so, wie wenn Eltern sich ununterbrochen an Kleinkind-Geschichten erinnern müssen und sie dann (noch dazu immer gleich langweilig) erzählen. Deswegen jetzt hier: nein, keine alten Kamellen.
Mir gehts heute schlicht um die Verortung, die hier, im 4. Stock im Funkhaus, der seit 1994/5 etwa dreißigmal umgestaltet wurde, zwar theoretisch gegeben ist, aber eben nicht so funktioniert wie beim oben erwähnten Hotel oder dem Spital. Wo also, reißts mich FM4-technisch, so wie bei der Oma?
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Die FM4-Erinnerungsleistung
Theoretisch müßte das bei dem Baggersee in Oberlaa der Fall sein, den Angelika Lang und ich umringt haben, in der Nacht im April 94, als Cobains Tod bekannt wurde - als der endgültige Beschluss gefasst wurde "es" zu probieren, against all odds. Aber dort war ich seitdem nicht mehr.
Und, stimmt, jedesmal wenn ich am Cafe Amacord an der Wienzeile vorbeikomme, muss ich an einen Abend im Anfang Februar des Jahres denken, als dort der Samen gesät wurde.
Und ja, als ich unlängst den damals bei Ö3 beschäftigten Kollegen Karl Takats auf der Bühne gesehen habe, auf der er seiner Lieblingsbeschäftigung (der fachgerechten Bedienung eines Saxofons) nachging, ist mir das eingefallen, was mir immer zuerst einfällt, wenn ich ihn irgendwo erspähe: unser Dialog bei einer Party knapp nach dem FM4-Start, als er mir (gutmeinend freundschaftlich) erklärte, warum das nicht funktionieren würde können. Ich lächle dann immer so wie damals.
Natürlich gab es in der Frühphase von FM4 auch sowas wie ein gemeinsames Fortgehlokal - es war das Roxy im Freihaus-Viertel, wo zb jeder Radio Blume-Dienstag endete. Aber das war auch schon der Ort, an dem die ZickZack-Redaktion ihre halböffentlichen After-Work-Konflikt und Love-Interest-Programme abhielt - das macht eine geteilte Erinnerung.
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Seitdem hat sich sowas wie ein Stammlokal nicht mehr etabliert. Die Orte, an denen zb die interne Weihnachtsfeier oder andere kleine Feste abgehalten wurden (vom Cafe Stein, über den VG-Pavillon bis zum Rebhuhn oder dem Gasthaus Vorstadt) sind allesamt mit ganz anderen Erinnerungen konnotiert. Und sowas wie ein FM4-Lokal (die alte Exit-Strategie von Stermann & Grissemann, die früher immer, wenn sie verzweifelt waren und nicht an eine Zukunft glauben wollten, in der Wirt-Karriere einen Ausweg sahen) hat sich nicht ergeben.
Der wievielte ist das heuer?
Das ist eine Frage, die ich mir dauernd neu beantworten muss, auch weil es mittlerweile unübersichtlich geworden ist, mit den vielen Jahren - und zunehmend wurschter. Alte Foto-Alben wälzen, das muss nicht sein.
Ich hab ja auch keine Lust auf eine Geschichte, die man dauernd vor sch herträgt - erinnert mich zu sehr an meine kleine Moskau-Reise von vor dem Mauerfall, als man ununterbrochen mit einem aufgesetzten Geschichts-Interesse, das nur noch reine Fassade war, belästigt wurde.
Ich bin nur auf der Suche nach der Verortung. Und das fällt selbst innerhalb des Funkhauses schwer. Die alte Musicbox/Zick-Zack-Redaktion gehört jetzt den anständigen Ö1-Kollegen von Moment und Diagonal. Die erste, noch fensterlose Behausung im 4. Stock dient jetzt als Server-Raum. Die nächste, ebenso legendären Redaktions-Räume, die im Glaskasten, sind jetzt Ort eines Komplett-Umbaus. Das alte, erste FM4-Studio, hinter dem Hauptkontrollraum, am Rande der Galaxis, ist zu einem Ausweichstudio für Ö1 umgebaut worden.
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Wir nannten das entlegene Ding liebevoll "die Bronx" - was damals Sinn machte, weil die Bronx da noch großteils No-Go-Area war. Heute, Jahre später, ist sie gentrifiziertes Herz einer neuen Welt, deren innere Grenzen (zwischen Subversion und Anpassung, zwischen Rebellion und Ehrgeiz) fließend sind. Und das zweite alte Studio ist gerade wieder einmal das aktuelle Studio, weil das letzte ja (anläßlich den angesprochenen Komplett-Umbaus) in die Luft gesprengt wurde.
An all diesen Orten komme ich entweder nie vorbei oder sie sind längst andersweitig belegt; oder sie sind reine alltagsbenutzte Gegenwart. Und ich werde, was FM4 betrifft, nie in die Alte-Schulfreund-Situation der puren Erinnerung, die im Abrufen des letzten Bildes besteht, kommen. Wohl eh auch besser so. Denn: immer wenn MIR jemand mit so alten Geschichten kommt, muss ich nach ganz kurzer Zeit schon weghören, weil mich Geschichten ohne Gegenwarts-Bezug oder übergeordnete Moral schnell langweilen.
Wahrscheinlich reicht es, dass ich das große Papp-Ding mit dem ersten Schema und den alten Fotos neben meinem Platz aufgestellt habe. Mehr Verortung geht eh nicht.
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