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Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

31. 3. 2017 - 14:13

Die Wahlentscheider vom rechten Rand

Im türkischen Wahlkampf bekommen die „Grauen Wölfe“ auch hierzulande mehr Aufmerksamkeit. Bei der Abstimmung um das umstrittene Präsidialsystem könnten sie wahlentscheidend sein.

Kürzlich wurden in Salzburg und Innsbruck zwei Konzerte von türkischen Volkssängern, die den „Grauen Wölfen“ nahestehen sollen, abgesagt. Organisiert wurden die Auftritte von der Österreichisch-Türkischen Föderation, die den Dachverband der türkischen Nationalisten bildet. Dem Verband gehören zahlreiche Sport- und Kulturvereine und Moscheen an. Die Konzerte gerieten aber nicht nur wegen der Nähe zu den Rechtsextremen in Kritik, sondern weil im Vorfeld Beobachter in Auftritten Wahlkampfveranstaltungen für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sahen. Doch wofür, die "Grauen Wölfe" wirklich stehen, ist derzeit unklar.

Ein bedrohlicher Name und ein brutaler Ruf. Die "Grauen Wölfe", oder die ülkücüler (Idealisten), wie sie sich selbst nennen, haben in der Türkei eine dunkle Vergangenheit. Mehr darüber gibt es hier: Braune Wölfe im Schafspelz

Die "Grauen Wölfe" sind die Jugendbewegung der Nationalistischen Aktionspartei (MHP). Die Partei ist das Zugpferd der türkischen Rechten und bildet die kleinste Gruppe im Parlament. Der Streit um das neue Präsidialsystem hat die Partei, wie die türkische Gesellschaft, gespalten. Die Parteiführung unterstützt indirekt Erdoğan, während eine Gruppe von Parteirebellen und Teile der Basis gegen das Präsidialsystem sind. Offiziell hat die Partei jedoch keine Position eingenommen und beteiligt sich nicht am Wahlkampf um die Verfassungsabstimmung.

"Abstecher" zu den Linken

Seit den Parlamentswahlen vom 7. Juni 2015 ist die Parteiführung, insbesondere ihr Vorsitzender Devlet Bahçeli, in die Nähe von Erdoğan und dessen Partei AKP gerückt. Bis dahin hatte Bahçeli weitgehend eine kompromisslose Rhetorik gegen Erdoğan verwendet und war damit neben der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP und der linken, pro-kurdischen HDP, die dritte Säule der türkischen Opposition.

Devlet Bahceli und der türkische Premier Binali Yildirim

TURKISH PRIME MINISTER PRESS OFFICE

Devlet Bahceli von der MHP und der türkische Premier Binali Yıldırım

Das Wahlergebnis hatte im Juni 2015 eine Pattstellung hervorgebracht. Die AKP konnte zum ersten Mal nicht alleine regieren und musste sich einen Partner suchen. Die Rufe nach einer Koalition aus CHP, HDP und der Nationalistischen Aktionspartei wurden lauter. Nach über einem Jahrzehnt AKP-Regierung wäre die unwahrscheinliche Koalition die einzige Möglichkeit gewesen, Erdoğans Partei in die Opposition zu schicken. Für die Parteiführung der Nationalisten war aber die Situation fatal.

Nach jahrelanger Anti-Erdoğan Rhetorik ist die rechte Partei sogar mit den linken Kurden von der HDP in Zusammenhang gebracht worden. Doch wie die AKP geht die MHP vor allem bei der religiös-konservativen Schicht auf Stimmenfang. Bahçeli zog deshalb die Notbremse und blockierte alle Koalitionsgespräche mit der CHP und der HDP. Stattdessen unterstützte er Erdoğans Vorschlag für die Neuaustragung der Wahlen. Am 1. November 2015 konnte die AKP so wieder genug Stimmen gewinnen und regiert seither alleine.

Die neuen säkularen Nationalisten

Lange Zeit war Zentralanatolien die Hochburg der MHP. Heute kämpft die Partei hier um ihr Überleben. Ihr bestes Ergebnis holte sie 1999 und wurde mit 18 Prozent zweitstärkste Kraft. Doch nur drei Jahre später hat die neugegründete AKP mit ihrer islamisch-konservativen Politik die Nationalisten verdrängt. Seit 2002 sind immer mehr WählerInnen zur AKP gewandert. Die Verhaftung von PKK-Anführer Abdullah Öcalan und die Entschärfung des PKK-Konflikts bis 2015 haben den Nationalisten ebenfalls den Nährboden entzogen. Der Ultra-Nationalismus und rassistische Parolen wurden in den 2000er-Jahren weniger salonfähig.

Rund 10 Prozent sind der Partei treu geblieben. Außerdem kamen immer ein paar Prozent von ProtestwählerInnen dazu. So bezwingt die MHP die 10-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen, bleibet aber stets unter den Erwartungen.

Das Verhalten von Bahçeli 2015 frustrierte viele Parteimitglieder. Prominente Namen, wie die ehemalige Innenministerin Meral Akşener, stellten sich gegen den schwächelnden Vorsitzenden. Ein Führungswechsel bei der MHP ist jedoch keine einfache Angelegenheit. Die Partei gibt es fast seit 50 Jahren. Bahçeli ist erst der zweite Vorsitzende und kam 1997 nach dem Tod des Parteigründers Alparslan Türkeş an die Spitze.

Meral Aksener macht den Wolfsgruß

AFP

Meral Aksener macht den Wolfsgruß

Nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen von 2015 hat Akşener die Rebellen hinter sich versammelt. Eine Frau an der Spitze der MHP wäre eine Sensation gewesen und hätte eine Neuausrichtung der Partei bedeutet.

In der MHP gibt es zwei Flügel. Die größere populäre Gruppe vereint türkischen Nationalismus mit islamistischen Ideen, der andere Flügel vertitt einen nicht-islamischen Nationalismus. Die Hardliner wollen sich sogar auf türkische Urreligionen rückbesinnen. Akşener hätte das Gesicht der urbanen, säkularen Nationalisten werden können. Doch dann kam der gescheiterte Putschversuch und damit eine einzigartige Gelegenheit für Bahçeli.

Alle machen den Wolfsgruß

Bis zum gescheiterten Putschversuch hatten oppositionelle Medien Akşener immer mehr unterstützt. Sie galt nicht nur als mögliche Herausforderin für Bahçeli, sondern darüber hinaus für Erdoğan. Insbesondere in Medien, die der Gülen-Bewegung nahe stehen, wurde die Partei-Rebellin gelobt. Bahçeli nutzte diese Berichterstattung für sich und erklärte, dass Akşener ein trojanisches Pferd sei, mit der die Gülenisten die MHP unterwandern würden. Akşener wurde im September 2016 aus der Partei ausgeschlossen und Bahçeli hatte die parteiinterne Krise überlebt.

In der Abstimmung um das Präsidialsystem ist die Basis allerdings weiterhin gespalten. Die Umfragen sagen ein knappes Ergebnis voraus. Besonders viele Unentschiedene gibt es im nationalistischen Lager. Um ihre Stimmen kämpfen jetzt sowohl die AKP, die für das Präsidialsystem wirbt, als auch die kemalistisch-sozialdemokratische CHP, die die Verfassungsänderung verhindern möchte.

Bei einer Rede begrüßte Ministerpräsident Binali Yıldırım von der AKP vor einigen Wochen das Publikum mit dem Wolfsgruß. CHP-Vorsitzender und Sozialdemokrat Kılıçdaroğlu hat gestern mit einem Wolfsgruß bei seinen linken WählerInnen für Empörung gesorgt. Akşener wirbt unabhängig von der CHP mit eigenen Veranstaltungen für ein "Nein" bei der Abstimmung.

Nur die pro-kurdische HDP, die ebenfalls gegen das Präsidialsystem ist, buhlt nicht um die Gunst der türkischen Nationalisten. Zu groß sind die ideologischen Unterschied. Am Wahlkampf kann die HDP sich ohnehin kaum beteiligen, weil ihre Vorsitzenden und zahlreiche Mitglieder im Gefängnis sitzen.

Der graue Wolf scheint derzeit das Symboltier fast aller türkischen Parteien zu sein. Wer beim Flirt mit den Nationalisten mehr überzeugt, wird sich am 16. April beim Referendum zeigen.