Erstellt am: 22. 1. 2009 - 15:59 Uhr
Journal '09: Donnerstag 22.1.
Sigi Marons Website
Seine Ballade von ana hortn Wochn
Maron Live2008
Heli Deinboeks Website
Ein Deinboek-Klassiker, der Koitus Interruptus Blues, als Audio
Deinboek Live, Achtung, bad quality!
Kollege Robert Misik mit Ähnlichem im Standard
Gestern Abend hat einer der großen alten Politbarden des Landes sein erstes bedeutenderes Konzert seit Langem gespielt:
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Sigi Maron, Anecker und Aufwecker in den gesellschaftspolitisch noch wesentlich ideologisch umfehdeteren 1980ern. Sigi Maron, der damals aus Protest (und zwar sowohl wegen des inoffiziellen Spielverbots seiner politisch wahren und inhaltlich manchmal derben Stücke, als auch wegen des nicht einmal ansatzweise behindertengerechten Zugangs) einen Eingangspfeiler des Wiener Funkhauses angebrunzt hatte (was seinen Auftritt ein paar Meter weiter, im damals noch nicht existenten Radiokulturhaus umso interessanter macht). Sigi Maron, ein aktionistischer Held, der gegen alte Nazis (wie das Spiegelgrund-Monster Heinrich Gross), populistische Politiker und andere Verbrecher bzw. Heuchler (auch gerne im Visier: die katholische Kirche) ansang, nein, anschrie: denn Maron lebte mehr von seiner Wucht, seiner offenen Unbedingtheit.
Am Beispiel von Sigi Maron und Heli Deinboek
Ich war (nicht zuletzt im Bewusstsein des Maron-Auftritts) ein paar Tage davor bei einem Auftritt eines Zeitgenossen, einem der anderen Polit-Barden dieser Tage:
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Heli Deinboek, Schrei-Poet, wortmächtiger Reimeschmieder Nestroy'scher Prägung. Auch ein Unangenehmer, eine echte Krätzn, der die unangenehmen Dinge, das, was sonst gern unter den Tisch fällt, aus- und anspricht, deutlich und derb, und uns damit erwischt und berührt, manchmal befreit auflachend, manchmal unangenehm ertappt.
Beide Herren waren große und wichtige Volkstribune, wuchtige Sprachrohre, die in den wilden Zeiten als zwischen Zwentendorf und Hainburg für einige Zeit das Gefühl existierte als könnte eine außerparlamentarische Opposition etwas bewegen. Als dieser Unmut kanalisiert wurde, als sich diese diffuse Gegenkulturbewegung zu den Grünen formte, als die Rechtspopulisten das Protestpotential der schweigenden Mehrheit abzugreifen begann, als Politik und Wirtschaft begriffen, dass man auch die dümmsten Maßnahmen durch Marketing herbeilächeln kann, versandete dieser Widerstand. Die ihn bis dahin anführenden Künstler ergaben sich entweder den politischen Lockrufen (Heller, Morak, ...) oder vergruben sich in der inneren Emigration.
Sigi Maron oder Heli Deinboek haben sich da zurückgezogen, wohl auch, weil es mit ihrer Wirkungsmächtigkeit vorbei war.
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Blues und Rocksteady
Heute spielt der eine mit einer Rocksteady-Band, naja, die spielen einen sehr braven vorstädtischen Reggae. Beim anderen hat aus seiner Leidenschaft für den schneidenden Blues à la Robert Johnson ein gut abgelegter Mainstream-Blues entwickelt. Das ist nichts Böses, auch der Ostbahn/Resetarits-Kurti/Willy spielt ja dieser Tage einen sehr gmiatlichen Sound, der auf alten heimischen Sounds basiert und mit anständigen Pop-Genres kreuzt. Auch bei Maron quetscht einer die Harmonika, und bei Deinboek spielt immer noch Harry Pierron (ein Sproß der Wienerlied-Helden Pirron & Knapp) die Elektronen-Orgel.
Bei beiden Konzerten wurde im übrigen kaum geredet zwischen den Stücken - und das im krassen Gegensatz zu früher. Denn früher waren Maron- oder Deinboek-Auftritte Kabarett-Programme mit dazwischengeschalteter Musik, Agit-Prop-Shows, die zwischen politischem Aufruhr, künstlerischer Wut und persönlichen Entwicklungsberichten irrlichterten. Diese Shows waren gefährlich.
Ich erinnere mich an eine Maron-Konzert-Review, die ich Anfang der 80er noch als jugendlicher "Presse"-Mitarbeiter geschrieben hatte - die Ressortleiterin setzte mir auseinander, dass die Geschichte zwar hervorragend wäre, sie sie aber nicht bringen würde können; weil es nicht zulässig wäre, dass ein bürgerliches Blatt sich mit einem Klassenfeind beschäftige.
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Der Barde als Leuchtturm
In diesem Umfeld der heuchlerischen Grabenkämpfe waren die Barden wichtige Leuchttürme. Ihre politische Radikalität wurde durch die übervorsichtige Sozialpartner-Konsens-Medienlandschaft geradezu provoziert.
Wenn Chuck D. in den 1990ern davon sprach, dass Public Enemy "The black CNN" wären, weil sie die Dinge ansprechen würden, die dort nicht vorkamen, dann gilt das für die 1980er-Barden in diesem österreichischen Umfeld genauso.
Um zu wissen, was Sache war, musste man sich in den Spelunken und bei den Gemeindebau-Festen, bei denen Maron, Deinboek und die anderen auftraten, versammeln. Dort gab es die wirklich relevanten Nachrichten zu hören, dort kommunzierte die Community. Heute reicht ein Blick in den Facebook-Account: selbst, wenn dir etwas entgangen sein sollte - irgendeiner deiner 345 Freunde wird es schon thematisieren.
Dementsprechend hat sich das Publikum gewandelt.
blumenau
Bei Maron waren es "die alten Fans" und Freunde. Gut, Maron spielte ja auch ausschließlich Altes und las dazwischen aus einem neuen Buch mit älteren Geschichten.
Bei Deinboek in der Szene Wien fand sich dort ein Vorstadt-Publikum ein, das sich sonst nicht aus dem Grätzl bewegt; immerhin: es waren fast durchwegs Menschen, die das, worüber Deinboek mit unbremsbarer Lust bitterböse Texte schreibt, aus dem eigenen Alltag kennen. Und natürlich klatschten und sangen auch hier welche Deinboeks Randy-Newman-Übertragung "Meier" mit, die den Faschismus-verachtenden Text nicht schnallten, sondern sich wirklich am Randgruppen-Bashing erfreuten.
The Left CNN
Man kann es nämlich nicht verhindern, dass Wähler von rechtspopulistischen Führerparteien im Saal sind, weder dort noch bei Veranstaltungen mit Stefan Weber auf der Bühne. Niemand ist heutzutage automatisch "richtig", weil ihn ein Szene-Abzeichen ziert, oder weil man Drahdiwaberl lässig findet. Kein Mensch kann heute angesichts seines Musikkgeschmacks philosophisch oder ideologisch eingeordnet werden.
blumenau
Das offene und harsche Wort, der angewandte Aktionismus, also die beiden zentralen Waffen der Barden, die in den 1980ern das "Left CNN" Österreichs ausgemacht haben, hat durch seine Benutzung durch die rechte Avantgarde seine Macht verloren. Der Druck der Straße ist durch die Diversifizierung der Interessen, durch sofort einsetzende mediale Hypes und auch durch seine Dauerbenutzung durch dubiose Trittbrettfahrer so verkommen wie der Begriff des Lebensmenschen nach Petzner.
Die Barden wissen das wohl und spielen lieber ihre Lieder als dass sie ihre kühnen Reden schwingen. Das ist ein wenig traurig, weil Themen wie die intern immer noch gefühlte Kirchen-Allmacht in diesem Land oder auch eine Geschichte wie die des im Arbeitseinsatz getöteten KronaKurier-Zeitungsverkäufers auch heute noch Bedeutung haben und in den öffentlichen Diskurs gehören.
Aber ein Land, in dem immer noch mit Schaum vorm Mund Klassenfeindschaften gepflogen werden, ist natürlich nicht imstande, seine Barden sinnvoll einzusetzen.
blumenau
Bei Obamas offizieller Inaugurations-Konzert-Party war es Folk-Opapa Pete Seeger, ein Weggefährte Woody Guthries, ein Mann, der seit Jahrzehnten von den Rechten als Kommunist diffamiert wird, weil er das offene und kritische Wort pflegt, weil er Aktionist und politischer Aktivist ist, der "This Land ist Your Land" vorsang. Und genau dort gehört einer wie er, ein wortmächtiger Lehrer, hin.
Ein Heli Deinboek müsste seit Jahren als Volksschauspieler in Nestroy- oder Horvath-Stücken auf der Bühne stehen und den Liliom oder den Oskar spielen (verzeih mir, Palfrader, du bist auch gut, aber nicht so). Ein Kommunikations-Talent wie Sigi Maron nicht anzuzapfen, ist ein ebenso starkes künstlerisches Verbrechen, eine unerhörte Verschwendung von Ressourcen.