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5. 1. 2009 - 19:26

Krieg in Gaza

Der Nahostexperte John Bunzl über den Zusammenhang zwischen europäischer Judenverfolgung und der Gründung Israels.

Die israelische Armee hat auch heute ihren Einmarsch im Gazastreifen fortgesetzt. Gaza-Stadt ist teilweise eingekreist, die humanitäre Lage im Gazastreifen verschlechtert sich. Israelische Politiker sehen den Krieg als Akt der Verteidigung gegen den Raketenbeschuss aus Gaza. Die in Gaza regierende Hamas wiederum spricht dem Staat Israel das Existenzrecht ab.

John Bunzl ist Politikwissenschaftler und Nahostexperte am des Österreichischen Instituts für internationale Politik. Der in England geborene jüdische Wissenschafter zählt zu den bekanntesten Kritikern des Zionismus seine Fachgebiete sind auch Konflikte im Nahen Osten und Antisemitismus.

Christoph Weiss (CW): Krieg in Gaza - Der EU-Vorsitzbeauftragte, Jiri Potuznik, hat am Samstag gesagt, es wäre "Ein Akt der Verteidigung". Das hat große Empörung in der arabischen Welt ausgelöst - ist diese Empörung Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?

John Bunzl (JB): Ja, für mich ist die berechtigt, denn im größeren Kontext führen eigentlich die Palästinenser einen Verteidigungskrieg. Besonders in Gaza, zumindest als Bevölkerung. Und auch die Hamas, so kritikwürdig ihre ideologische Ausrichtung ist, ist im Grunde nichts anderes als die gewählte Vertretung einer seit Jahrzehnten geschunden und misshandelten Bevölkerung.

CW: Schimon Peres hat gesagt, die israelische Regierung wolle nicht den Gazastreifen besetzen und auch nicht die Hamas vernichten. Ziel sei es, den Terror zu vernichten. Kann man den Terror beenden ohne die Hamas zu vernichten?

JB: Der Terror ist nicht die Ursache, sondern das Ergebnis der Okkupation, Unterdrückung und Diskriminierung. Die Hamas ist eine politische Organisation, die sowohl einen militärischen als auch einen gesellschaftlichen, kulturellen usw. Ausdruck eines Großteils der Bevölkerung darstellt und die bei den Wahlen Anfang 2006 auch eine große Mehrheit bekommen hat. Auch wenn es jetzt den israelischen Soldaten gelingen sollte, die Hamas, wie sie es behaupten, militärisch auszuschalten, und auch nachdem die politischen Führer attackiert werden, auch politisch auszuschalten, bin ich sicher, dass nach einiger Zeit in der einen oder anderen Form, vielleicht sogar in einer radikaleren Form der palästinensische Widerstand sich rekonstituieren wird.

CW: Nun ist das Vorrücken in den Gazastreifen nicht nur militärisch riskant, sondern auch in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung weltweit. Was ist der Grund, dass Israel das zu ignorieren scheint?

JB: Es gibt einen Mechanismus in der israelischen Gesellschaft, den man vielleicht sogar als tribal und als sehr ethnozentrisch bezeichnen kann. Wo die Kritik von Außen grundsätzlich verdächtigt wird, antisemitistische Motive zu haben. Und auf diese Weise muss man die Kritik nicht ernst nehmen, auf diese Weise immunisiert man sich in gewisser Weise von der Kritik und manche behaupten dann sogar, dass die Bilder, die wir täglich im Fernsehen sehen erfunden und gestellt sind.

CW: Da sind wir dann beim Zionismus, der ja auf einem israelischen Staat in der Region beruht. Gibt es Ihrer Meinung nach überhaupt eine vernünftige territoriale Lösung?

JB: Der Zionismus ist für die europäischen Juden eine Option, eine Befreiungsbewegung gewesen. Aber die Verwirklichung in Palästina ist ein koloniales Siedlerprojekt. Und der Staat Israel ist das Resultat, sowohl der europäisch jüdischen Geschichte, als auch des kolonialen Siedlerprojektes. Und letztendendes müsste der Staat Israel diese Funktion überwinden und ein normaler Staat werden, der ein Ausdruck seiner Bevölkerung, der jüdischen und arabischen Bevölkerung, ist, also eine grundlegende Demokratisierung durchmachen müsste. Das ist allerdings kurzfristig überhaupt nicht zu erwarten. Man hat angenommen, dass vielleicht eine Zwei-Staaten-Lösung eine, zumindest vorübergehende, Perspektive sein könnte, das schaut jetzt auch nicht danach aus. Es schaut eher danach aus, dass aufgrund des Kräfteverhältnisses Israel eine regionale militärisch hochbewaffnete Supermacht werden wird, die auf der Nicht-Anerkennung der politischen Rechte der palästinensischen Bevölkerung beruht und Israel kann sich das auch vorläufig leisten, weil es so stark ist.

CW: Die Bevölkerung in Gaza besteht knapp zur Hälfte aus Unter-15Jährigen. Gibt es eigentlich eine israelische Perspektive, was man diesen Jugendlichen und Kindern dort bieten kann?

JB: Das spielt in der Kalkulation eine sehr geringe Rolle. Wichtiger ist vielleicht noch, zu wissen, dass mindestens drei Viertel der Bevölkerung in Gaza Flüchtlinge oder abstammend von Flüchtlingen des Jahres 1948 sind. D.h., diese Menschen, die im Gazastreifen zusammengepfercht sind, stammen, zumindest die ältere Generation, zum Großteil aus dem Kerngebiet des Staates Israel. Und die haben immer noch Träume, Wünsche, Ansprüche, die sich auf dieses Kernland beziehen. Diese Situation trägt dazu bei, dass Gaza eine aus israelischer Sicht schwierige Region ist, die immer schwer unter Kontrolle zu bringen war. Und ein Grund des Abzugs im Jahr 2005 war ja auch diese arabische Bevölkerung aus dem israelischen Herrschaftsbereich auszuklammern um ihr demografisches Gewicht zu verringern. Es könnte sogar auch sein, dass der Abzug der Siedlungen damals eine Voraussetzung ist für das jetzige militärische Vorgehen, das ja diese Siedlungen unter Umständen auch gefährdet hätte.

CW: Ist eine Haltung gegen die Militärmacht Israel, gegen diese Kriege in der Region denkbar, ohne dass man mit Ahmadinedschad oder anderen Holocaustleugnern gemeinsame Sache macht?

JB: Man muss sich vollkommen distanzieren von jeglicher Form von Holocaust-Leugnern. Die Haltungen von Arabern oder Muslimen zu Israel sind nicht primär durch Antisemitismus oder Holocaustleugnern geprägt, sondern das ist eine Folge des Konflikts, nachdem Israel selber den Holocaust als Legitimationsgrundlage benützt. Und auch den Antisemitismus und sich selber auch als Staat der Juden in der ganzen Welt definiert, kommt dieses Element dazu. Aber der grundlegende Widerspruch ist eher der zwischen dem kolonialen Charakter des Staates Israel und dem Widerstand der Palästinenser und den sich daraus ergebenden Kriegen und den sich daraus ergebenden Legitimationsstrategien auf beiden Seiten, wo dann ein starker antiarabischer Rassismus in Israel und ein antijüdischer Rassismus in den arabisch und islamischen Staaten entstanden ist. Der vorher nicht so vorhanden war und keineswegs als Wurzel oder Ursache des Konflikts angesehen werden sollte.

CW: Wie kann sich Österreich, das ja Mittäter war am Holocaust, wie kann man hier Haltung beziehen gegen den Krieg?

JB: Man muss nach wie vor davon ausgehen, dass die Existenz des Staates Israel und die Tatsache, dass es überhaupt so viele Juden in Israel und Palästina gibt, eine Folge des europäischen Antisemitismus, des Holocaust, der Judenverfolgung war, also insofern gibt es einen Zusammenhang. Die Frage ist, ob man nicht auch die Palästinenser letzten Endes als eine Folge in dieser Kette von Gewalt ansehen kann und muss. Und das sich daraus eine verantwortliche Haltung ergibt, nämlich, sich sowohl Einzusetzen für das Lebenswerk der israelischen Juden als auch der palästinensischen Arabern. Und dass diese Haltung nur möglich ist, indem dort mehr Gerechtigkeit, mehr Fairness und mehr Gleichberechtigung entsteht und das würde ich unter einer verantwortungsbewussten Haltung schon verstehen. Auch in Österreich.

CW: Wie schätzen sie denn die Stimmung in der Bevölkerung ein, sowohl in Israel als auch in Gaza? Besteht eine Aussicht darauf, dass die Bevölkerung ihre jeweiligen Regierungen oder Militärs sowohl in Gaza als auch in Israel nicht mehr unterstützt beim jetzigen Kurs, den sowohl die Hamas als auch die israelische Regierung fährt?

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'Der politische Verlierer ist Israel'
Karim El-Gawhary, ORF-Korrespondent in Kairo im Interview

JB: Also bis jetzt ist die Unterstützung in Israel fast 100%, das ist bei Kriegen, die als Selbstverteidigung, als Überlebenskampf ausgegeben werden immer der Fall. Obwohl es am Samstag in Tel Aviv eine für israelische Verhältnisse ungewöhnlich große Friedensdemonstration gegeben hat, mit 10.000 Teilnehmern. Ich bedauere es, dass diese Meldung meines Wissens nach nicht in die Schlagzeilen gekommen ist. Und was wir aus dem Gazastreifen hören, ist die absurde Logik, dass die Zerstörung die Bevölkerung dazu bringen wird, gegen ihre Führung zu rebellieren. Dafür gibt es bisher nicht die geringsten Anzeichen. Die Bevölkerung im Gazsatreifen macht Israel verantwortlich und die Bevölkerung in der arabischen Welt, soweit sie sich äußert, solidarisiert sich mit der Hamas. Es ist auch sehr schwer anzunehmen, warum die Bevölkerung im Gazastreifen sich gegen die Hamas erheben sollte. Weil die haben momentan ganz andere Sorgen.

CW: Danke für das Gespräch.