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Martina Bauer

Geschriebenes und zu Beschreibendes. Literatur und andere Formate.

17. 1. 2009 - 14:32

Lesestoff: Richard Yates

Ein Blick auf das bisher auf Deutsch erschienene Werk des Autors anlässlich des Filmstarts von "Zeiten des Aufruhrs"

Was bislang einzig zwischen zwei Buchdeckeln existierte, ist gerade dabei, Einzug in unsere Kinosäle zu halten. Denn Sam Mendes verfilmte den Debütroman von Richard Yates, unter gleichem Titel und mit Ehegattin Kate Winslet sowie (Traumpartner) Leo DiCaprio in den Hauptrollen. "Zeiten des Aufruhrs" - im Original "Revolutionary Road" - ist soeben gestartet und erzählt die Geschichte des Ehepaars Wheeler.

Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in "Zeiten des Aufruhrs"

DVA

Der Nachname ist Programm. Es geht um eine Existenz, die unter die Räder kommt. Frank und April sind symptomatisch für yates'sche Protagonisten. Man illusioniert sich durchs Leben, trinkt, raucht und streitet - bis der Zusammenbruch unausweichlich kommen muss. Und wie so oft bei Yates weisen die Wheelers auch eine ganze Reihe an autobiografischen Referenzen auf.

Lost... and found

Buchcover von "Zeiten des Aufruhrs"

DVA

Beinahe wäre Richard Yates jedoch "verloren" gegangen. Denn nach seinem Tod, 1992, verschwinden seine Werke mehr und mehr aus den Regalen. Diesen Umstand beklagt der Schriftsteller Stewart O'Nan 1999 in dem Artikel und Plädoyer The Lost World of Richard Yates und läutet damit das Wiederentdecken des Autors ein.
Der Ruhm, dem Yates zu Lebzeiten hinterher hastete, tritt ein. Seine Romane und Kurzgeschichtenbände werden neu aufgelegt und schließlich schwappt die Yates-Welle auch in den deutschsprachigen Raum über. 2002 bringt die Deutsche Verlags-Anstalt (DVA) "Zeiten des Aufruhrs" heraus. Seitdem ist viel geschrieben worden über Richard Yates, den begnadeten Schriftsteller, den passionierten Kettenraucher, den Trinker. Doch was macht die von ihm geschaffene Welt aus?

Durchs Panoramafenster die Welt

Buchcover von "Easter Parade"

DVA

Die yates'schen Figuren leben gern in Häusern und Wohnungen mit hohen Räumen - viel Platz ist hier für hochtrabende Träume - man mag einen künstlerischen Touch und allzu oft kann man sich seinen Lebens(t)raum eigentlich nicht leisten. Wiederkehrend ist zudem das Motiv des Panoramafensters, es beherrscht etwa auch das Wohnzimmer in "Zeiten des Aufruhrs": die große Welt schaut zwar herein, aber getrennt durch diese immense Glasscheibe bzw. dank ihr wird man nie ein Teil davon.

Es wimmelt von in Konventionen Eingesperrten, mit nicht genügend Mumm zum Ausbrechen auf der einen und Freigeistern auf der anderen Seite. Mitunter sind die handelnden Personen auch beides, was sie zermürbt. Man modelliert, malt, schauspielert oder schreibt: Bücher, Artikel, Gedichte - selten sind diese Ambitionen von Erfolg gekrönt.

Ein Drink ist stets schnell zur Hand und bei einem bleibt es niemals

Glücklich ist im Grunde kaum jemand im yates'schen Universum; höchstens anfänglich in einer frühen Naivität oder ersten Verliebtheit. Beides weicht bald der harten Realität, den Marotten der Menschen, der Inkompatibilität von Mann und Frau, den Auswirkungen der Zwangsgemeinschaft Familie. Viele eigene Erfahrungen hat Yates in seine Romanfiguren gelegt.

Die Tagesordnung der Verhältnisse

Buchcover von "Elf Arten der Einsamkeit"

DVA

Er und seine Schwester werden früh zu Scheidungskindern, bleiben bei der Mutter, die es nicht schafft der Familie ein geregeltes Leben zu bieten. Schulden, zahllose Umzüge, Schulwechsel und ärmliche Verhältnisse sind an der Tagesordnung. Geprägt sind die Kinder außerdem durch den Hang beider Eltern zu Genussmitteln, mütterlicherseits zudem durch psychische Labilität. Immer wieder taucht das in den Erzählungen auf - ebenso wie die fruchtlosen, bildhauerischen Ambitionen der Mutter.

Yates, der 1926 geboren ist, erlebt noch den ausklingenden Zweiten Weltkrieg an der europäischen Front. Dort zieht er sich ein Lungenleiden zu, das er ein Leben lang behalten wird. Seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten folgt früh die erste Ehe - und zerbricht, einiges dieser Zeit steckt in den Wheelers. Yates heiratet noch ein zweites Mal, es wird jedoch abermals nicht von Dauer sein. Drei Töchter gehen aus diesen Gemeinschaften hervor.

Sein Leben lang wird er von der Schriftstellerei nicht leben können, immer wieder Überbrückungsjobs annehmen müssen. Ebenso begleiten ihn Alkohol und Zigaretten sowie Aufenthalte in Lungenheilanstalten und Nervenzusammenbrüche. Alles auffindbar in seinen Büchern.

Richard Yates

Jerry Bauer

Zurück in die Zukunft

Der deutschen Veröffentlichung von "Zeiten des Aufruhrs" - das es auch als Hörbuch gibt - vor mittlerweile sieben Jahren, ließ die DVA weitere (erstmals ins Deutsche übersetzte) Werke von Yates folgen: die Kurzgeschichtenbände Elf Arten der Einsamkeit (2006) und "Verliebte Lügner" (2007) sowie die Romane "Easter Parade" (2007) und zuletzt, 2008, "Eine besondere Vorsehung".

Buchcover von "Eine besondere Vorsehung"

DVA

In diesem letztgenannten Buch begegnen wir erneut der klassischen Mutterfigur yates'scher Ausprägung: sich selbst als erfolgreiche Künstlerin illuminierend, die in den besseren Kreisen verkehrt und entsprechend finanziell abgesichert ist, träumt sich diese Frau durch ihr ganzes Leben. Ihr Sohn, der 1944 noch zur Armee kommt, kämpft mehr um Anerkennung und Würde, also einen inneren Feind, als gegen den tatsächlichen äußeren. Letztendlich wird er es aber schaffen sich einigermaßen zu emanzipieren, vor allem auch von dem eigenartigen Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Mutter.

Yates sagte einmal über sich selbst, dass es sein Pech war, den besten Roman als ersten geschrieben zu haben. Und so erscheint "Eine besondere Vorsehung" eben als eher tragende Story. Seitenlange Beschreibungen der Kriegshandlungen vermitteln zwar ein, beinahe erschreckend, authentisches Bild - da weiß jemand, wovon er spricht - besitzen zugleich aber auch Zähheit. Zu mehr Leben erwacht der Roman in den Abschnitten des "zivilen Lebens".

Ganze Erzählstränge des Romans lassen sich übrigens aufgesplittet, in mehreren Short Stories Yates verorten - diese wiederum finden sich allesamt in der zweiten Geschichtensammlung "Verliebte Lügner" und scheinen als Kurzversionen auch besser aufgehoben zu sein.

Richard Yates ist ein direkter Erzähler

Buchcover von "Verliebte Lügner"

DVA

Keine schnörkelige Sprache, keine Zweideutigkeit. Ein Realist, der die Welt so beschreibt, wie sie ist - und für ihn scheint das nur allzu oft zu heißen: unerträglich. Die Auswege sind bereits bekannt: Alkohol, Illusion, Selbsttäuschung oder Tod.

Und so sind seine Männer also Träumer, impotente Psychoten, Riesenbabys, Trinker, Kriegsversehrte oder Schläger - jeder auf seine Art mit einem speziellen "Makel" versehen. Seine Frauen tendieren zu höheren Sphären, sind gerne beschwipst, mit einem noch besseren Zukunftsplan in petto, doch auf dem Auge der Wirklichkeit mitunter blind.

Und sie managen ihr Leben nicht selten, zwar mehr schlecht als recht, aber doch alleine.

Funktionierende Familien kennt die yates'sche Prosa nicht. Es sind nicht per se Geschichten der Hoffnungslosigkeit, sondern Geschichten über Menschen, die ihre Hoffnungen verlieren, sich anpassen oder aufgeben müssen.

In seinen Werken zerschneidet der Autor den so genannten amerikanischen Traum der Wirtschaftswunderjahre, legt die darunter pulsierende Unvollkommenheit, die Rat- und Hilflosigkeit dar. Aber auch die 30er und 40er - vor allem die Kriegs- und Nachkriegszeit - kommen in seiner Sezierung nicht zu kurz.

Richard Yates hat neben seinen beiden Geschichtensammlungen insgesamt sieben Romane hinterlassen. Wir halten derzeit bei drei auf Deutsch erschienenen, die DVA will die restlichen vier Bücher aber mit der Zeit folgen lassen. Zeiten des Aufruhrs ist zudem als Paperback-Sonderausgabe bei der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen.