Erstellt am: 15. 10. 2014 - 14:06 Uhr

Und es regnete Schweiß von der Decke

Alle wollten die Beatsteaks sehen, beim FM4 Überraschungskonzert im Conrad Sohm in Vorarlberg. Jetzt für sieben Tage zum Anhören.

Willkommen in einer fremden und sauberen Welt. Die Welt des Schweiz-Klischees von Ordnung und Frischgebürstetheit, in der der mit wuschelig-reinem Spannteppich ausgekleidete Linienbus wie ein frisch gewienertes Wellnesshotel aussieht, die brav lächelnden, gut angezogenen und wohlerzogenen jungen Leute einen mit dem befremdlichen aber - weil ortsüblichen - Heil begrüßen und in niedlichem Idiom den Weg erklären. Man hat das Gefühl, dass selbst die Autoreifen sauberer sind, als nur 50 Kilometer westlich.

Mitten in der schmucken, von Durchgangs-Kommerzflächen durchstochenen Innenstadt des malerischen Kaufmannstädchens, umgeben von Bankfilialen und Architekturpreis-Häuschen kann sich ein kleines Team aus Wien beim besten Willen nicht vorstellen, wo hier der dreckige Punkrock der Beatsteaks seine Heimat finden soll.

Im Conrad Sohm

Die Lösung residiert im Wald: In einem von Büschen und Bächen eingeschlossenen Parallel-Vorarlberg liegt die vielleicht schönste Konzertlocation des Westens. Wie eine Trutzburg, uneinnehmbar und versteckt, mit Stahlkunst verziert, klotzt die ehemalige Turbinen-Manufaktur und erträgt geduldig noch den lautesten und exzessivsten Berliner Wüstpunk. Neben dem Conrad Sohm stören sich nicht mal die Füchse an dem Höllenlärm der hier allabendlich nicht durch seine meterdicken Burgmauern zu dringen vermag. Wie die ganzen Leute hierher kommen sollen, an den Stadtrand des Sauberen und Geordneten, weiß kein Mensch, aber sie werden es tun.

Pete Ionian

Die Beatsteaks tanzen am Nachmittag an und nicken wohlwollend, angesichts der so Punkrock kompatiblen Rauheit dieses alten Industriegemäuers. Ihr Tourbegleiter ("Reiseleiter") Thorsten erinnert sich an ein Konzert der Band von "vor vielleicht 12 Jahren" hier, also bevor die Jungs sich mit akrobatischer Unbekümmertheit in die erste Liga des Punkrock hochgespielt hatten. Was die Leute hier so reden, verstehen sie naturgemäß nicht, obwohl es wohl schon besser geht, immerhin hatten sie sich schon ein paar freie Tage am spätsommerlichen Bodensee gegönnt, mitten in ihrer Ochsentour, die schon jetzt fast überall ausverkauft ist. Und die geht gleich los, vor einer Meute von Überraschungskonzert-Erprobten. Der Sohm-Chef hat kurz Sorge, dass nicht genug Leute kommen – diese Sorgen sollen bald durch andere abgelöst werden.

Crowd

Um 19 Uhr ist Schluss mit der Idylle. Rund 1500 Leute wollen die Beatsteaks sehen. Laut einem Sohm-Mitarbeiter ist das die größte Menschenmenge, die sich je vor der Trutzburg versammelt hat. Die Waldstraße ist zugeparkt bis fast in den Ort hinein, Autos aus Nürnberg, Garmisch, St. Gallen, Innsbruck, Zürich, Freiburg. Das hat was Bedrohliches, mindestens die Hälfte dieser treuen Fans werden es nicht rein schaffen. Die Securities erwidern Dräng-Druck, Kollege Pant tröstet ein von Zerquetschung bedrohtes 13-jähriges Mädchen mit einem Lutscher, später wird sie doch noch rein kommen.

Pete Ionian

Die Beatsteaks beginnen pünktlich, die Enge der Masse ist für sie kein Problem. Diese Band mag kleine Clubs, wie Sänger Arnim im Interview gesteht: "Da kommen wir her". So würden sie heute Abend auch "Lieder vom ersten Album spielen, was wir sonst fast nie tun". Und auch "einige Überraschungen". Zwar war das von mir Backstage gehörte "Ça Plane Pour Moi" nicht dabei, dafür "So Lonely" von Police und das von Gitarrist Peter Baumann angestimmte "Du bist so schön, auch wenn du weinst" aus dem Musical "Linie 1". Es wird wüst crowdgesurft, slamgetanzt und mitgebrüllt. Der Schweiß, der jetzt wirklich von der Decke zu tropfen scheint, tränkt die kleinen Grüppchen, die sich alle paar Minuten überhitzt den Weg ins Freie bahnen, völlig erschöpft und glücklich. Sie werden keine Chance haben, wieder rein zu kommen.

zurück von weiter

Um den Druck und die anschwellende Begeisterung der Choreografie der Beatsteaks-Show zu begreifen, ist es nicht nötig, die musikalischen Horizonte dieser Band zu verstehen, aber es hilft: So spielen die Jungs am Anfang ihrer Songs oder während der Ansagen klitzekleine Referenzen an die gesamte Geschichte des Punkrock, Metal und Powerpop ein: Was ich so mitbekommen habe waren unter anderem Talking Heads, Danzig, Motörhead, Joe Jackson und Naughty By Nature dabei. Alles, was der Party dient - und diese kleinen Teile münden in die Beatsteaks-Songs, die das anwesende Vorarlberg fast zur Gänze auswendig kann.

Die Party ist – ähnlich wie bei den Toten Hosen – als große Gemeinsamkeits-Fete angelegt: Arnim entdeckt, dass ein crowdsurfendes Mädchen von den sie tragenden Händen – wie das immer passiert – auf den Bauch gedreht wird, holt sie auf die Bühne und tanzt mit ihr. Er will hundert Hände in der Höhe, er kriegt hundert Hände in die Höhe. Als er bei einer Nummer auf dem Tresen tanzt, befiehlt er: "Legt die Handys nieder, wir brauchen die da draußen nicht, wir haben genug Freunde hier drin. Wir haben hier drinnen alles, was wir brauchen!" - Eine Message für den Augenblick, für die Direktheit und den unmittelbaren Spaß, den diese Band so gerne teilt. Am 6. und 7. November wird man das auch in Wien (Arena und Gasometer) miterleben können.

Die Beatsteaks in Concert

Der Mitschnitt des FM4 Überraschungskonzerts vom 25. September im Conrad Sohm in Dornbirn wird am Mittwoch, den 15. Oktober, in der FM4 Homebase (19-22h) ausgestrahlt und im Anschluss für 7 Tage im Stream.