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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

31. 3. 2017 - 17:27

The daily Blumenau. Friday Edition, 31-03-17.

Niedere Toleranzschwellen ausstellen. Junge mit struktureller Gewalt bändigen. Abstrafen über Kompromiss-Suche, Verwaltung über Engagement stellen. Die Grünen spielen mit ihrem Rest-Kredit.

#nachwuchspolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die bisherige Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Hier ein Überblick worum es an sich geht.

Über die Trennung, mit Video. Zum Rauswurf, auch mit Video.

Grüne wollen neue Jugend aufbauen. Junge Grüne suchen neue Wege.

Zum ersten und letzten Gespräch Glawischnig & Junge Grüne.

Heutige Nachlese von Petrik.

Noch bis Dienstag Mittag online: Die Grünen streiten mit Parteijugend

Es passiert nicht jeden Tag, dass eine Partei ihre Jugendorganisation rauswirft. Schon gar nicht in Österreich.

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Diesen ungewöhnliche Vorgang gilt es aus zwei Aspekten abzuhandeln:

Zum einen sind alle politisch Interessierten und vor allem alle Grün-Bewegten sehr gut beraten, den genauen Ablauf, das Warum/Wieso, die Ursachen & Gründe zu erkunden und vor allem das Eskalations-Szenario zu analysieren. Denn nur die Kenntnis wie es zu einer derart verfahrenen Situation (samt worst-case-Lösung) kommen konnte, verhindert derlei künftig.

Zum anderen ist es für alle politisch Interessierten (auch die Grün-Bewegten) sich jenseits der Wadlbeißerei/Rechthaberei und der Nabelschau wichtig die (möglichen bis wahrscheinlichen) Folgen der Aktion durchzudenken.

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Ich will mich mit dem zweiten Punkt beschäftigen. Auch weil es für die Konsequenzen dieses doch recht einmaligen Vorfalls ziemlich egal ist, wer legistisch, moralisch, historisch oder sonstwie im Recht ist, wer angefangen und wer provoziert hat.

Fakt ist, dass bei einem Streit zwischen Mutter- und Jugend-Organisation keine Augenhöhe existiert. Ein solcher Konflikt läuft immer auf einer schiefen Ebene; nicht nur wegen fehlender machtpolitischer oder juristischer Erfahrung, sondern vor allem wegen der Verteilung von Geldern und Infrastruktur.
Die Mutter-Organisation kann ihre Unter-Organisationen mit dem Entzug der Ressourcen jederzeit arbeitsunfähig machen. Umgekehrt erschöpft sich die Macht der Jugend-Organisationen in frechen Bemerkungen und pointiertem Aktivismus, der im Optimalfall von einer breiten Basis getragen wird.

Wir haben es also mit keinem Streitfall unter gleichberechtigten Partnern, sondern einem innerfamiliären, von klaren Machtverhältnissen getragenen Zwist zu tun. Das sind Abläufe, die wir alle, aktiv oder passiv, aus unseren Kernfamilien oder jenen, die wir vielleicht selber gründen, kennen.

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Im vorliegenden Fall hat die Mutter dem auf Abwegen geratenen Kinde mit Taschengeldentzug & Hausarrest gedroht und auch so etwas wie einen selbstauferlegten Maulkorb verlangt, weil die kleine Krätzn gemein zu einem anderen Geschwisterl war und deppert über die Mama geredet hat. Nachdem der Nachwuchs sich - angesichts der Schwere der angekündigten Strafe - ein wenig zusammengerissen hatte und Bereitschaft zum Braversein demonstrierte, aber in einzelnen (natürlich den entscheidenden) Fragen noch eine Gesprächsrunde wollte, stellte die Mutter dem Kind die Koffer vor die Tür. Unterhalt gibt's keinen, ins alte Zimmer kommt ein neues Kind; und tschüss.

Man sieht: auf den Alltag runtergebrochen ist der Rauswurf emotional nicht vorstellbar. Kein Elternteil, der seine Aufgabe ernst nimmt, würde das so machen. "Es gibt immer eine Lösung" - das ist das allerwichtigste familiäre Credo, das Grundvertrauen, mit dem das Kind ausgestattet werden muss, um ein psychisch gesundes Leben führen zu können.

Um wieder in die politische Debatte zu kommen: im Umgang mit dem Nachwuchs (dessen erste und nobelste Aufgabe es ist, Unangenehmes anzusprechen, renitent zu sein, mehr zu fordern, als möglich ist etc.) zeigt sich die demokratische Reife einer Bewegung: je autoritärer, desto weniger lange Leine für die Jungen; je nationaler und populistischer, also verlogener der Umgang mit dem Wahlvolk ist, desto kaputter auch die Beziehung zu den Nachrückern.

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Jetzt ist doch ein historischer Einschub nötig: die Beziehung der österreichischen Grünen zu ihren Jugendorgas ist seit geraumer Zeit eine speziell Gestörte. Die Jungen Grünen sind (seit 2011) die Nachfolge-Organisation der Grün-Alternativen Jugend, deren Ende von der Mutter-Partei bewusst herbeigeführt wurde, weil sie zunehmend schlechter kontrollierbar war. Die ehemalige ÖH-Vorsitzende Janine Wulz bringt das/die damalige Entsetzen/Enttäuschung in einem Facebook-Posting von gestern gut auf den atmosphärischen Punkt.

Auch das Verhältnis der Grünen Partei zur Studenten-Organisation GRAS ist historisch mehr als durchwachsen, war oft erstaunlich frostig. Ich erinnere mich sehr gut an die Eiseskälte, die den Raum durchwehte, als Eva Glawischnig den grünen Wahlsiegern (03/05) ihren Besuch abstattete. Und wenn Flora Petrik angesichts ihres gestrigen Abend-Termins bei der Parteichefin schreibt, dass es sich dabei um ihren "ersten (und wahrscheinlich letzten) Termin mit Eva Glawischnig!" handelt, dann rinnt mir wieder der kalte Schauer über den Rücken. Eine Parteichefin, die noch nie einen Termin mit ihrer Jugendchefin hatte? Und dann auch noch bereits vor diesem Treffen über ihr Schicksal entscheidet. Hier lauert ein tiefgreifendes Problem, das eine Therapie erfordert, will die Mutterpartei nicht in ein paar Jahren wieder in denselben Gatsch greifen.

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Fazit: sofern sich eine Parteijugend nicht eines Kapitalverbrechens oder des kollektiven Überlaufens schuldig macht und sich von sich aus entfernt/auszieht, obliegt es der Mutterpartei jegliche Zwistigkeiten zu managen.
Als der klügere Nachgebende, als verantwortungsvoller Elternteil, als weiterblickender Konsequenzen-Einschätzer, als Verteiler von Geldern und Ressourcen.
Und zwar immer.
Sein Kind auf die Straße zu setzen und anzukündigen, sich ein Neues aufbauen/besorgen zu wollen - das erinnert mich an die scheußliche Heimkehr von Alex in "A Clockwork Orange": in seinem Zimmer lebt ein neuer "Sohn", der ihn, den jetzt Wehrlosen, zur Freude seiner Mutter wieder rausprügelt.

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Abgesehen davon: was bleibt im emotionalen Gedächtnis, was bleibt gefühlt über, von dieser Aktion? In der Menge, jenseits jener (weniger), die sich mit den in Punkt 1 beschriebenen Hintergründen beschäftigt haben und zu einer Wertung gekommen sind, also ihre Ratio über einen in weiten Teilen emotional aufpoppendem Fall breiten konnten.

1) Das Gefühl einer herzlosen Aktion beigewohnt zu haben, der Bestrafung eines Kleinen und Schwachen. Wie wenn man zuschauen muss, wenn ein Kind verdroschen wird, das es - per Akklamation - "eh verdient" hat.
2) Das Gefühl, dass sich ein Erwachsener nur mit Mitteln struktureller Gewalt durchsetzen kann, autoritäre Erziehung, Gott-Kupfer-Rohrstaberl. Das Versagen politischer Mittel, die praktische Abkehr von dem, was man politisch und ideologisch vertritt: Suche nach einem Kompromiss, Zusammenkommen durch Reden, Gesprächskultur, Minderheitenschutz etc. Höchstes Gut in allen grünen Sonntagsreden. Im internen Umgang aber ungültig.
3) Das Gefühl, es mit einer kalt kalkulierenden Machtelite zu tun zu haben, die sich auf Beschlüsse und Absprachen zurückzieht und eine niedrige Toleranzschwelle hat; schnell und rabiatperlig zum Äußersten greift.

Toleranz, Kompromiss, Eintreten für die Schwachen... alles grüne Kernthemen, im vorliegenden, konkreten Fall mit Füßen getreten.
Selbst wenn die Sachzwänge hoch, die Geduldsfäden lang und die jungen Ansinnen schwachsinnig waren - die emotionale (und selbstbeschädigende) Botschaft wird diese Sachthemen überlagern und überleben.

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Das, was die grüne Bewegung am Nachhaltigsten schwächen wird, ist allerdings etwas noch viel Spezifischeres, im Konflikt interessant Unterbeachtetes. Und das, obwohl die Jungen Grünen in praktisch jeder Stellungnahme drauf hingewiesen haben. Mit dem Rauswurf hat sich der Parteivorstand indirekt für die pragmatische Verwaltbarkeit ausgesprochen und gegen die nur in geringerem Umfang kontrollierbare Freiwilligenarbeit. Die Jungen können auf eine durchaus ins Gewicht fallende ehrenamtlich agierende Basis verweisen, auf Aktivisten, die sich einer Sache verschrieben haben und sich dafür einsetzen; Gutmenschen-Speerspitzen. Im sichtbaren Bereich.

Die Partei und die aktuell eng an die Kandare genommene GRAS hingegen verbreiten den öffentlichen Eindruck eines bestenfalls solide verwalteten Bereichs. Eines Bereichs, der seit dem inhaltlichen Wischi-Waschi-Präsidentenwahlkampf keinerlei ideologische Komponente aufweist, nur das Bestehende sichert, nichts Visionäres hat, seit Jahren im inhaltlichen Dispo, auf Restkredit lebt.

Als Flora Petrik in den letzten Tagen immer wieder von der Hoffnung parteiinterner Demokratisierung gesprochen hat, dann klang das nach Gezi und Tahrir, hatte Kraft und Hoffnung - völlig unabhängig von seinem Wahrheitsgehalt. Um den geht es nicht: Politik vermittelt sich in erster Linie über Emotionen. Und eine Reaktion wie die des grünen Vorstands repräsentiert blanke Kälte und Erstarrung, elitäre Exekution.

Es geht nicht darum, dass die Grünen, wie Doron Rabinovici es sagt, "hier öffentlich sehr ungeschickt kommunizierten". Ja, das auch (und zum wiederholten Male). Aber: die Anwendung struktureller Gewalt lässt sich nicht "geschickt" kommunizieren. Ja, von Herrn Kickl, würde es die junge F betreffen - und da wäre ein solcher harter Akt auch ideologisch nachvollziehbar. Einer grünen Bewegung steht dies aber nicht zu.