Erstellt am: 2. 4. 2017 - 18:58 Uhr
EU-Flugverbote nach US-Vorbild im Anflug
Bis Ende Juni soll das EU-Abkommen zur Vorratsspeicherung von Flugpassagierdaten fertig ausverhandelt sein, das geht aus internen Dokumenten des EU-Ministerrats hervor. Die erste einer Reihe von Dreier-Verhandlungen wurde noch im März absolviert. Zu diesem verkürzten, nicht-öffentlichen Verfahren zwischen Kommission, Rat und ausgewählten Parlamentariern wird immer dann gegriffen, wenn die Positionen von Ministerrat und Parlament zu stark differieren.
Die überfallsartige Einführung des US-Passagierdatensystems ab Februar 2003
Zuletzt hatte der Ministerrat zu den Flugverboten noch eine zweite Schwarze Liste in den Text reklamiert. Passagiere aus Drittstaaten, denen zwar eine Reiseerlaubnis für den Schengenraum ausgestellt wird, können von den Beamten in der Datenbank als besonders überprüfenswert markiert werden. Beide Listen folgen dem Muster der USA, eine abgelehnte Reiseerlaubnis entspricht einem Eintrag in die "No-Fly-List". Die "List of Selectees" für Sonderüberprüfungen hatte in den USA monatelanges Chaos auf den großen Flughäfen zur Folge.
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Reiserlaubnisse und Verbote
Bereits 2004 war das US-VISIT-System wegen explodierender Kosten erstmals ins Visier des Rechnungshofs geraten
Das gesamte Vorhaben nennt sich "European Travel Information and Authorisation System" (ETIAS), denn erklärtermaßen soll das System auch auf Fernzüge und den Schiffsverkehr ausgeweitet werden. Auch hier folgt man dem Vorbild des Ein- und Ausreisesystems US-VISIT, das seit seinem Inkrafttreten im Februar 2003 allerdings nie auch nur annähernd so funktioniert hat, wie es geplant war. Eine Kontrolle aller Ausreisenden hatte sich angesichts des enormen, täglichen Pendlerverkehrs vor allem an den Grenzstationen zu Mexiko als unmöglich erwiesen.
Die Ausreisedaten aber sind essentiell, denn US-VISIT wie auch ETIAS sind als Eintritts-/Austrittssysteme konzipiert, die alle Reisebewegungen über Außengrenzen lückenlos erfassen müssen. Auf diese Weise sollen Personen identifiziert werden, die etwa als Touristen eingereist sind, aber das Land nach drei Monaten nicht wieder verlassen haben bzw. Reisende, deren Aufenthaltsvisum abgelaufen ist. Dasselbe Konzept lag bereits 2003 US-VISIT zu Grunde, das entsprechende Gesetz - der sogenannte "US-Patriot Act" beruft sich auf die Attentäter von 9/11, die nach dem Ablaufen ihrer Visa in den USA geblieben waren.
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2006 hatte Dave Farber, Professor für Hochleistungs-Computing, das System des US-Heimatschutzes als "völlig ineffizient" bezeichnet und mit dem rіtuellen japanischen "Kabuki-Theater" verglichen
Schutz Europas vor "Migrationsrisiko"
Ein solches Eintritts-/Austrittsystem, das die Dauer aller Aufenthalte erfassen sollen, ist in erster Linie gegen Migranten gerichtet. In Artikel 31 zu den möglichen Gründen für eine "Verweigerung einer Reiseerlaubnis" wird diese Zielrichtung klar ersichtlich. Nach dem obligaten Grund, dass der Pass des Reisenden als verloren oder gestohlen gemeldet wurde oder sonstwie ungültig ist, kommt gleich danach, dass der Reisende "ein irreguläres Migrationsrisiko darstellt". Erst danach kommt als Punkt c) ein "Sicherheitsrisiko" durch den Passagier, und noch weiter unten in der Hierarchie e), steht ein Abgleich mit der Schengen-Datenbank, wenn für die betreffende Person ein Einreiseverbot in den Schengenraum verhängt wurde.
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Die Tücken vernetzter Datenbanken
Der US-Rechnungshof GAO über das Heimatschutzdesaster mit Funkchips am Kontrollpunkt San Ysidro zu Mexiko
Die Crux eines solchermaßen totalitären, nämlich möglichst alle Reisebewegungen umfassenden Ein-/Austrittssystems liegt in den vernetzten Datenbanken dahinter. Da es sich vor allem um Flugpassagiere handelt, müssen deren Daten quer durch Europa laufend abgeglichen werden. Das heißt, 27 verschiedene nationale europäische Behörden müssten hier zusammenarbeiten, damit das System angesichts so vieler Reisender reibungslos funktioniert.
Quer durch Schengen-Europa müssen nach einem einheitlichen System Lese- und Schreibrechte in diesen Datenbankeinträgen an die Beamten vergeben werden, dazu braucht es Kriterien, wie mit den Einträgen zu "Sonder- und Tiefenüberprüfungen"allgemein und insbesondere mit Löschungen umzugehen ist. Der derzeitige Text von Artikel 30, 1a lässt dazu Schlimmes ahnen. Nämlich, dass ein handfestes Problem übersehen wurde, das in den USA sofort schlagend wurde und für Chaos auf den Flughäfen sorgte.
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Flugverbotslisten, eingeschränkte Zugriffsrechte
Inzwischen wurde der erste Teil der Verordnung zu ETIAS von der britischen Bürgerrechtsgruppe Statewatch publiziert
Senator "Ted" Kennedy, eine der bekanntesten politischen Persönlichkeiten der USA, musste über Monate hinweg vor jedem Abflug langwierige Befragungen und Durchsuchungen absolvieren, die mehr als einmal dazu führten, dass er den Flug verpasste. Auch mehrfache Beschwerden fruchteten nichts, denn die Beamten der Behörde für Transportsicherheit hatten nicht das Pouvoir, an einer der Listen Änderungen vorzunehmen.
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Die Kategorien "No-Fly" und "Selectees" wurden nicht nur vom FBI und den entsprechenden Behörden befüllt, sondern auch aus Datenbanken der "Five Eyes"-Geheimdienste. Das heißt, diese Datensätze waren mit einer höheren Geheimhaltungsstufe versehen, die Transport- und Zollbeamten vor Ort hatten nur eingeschränkte Zugriffsrechte. Weil bestimmte Datenfelder wie etwa "eingebende Behörde" in den Datensätzen gar nicht zu sehen waren, konnten auch keine Anfragen dazu gestellt werden. Senator Edward "Ted" Kennedy wurde deshalb monatelang peinlich überprüft, weil die australischen Behörden einen "T. Kennedy" zur Fahndung ausgeschrieben hatten.
Der zweite Teil der Verordnung, der diesem Artikel zu Grunde liegt, ist bis jetzt noch nirgendwo erschienen. In der Datenbank des Nationalrats das Dokument zwar verzeichnet, aber wegen der Klassifikation als "Limite" durch den Ministerrat nicht freigegeben.
Gelöscht werden "kann"
Im Entwurf zum europäischen ETIAS wird ein solches Probleme in einem Satz abgehandelt, der noch dazu dieses Problem nicht löst, sondern verschärft. Der für die Tiefenuntersuchung zuständige Beamte "kann" den Eintrag in die Liste der "Sonderüberprüfungen" löschen, falls sich kein Anhaltspunkt für ein "Migrations₋ oder Sicherheitsrisiko" ergibt. Ebensogut kann der Eintrag aber auch belassen werden. Damit ist abzusehen, dass diese schwarze Liste weiter wachsen wird, zumal der vorgesehen Einspruchsmechanismus gegen Einreiseverbote hier nicht greift, weil der betreffende Passagier über den Eintrag in die Schwarze Liste Nummer zwei gar nichts erfährt.
Wie es nun weitergeht
Derzeit streitet man im Ministerrat noch um Zuständigkeiten, nämlich wie weit die Kompetenzen der EU-Agenur Frontex reichen und wann welcher Mitgliedsstaat für eine Reiseerlaubnis - oder Verweigerung derselben - innerhalb der EU zuständig ist. Insgesamt stehen bis Juni vier politische und sieben technische Triloge auf der Tagesordnung, erneut ins Parlament wird diese Verordnung dann frühestens im Herbst kommen. Das Parlament kann dann nur noch mit ja oder mit nein zur gesamten Verordnung stimmen.