Erstellt am: 3. 4. 2017 - 15:18 Uhr
Das weite Land
Und dann kam der zweite Frühling. Samuel T. Herring, William Cashion und Gerrit Welmers werden sich das Kalenderblatt des 3. März 2014 wohl in Gold einrahmen und über den Kamin hängen. An diesem Tag performten die Future Islands den Song „Seasons (Waiting For You)“ in der „Late Show with David Letterman“. Danach war alles anders. Die Performance zauberte nicht nur dem zu diesem Zeitpunkt bereits amtsmüden König aller Talkmaster die Begeisterung ins knirschende Gebälk. Auch die Clickrate des Clips schoss in unerwartete Höhen und bescherte den Future Islands hunderttausende neue Fans.
Tom Haynes/4AD
Und es war ja tatsächlich einer dieser mittlerweile selten gewordenen TV-Momente, wo sich in Sachen Musik Magisches auf der Mattscheibe abspielt. „Seasons“ war nicht nur der bisher hittigste Song des Trios aus Baltimore, Maryland. Er war auch wie geschaffen für den unter Fans schon damals gefeierten Performance-Stil des Future-Islands-Sängers Samuel T. Herring. In einer Mischung aus Gummi-Elvis, Death-Metal-Gröler und Marcel-Hirscher-Starthausgrimasse erfüllte Herring nicht nur den Song mit Leben. Nein, dieser Mann exorzierte auch gleich alle bösen Geister aus unseren Körpern und Seelen, vor und hinter den TV-Geräten. Der Indierock hatte seinen Wanderprediger gefunden.
Davor tourte die 2003 als „Art Lords & the Self-Portraits“ gegründete Band als Geheimtipp durch die Welt und zwar im Dauermodus. Warum diese Truppe, die jahrelang von Bar zu Bar tingelte, nicht längst von irgendwelchen Hinterwäldlern geteert und gefedert wurde, liegt wohl an der messianischen Ausstrahlung von Herring, denn bei den Future Islands haben wir es zwar formal mit einer klassischen Rock’n’Roll-Band zu tun. Allerdings klingt diese, als wäre sie in einen großen rosa New-Wave-Topf gefallen und hätte bei den New Romantics Nachhilfeunterricht genommen. Aus der okayen Indie-Karriere wurde mit dem Letterman-Auftritt einer der gefragtesten Live-Acts. Das dazugehörige Album „Singles“ avancierte zum Hit.
Jetzt liegt das fünfte Studioalbum „The Far Field“ vor. Wir haben das Trio, das live um den Schlagzeuger Michael Lowry erweitert wird, in Berlin zum Interview getroffen. Und es stimmt tatsächlich: Samuel T. Herring, bewaffnet mit einer Marlon-Brando-Physis und wasserblauen Augen, besitzt ein Charisma, das über das große weite Feld strahlt, hinein bis in die tiefsten Schluchten des Grand Canyon. Aber zunächst Politik.
Lehner: Der erste Song am Album heißt „Aladdin“. Das ist sehr verdächtig.
Samuel T. Herring (lacht) Yes! Warum?
Es könnte der erste Song sein, der nicht in die USA einreisen darf.
Samuel: Crush Trump, wähle Aladdin und reite mit dem fliegenden Teppich über die Grenze.
Bei einer Umfrage stimmten 30% der Wähler der Republikaner dafür, Aladdins Heimatstadt Agrabah zu bombardieren, obwohl diese Stadt nur im Märchen existiert.
Samuel: Wenn du wissen willst, ob mich das überrascht: Natürlich tut es das nicht. Wir haben ja doch einige sehr beschränkte Menschen in unserem Land.
Der Song steht am Anfang des Albums und startet mit einem Fade-In. Zunächst dachte ich, dass etwas nicht stimmt mit meiner Heimanlage. Das ist doch sehr ungewöhnlich.
William Cashion: „The Far Field“ ist das weite Land. Du kannst dich darin finden oder verlieren. So sehe ich das. Deshalb das Fade.
Samuel (lacht): Ehrlich, wir waren uns nicht sicher, ob wir das machen sollten. Vielleicht ist es die unmöglichste Art, ein Album zu beginnen, vielleicht auch nicht. Das Fade wurde mehrmals raus- und reingevoted. Das Wahlergebnis ist ja nun bekannt.
Hat es auch damit zu tun, dass laut Presseinfo das Reisen thematisch im Mittelpunkt des Albums steht? Plötzlich taucht aus dem Nirgendwo eines amerikanischen Landstriches eine Karre auf?
Samuel: Was das Reisen betrifft: Wir haben im Juli 2015 unsere tausendste Show gespielt. Wir sind also andauernd on the road. „The Far Field“ reflektiert, was in den Jahren 2014 und 2015 los war, dieser doch etwas überraschende Karriere-Boost und was das mit unseren Leben und Beziehungen so angestellt hat.
Christian Lehner
Gerrit Welmers: Wobei man sagen muss, dass wir während der Tour keine Songs schreiben. Das machen ja viele Bands. Sie nutzen die langen Standzeiten zwischen den Gigs, oder die endlosen Fahrten im Tourbus. Wir nicht. Wir saugen in dieser Zeit bloß alle Eindrücke auf.
Samuel: Und dann kommen wir im Studio zusammen und reflektieren zu dritt, was da eigentlich gelaufen ist. Und ich reflektiere auch gleich, wie sehr ich das Touren vermisse. Ich halte es nicht lange aus auf der Couch.
Ist das nicht so eine Love/Hate-Beziehung zum Touren? Man ist ja doch immer sehr lange unterwegs und weg von Freunden und Familien.
Samuel: Für mich ist das eine Love/Love-Beziehung. Die Straße ist meine Heimat. Ich habe - im Gegensatz zu den anderen in der Band - keine Familie. Über die Jahre habe ich aber unterwegs sehr viele Freundschaften geschlossen. Die treffe ich dann beim Touren. Für mich ist das Leben eine ewige Suche nach Liebe und Freundschaft. Der bittersüße Schmerz, die Liebe immer wieder zurückzulassen, ist ein wiederkehrendes Thema in den Texten. Das ist okay. Ich darf das. Ich bin ja der Songschreiber, also der sad sack. Aber es ist doch ohnehin mit allem so im Leben. Nur selten können wir Träume erreichen, ohne etwas zu verlieren. Wenn sich ein Thema durch unsere Songs und Karriere zieht, dann ist es die Frage: Is it worth it?
4AD
Was verliert man noch, wenn man ständig unterwegs ist?
Gerrit: Den Verstand! Das Gefühl für Zeit. Das Gefühl für den Raum. Alles ist ständig im Fluss. Alles verändert sich und doch ist da auch diese zermürbende Routine. Touren ist ein Ausnahmezustand im Dauermodus. Ich freue mich übrigens schon sehr darauf, demnächst wieder den Verstand zu verlieren.
Habt ihr nun seit dem Erfolg von „Singles“, eurem letzten Album, ein Upgrade bekommen, was den Komfort des Reisens betrifft?
Samuel: Wir sind all die Jahre mit einem Van durch die USA gefahren. In Europa und Japan ist das jetzt anders und wir müssen uns noch an diese großen Tourbusse gewöhnen. Davor war alles Do-It-Yourself: Nimm nie mehr, als du brauchst. Wir haben noch immer eine sehr überschaubare Crew, obwohl wir mittlerweile in wirklich großen Venues auftreten. Ich brauche niemanden, der mir das Mikro aufstellt und meine Gitarre stimmt.
William: Unlängst hat mich ein Manager gefragt, ob wir einen „P.J:“ brauchen, wie das im Industriesprech genannt wird, einen Privatjet. WTF! Dabei würde ich viel lieber in einem Hubschrauber reisen.
Eure Lieblingsorte für lange Tour-Fahrten?
William: Der ganze Südwesten der USA. Colorado, der Westen von Texas, die Wüste, New Mexiko, Arizona, Alien-Landschaften und gigantisches Licht.
Was war die schlimmste Panne, die euch je passiert ist?
Gerrit: Wir waren in Texas unterwegs nach El Paso. Wir hatten einen Platten. Das war ja noch okay. Dann ist aber auch der Ersatzreifen flöten gegangen. Wir standen mitten in der Wüste. Die wenigen Autos, die vorbeikamen, sausten mit 80 Meilen pro Stunden an uns vorüber. Glücklicherweise erbarmte sich der Veranstalter in El Paso und schickte einen Wagen.
Samuel: Er schickte zwei! Der erste war der Abschleppdienst. Wir mussten unser Equipment ausladen und dann verschwand unser Van am Horizont. Wir standen also mit unseren Verstärkern und Gitarren am Straßenrand und warteten. Und warteten. Und warteten. Es wurde stockdunkel und da standen wir immer noch. Die vorbeifahrenden Autos hupten und die Fahrer jaulten. Es wurde saukalt und uns wurde so richtig mulmig. Irgendwann tauchte dann doch noch der Veranstalter auf und wir zischten ab nach El Paso und spielten eine sehr späte Show. Was für eine Nacht! Und ich geriet dann auch noch in eine Schlägerei, aber das ist eine andere Geschichte.
Gerrit: Nun erzähl doch, wenn du schon damit angefangen hast.
Samuel: Es gibt nicht viel zu erzählen. Der Typ war sauer und stürzte sich auf mich. Er war sehr betrunken. Ich bekam die Oberhand und konnte ihn auf den Rücken werfen. Ich fragte ihn, ob das denn wirklich notwendig wäre und er sagte in einem ziemlich weinerlichen Ton „Nein“. Das war’s dann auch schon wieder.
William: Diese ganze Geschichte wäre doch eine gute Storyline für ein Musikvideo. Warum haben wir nicht früher daran gedacht?
Gerrit: Keine Chance, zu viele Rock’n’Roll-Klischees.
Apropos Klischee. Ihr habt ja ein richtiges Rock’n’Roll-Märchen erlebt. Ich spreche von dem Auftritt bei David Letterman vor gut drei Jahren, der dann im Netz viral gegangen ist und der eurer langjährigen Karriere noch einmal einen zusätzlichen Kick verpasste. Ich bin wohl nicht der einzige, der das heute beim Interviewtag angesprochen hat. Diesen „Letterman-Moment“ werdet ihr wohl nicht mehr los.
Samuel: Und warum auch? Ist doch voll okay. Ich stamme aus einem kleinen Nest im Nirgendwo der USA. Bei uns waren Auftritte in „Saturday Night Live“ oder der „Late Show with David Letterman“ musikalische Fenster in die Welt. Allein da zu spielen war für mich ein Wahnsinn. Und erst die Reaktionen! Wir sind einfach dankbar. Wir haben all die Jahre unsere Fanbasis kontinuierlich aufgebaut und erweitert. Das funktioniert nur über konstantes Touren. Dass das Fernsehen aber noch immer so einen Boost auslösen kann, damit haben wir nicht gerechnet. Klar, der Clip ging dann viral im Netz. Noch heute werde ich von Menschen auf der Straße auf diesen Auftritt angesprochen.
Future Islands existieren seit über 15 Jahren und „The Far Field“ ist bereits euer fünftes Album. Da kann man ja von einer gewissen Routine und Professionalität ausgehen. Hat der Erfolg des Vorgängers aber doch den Druck erhöht?
Samuel: Durchaus! Wir wussten, dass jetzt mehr Augen auf uns gerichtet sind und mehr Ohren zuhören. Andererseits war es das, was wir immer wollten. Die Situation war also etwas tricky. Geholfen hat die Einsicht, dass wir dort hingekommen sind, weil wir das gemacht haben, was wir die letzten 15 Jahre eben gemacht haben. Future Islands ist eine leise und langsame Entwicklung, wobei die Grundzutaten immer gleich bleiben.
War dieser Druck auch der Grund, warum ihr nach der Fertigstellung des Albums unter einem Fake-Namen kleine Shows gespielt habt?
William: Das war mehr so ein Fun-Ding. Wir wollten wieder einmal in ganz kleinen Venues spielen. Wir wollten Menschen überraschen und wir haben natürlich auch die neuen Songs ausprobiert.
Christian Lehner
Und wie ist es gelaufen? Sind da überhaupt Leute gekommen?
William: Durchaus, das waren ja mehr so Bars mit Laufkundschaft.
Wo probiert ihr sonst neue Songs aus?
Gerrit: Vor der Familie, den Partnern und den Haustieren.
Unter welchen Namen seid ihr aufgetreten?
Samuel: "Hidden Havens", "Tripping Bush" und "This Old House"
Samuel, du hast ja einen sehr eigenwilligen Tanzstil. Dein Tipp für potenzielle Nachahmer?
Samuel: Auf die Zehen, auf die Zehen! Vor und zurück, vor und zurück! Hüftschwung, Hüftschwung! Linke Hand raus. Stillstand. Rechte Hand zur linken. Dann lasse den Körper folgen! Zehe an Zehe, links rechts, links rechts, links rechts. Hüftschwung, Hüftschwung! Nach links drehen, nach rechts drehen …“