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Clara Trischler Jerusalem

Erzählt an dieser Stelle über israelische Alltagsbeobachtungen.

8. 1. 2009 - 18:17

Der Alltag in Jerusalem

Die Frage "Wer hat diesmal angefangen?" klingt, als wäre der Konflikt vergangenheitslos.

von Clara Trischler aus Israel

Clara Trischler lebt derzeit in Israel wo sie sich im Dokumentationsarchiv des Holocaust Memorial Yad Vashem durch letzte Postkarten, Liebesbriefe, Geburtsurkunden, Zeugenaussagen und Meldescheine, was von einem Leben bleibt, von Opfern der Shoah wühlt um Sterbedaten, geglückte Fluchten und illegale Beziehungen zu rekonstruieren. Sie erzählt an dieser Stelle über israelische Alltagsbeobachtungen

Im Vergleich zum dunklen, kühlen Wien riecht es in Israel nach einem Wandel der Jahreszeiten, der Zeit dazwischen, wie ein früher Herbst irgendwie, oder ein früher Frühling. Ich steige in Jerusalem aus dem Bus, hinter mir telefoniert jemand: "I lost my wallet on the bus, but that's okay. Since its not the worst thing to happen on a bus in Israel."

Ich kehre in ein anderes Jerusalem zurück als das, das ich noch im Dezember verlassen habe. Während meines Begrüßungsessens kommen meine israelischen Mitbewohner von der Anti-Kriegsdemonstration in Tel Aviv nach Hause und erzählen, dass ihnen jemand "Eichmann would be proud of you" nachgeschrien habe. Wer sich gegen israelische Politik richtet, ist Nazi, weil sie/er Israel in den Rücken fällt. Am selben Abend rücken die Panzer in Gaza ein.

Gleichzeitig frage ich mich, warum die Demonstrationen in Wien aus der Ferne mehr wie Anti-Israel- als Anti-Kriegsdemos aussehen. Das halte ich für gefährlich. Naiv finde ich auch die in Europa weit verbreitete Kurz-Sicht, dass die Hamas den Waffenstillstand mit Qassam-Raketen brach, woraufhin Israel hunderte Menschen auf einen Schlag tötete. Die Frage "Wer hat diesmal angefangen?" klingt, als wäre der Konflikt vergangenheitslos.

Ein Hubschrauber schießt eine Rakete ab

Amir Farshad Ebrahimi / flickr

Am nächsten Morgen, am 5. Jänner, wird Josh zur Armee eingezogen, ein guter Freund, der für die Kampfeinheit ausgebildet ist. Ich erreiche ihn nicht.

An Israel interessierte mich vor der Abreise das Leben vor dem medialen Filter: Alltägliches Leben, das wenig mit den Bildern aus Gaza zu tun hat, ein Leben anders als in Europa, ohne zu wissen, wie das genau aussah. Eine Zeit lang dachte ich, wohl einseitig medienbelehrt, dass jeder Cafébesuch ungewiss und mutig sei, dass einem auf der Straße jederzeit alles passieren könne.

Regenbogen und Hubschrauberschwärme

Im November erwachte ich noch in der Wüste, sah sandfarbene Steinhügel und auf einer weiten Fläche verstreute bunte Zelte. Beim "Rainbow Festival" versuchen junge Leute, miteinander einen Monat möglichst geldlos in der Wüste Negev zu leben. Ganz ging das für mich nicht auf: Passt naïve Freundlichkeit einfach nicht in diese Welt? Verlangt eine andere Zeit nicht auch nach einer anderen Jugendkultur und ist es deshalb nicht nur anachronistisch sondern auch weltfremd, heute Hippie zu sein?

Als wir da im offenen Teezelt in der Wärme lagen, jemand spielte Gitarre, flogen plötzlich Armeehubschrauber in kleinen Schwärmen über uns vorbei. Und ich begann, Kontraste zu sammeln. Kontraste wie, dass in Israel das Haushaltswasser durch auf dem Dach montierte Wasserboiler gewärmt wird. Eine Freundin erzählte mir, dass die weißen, an Solaranlagen angeschlossenen, meist auf jüdischen Häusern stehen. Die solaranlagenlosen, billigeren sind zum Aufwärmen schwarz gestrichen und verweisen oft auf arabische Bewohner.

Eine Frau trägt bei einer Demonstration ein Schild mit der Aufschrift "Stop Killing Start Talking"

Neta_ / flickr

Foto: Neta_

Zurück in Jerusalem am 5. Jänner, der erste israelische Soldat ist gestorben. Ich frage, wann man den Namen erfährt: irgendwann Morgen früh. Zwei Stunden später der Gefühlskontrast. Ein Freund sagt, er habe den Namen gelesen, er sei weit von "Josh" entfernt. Ich lache und gleichzeitig wieder nicht, als ich den wirklichen Namen des Gestorbenen höre. Da fällt mir die kinderlose ältere Dame Rifka ein, die ausgeschnittene Zeitungsbilder von entführten oder ermordeten 19-jährigen Soldaten am Kühlschrank hängen hat. Wieviel konkreter ein Toter im Vergleich zu einer abstrakt vorstellbaren Menge ist. Weil man seinen Namen kennt und die lachende Fotografie, sich sein Gesicht merkt und die Familie und Freunde dazu denkt.

Schlimm ist auch, dass aufgrund der geschlossenen ägyptischen Grenzen ein Fliehen aus dem Gaza Streifen für die Bewohner nicht einmal eine Option ist. Dass sich Gesichter, Familie und Freunde von Gestorbenen exorbitant vermehren.

Zwei Männer unterhalten sich bei einer Demonatration

Neta_ / flickr

Foto: Neta_

Mehr zum Thema:

  • Alltag in Jerusalem - Teil 2
  • Links zu lokalen Medien, BloggerInnen und Blogsammlungen
  • Krieg in Gaza - Der Nahostexperte John Bunzl über den Zusammenhang zwischen europäischer Judenverfolgung und der Gründung Israels.

Barack Obama hat inzwischen erstmals Stellung bezogen und gesagt, dass die USA Israel weiterhin unterstützen würden, allerdings nicht beim Töten von Menschen. Das ist ein neuer Ton und es heißt, die USA würden Israel nicht länger als zwei oder drei Tage "weitermachen lassen".

Sehr viele Reservisten seien momentan im Trainingscamp, erzählt Josh, viele Menschen, die er schon lange nicht mehr gesehen habe und von früher kennt, viele Freunde aus seiner Zeit in der Armee. Abends gibt es Konzerte zur Unterhaltung.

Josh hätte heute, am 8. Jänner, nach Gaza einrücken sollen, das wurde aber eben ohne Erklärung abgesagt. Sie alle sitzen herum und wissen nicht, was weiter passieren wird. Eigentlich ein positives Zeichen.

Dafür wurden nun erste Raketen aus dem Libanon auf Israel abgeschossen.