Erstellt am: 21. 1. 2009 - 06:00 Uhr
Keine April in Paris
Ein Eisberg stellte sich 1997 in "Titanic" Kate Winslet und Leonardo diCaprio in den Weg, in "Revolutionary Road" ist der Eisberg nur von metaphorischer Bauweise aber von nicht geringerer Zerstörungskraft. An eigenen Ansprüchen, Lebenslügen, Unzufriedenheit und der Unmöglichkeit der Freiheit zerschellt das so idyllisch scheinende Leben von Frank und April Wheeler in der amerikanischen Vorzeige-Vorstadtsiedlung in den 50er Jahren.
Sam Mendes, der mit seinem Filmerstling "American Beauty" den amerikanischen Mittelstand und das suburbane Leben demontiert hat, legt mit der Verfilmung von Richard Yates gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1961 nochmal den Finger auf diese Wunde, allerdings diesmal ohne sie mit Sarkasmus abzutupfen - umso mehr trifft einen "Revolutionary Road" mit ungeahnter Wucht.
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Als sich April und Frank kennenlernen und beide schicke Rauchringe in die Luft einer New Yorker Wohnungsparty entlassen, träumt sie von einer Karriere als Schauspielerin und er erzählt von Paris und wie gerne er dort leben möchte, denn, darin sind sie sich einig, sie sind beide besonders und werden auf keinen Fall ein Leben wie all die anderen Spießer führen. Doch schließlich - und dafür braucht der Film keine zwei Minuten, da orientiert sich Mendes an den klassischen amerikanischen Filmdramen der 40er und 50er Jahre, die keine deppensichere Einführung brauchen und die Nervensägen mitkalkulieren, die zuerst zu spät in den Kinosaal kommen und dann mit Jacke ausziehen, Popcorn verschütten und einen Witz fertig erzählen erst in Minute 20 in den Film einsteigen und sich auch noch auskennen sollen - landen auch die Wheelers im Hamsterrad des Wirtschaftwunders.
April in Paris
Frank taucht ein in ein Meer der anonymen Bürodrohnen, nimmt täglich den Zug mit gleichgekleideten und gleichbehuteten Männern und somit Teil am Spiel um Normalität und Konformität. Für April, deren Schauspielkarriere nach einem Debakel in der lokalen Theatergruppe endet, wird das Vororthäuschen zur Zelle, ihr Blick reicht plötzlich nicht mehr weiter als zur Mülltonne der Nachbarn. In die Muffigkeit der 50er Jahre bricht sie ein mit Wünschen von einem anderen, freien Leben, nimmt so die Ideen der 60er Jahre vorweg - und kurzfristig springt der Funke auch auf Frank über: Die Wheelers planen nach Paris zu ziehen, dort will April arbeiten und Frank soll rausfinden, was er eigentlich mit seinem Leben anfangen will. Kurze Zeit sind sie wieder was Besonderes, kurz strahlen sie wieder den Glamour aus, dessen sie sich früher so sicher waren.
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Mit genauem und ungeschönten Blick lässt Mendes uns am Scheitern teilhaben, bis man nicht mehr weiss, was eigentlich schlimmer ist: Aprils Träume, die unweigerlich zerschmettert werden oder Franks Feigheit auszubrechen, sein sich Abfinden mit der Normalität, um sich nicht der eventuellen Einsicht zu stellen, dass er vielleicht gar nicht special ist.
Mendes verzichtet auf die übliche Krücke, mit der Literaturverfilmungen einherhinken, die Erzählstimme aus dem Off, neben neubearbeiteten Dialogen sind es vor allem die einengenden Bilder, die die Ausgweglosigkeit der hadernden Wheelers transportierten. Mendes rückt seinen Protagonisten immer so nahe wie es geht, nie lässt die Kamera ihnen Platz, immer stoßen sie bereits mit ihren Köpfen an das obere Ende der Leinwand. Wenn dann ausnahmsweise mal Nachbar Shep im Garten steht oder Frank und April durch den Wald spazieren und die Kamera kurz zurückweicht ist das, als könnten sie kurz ausbrechen oder zumindest durchatmen. Doch die Szenen im Freien sind spärlich, die meiste Zeit sind die Figuren gefangen in possierlichen Wohnhäusern, umgeben und beengt von Türrahmen oder stehen - wie in den Melodramen von Douglas Sirk - hinter Fenstern. Immer wieder fällt der Satz, wie schön es doch heute draußen sei, doch niemand geht je raus.
Frühstückshorror
Nur einmal wird die Balance der durchkomponierten Tableaus und der meist ruhenden Kamera aprupt unterbrochen, als ein heftiger Streit zwischen den Wheelers ausbricht, der "Wer hat Angst vor Virginia Woolf"-Dimensionen annimmt. Da löst sich die Kamera und wird zum neugierigen und bewegten Beobachter, die wie ein lästiger, aufdringlicher Nachbar den Protagonisten wieder viel zu nahe ranrückt. Die Stille und die erneut ruhende Kamera nach dem Streitsturm ist umso beunruhigender, in Aprils Frage, wie Frank denn die Frühstückseier möchte, steckt mehr Horror als in Carol Anns "They are here"-Schrei.
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Martinis und Zigaretten sind die kleinen Gehilfen bei der eigenen Einnebelung, um sich mit dem Unglück zu arrangieren, das man sich nicht wirlklich eingestehen will. Denn, um die eigene Existenz auszuhalten, muss man Dinge ausblenden, sich verbiegen, Schweige-Arrangements treffen oder schlicht und einfach weghören, das ist die grausame Conclusio, mit der man aus "Revolutionary Road" entlassen wird.
"Durchs Panoramafenster die Welt": Martina Bauer über den Autor Richard Yates
Sam Mendes erweist sich mit "Revolutionary Road" als Erneuerer des großen amerikanischen Dramas, er zeigt unbarmherzig die Fratze der Unmöglichkeit des amerikanischen Traums; er entwickelt einen Sog der Trostlosigkeit und Glücksunfähigkeit, in dessen Mitte Kate Winslet und Leonardo di Caprio brillieren. Academy Award, ick hör dir trapsen.