Erstellt am: 31. 3. 2017 - 16:50 Uhr
Diese DebütantInnen wagen etwas
- FM4 auf der Diagonale
- Diagonale - Festival des österreichischen Films, 28.3. - 2.4.2017, Graz
Die Discoszene gehört zum österreichischen Film. Weit mehr als die Sexszene auf der Waschmaschine, wenn die Handlung stockt. Eine Übersprungshandlung gewissermaßen. Die Discoszene bedarf großer Gefühle und mehrerer auf einmal: Begehren, Lust und Enttäuschung. Ich wünsche mir ein YouTube-Medley all dieser Szenen aus österreichischen Filmen der letzten drei Jahrzehnte. Neuzugang: Monja Art mit ihrem Spielfilmdebüt "Siebzehn". Auch sie spart die Tanzfläche nicht. Aber zu dem Zeitpunkt ist man schon verliebt in die Hauptdarstellerin und in diese Geschichte, die Erwartbares ansonsten auslässt und in der, wie in allen guten Filmen, die Details regieren. Von der Mimik bis zur Ausstattung. Im Club liegt die Papierrolle zum Abtrocknen am Waschbeckenrand und Elisabeth Wabitsch spielt Paula, die Mädchen länger ansieht als sie Smalltalk mit ihren Verehrern führt.
Orbrock
Klar steht die auf Frauen, das wissen in der Schule alle anderen Mädchen. Zu den Burschen scheint es noch nicht durchgedrungen zu sein. Hauptfigur Paula ist klüger als manch andere in ihrer Klasse. In weißen Blusen und mit kurzen Röcken, für die Mädchen in jeder angelsächsischen High School gemahnt würden, sitzen die Schulkolleginnen in den letzten Stunden vor den Sommerferien in der Klasse. Es gibt die Jahrgangs-Bitch, den jungen und beschämten Französischlehrer, die zwei engen Freunde - ein Bub und ein Mädchen - und einen Vater, mit dem etwas ist, und eine abwesende Mutter. "Siebzehn" ist sinnlich, ohne auszustellen, und harmlos, aber schon auch ein bisschen aufregend. Ein Ausflug in ein Teenagerleben am Land in schön verträumter, poetischer Bildsprache mit einer tollen Hauptdarstellerin.
Obrock
"Siebzehn" hat Ende Jänner den Max Ophüls Preis gewonnen und heute Mittag ist das Debüt auch von der Jury des Thomas Pluch Drehbuchpreises mit dem Spezialpreis ausgezeichnet worden, ex aequo mit "Mister Universo" (Drehbuch: Tizza Covi). Den Hauptpreis für das beste Drehbuch geht an Händl Klaus für seine schwule Beziehungsgeschichte "Kater".
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Sanfte Castings sind wie sanfter Tourismus
Die Österreich-Premiere von "Die Migrantigen" heute Abend war binnen einer Minute ausverkauft. Gut so. Denn das vergangene Jahr war für den österreichischen Film kein sonderlich erfolgreiches an den Kinokassen – bis zum Hit „Wilde Maus“ mit über 241.500 BesucherInnen (Stand März 2017). Auch Josef Hader ist ein Spielfilmregie-Debütant auf der Diagonale und in "Die Migrantigen" hat er eine kleine Nebenrolle übernommen. Im Gespräch mit Elisabeth Scharang im Schubertkino verriet Josef Hader, dass er nichts von klassischen Castings hält. Die würden nur die Nervenstarken belohnen. Er bevorzuge ein "sensibles Casting": „Man sitzt an einem Tisch, liest den Text und spricht ein bissl darüber. Dann kurz filmen. Das ist das sanfte Casting. So wie sanfter Tourismus. Finde ich sehr schlüssig.“
Arman T. Riahi hat Josef Hader gar nicht gecastet, sondern ihn einfach gefragt, ob er in "Die Migrantigen" mitspielen will. Und auch die Hauptdarsteller von Arman T. Riahis Spielfilmdebüt standen lange fest. Denn Aleksandar Petrovic und Faris Rohama, die im Film die Freunde Marko und Benny spielen, haben das Drehbuch gemeinsam mit Regisseur Arman T. Riahi geschrieben. Neugierde auf „Die Migrantigen“ ist groß. Die Nachfrage nach Karten auf der Diagonale ist so groß, dass inzwischen eine dritte Vorführung angesetzt wurde.
Da traut sich einer an eine Komödie!
"Ich habe mich für eine Komödie als ersten Spielfilm entschieden. Auch ein bisschen aus Protest, weil ich ein bestimmtes Thema hatte: diesen unsäglichen Migrationshintergrund", sagt Arman T. Riahi. "Wir wollten kein Betroffenheitskino und kein Sozialdrama machen. Wir wollten zeigen, dass nicht alles düster ist, sondern im Gegenteil das Leben meist eher bunt ist - wobei es die dunklen Momente natürlich auch gibt." Ein Drama hätte Arman T. Riahi auch in Entwicklung gehabt. Wow.
Da traut sich einer an das schwierigste Form des Dramas, (schließlich gibt es während der Produktion kaum Möglichkeiten, zu überprüfen, ob andere den Humor verstehen). Bravo! "Die Migrantigen" ist sehr gute Unterhaltung. Kino, das man sich anschauen kann. Wo man nicht für Stunden mit dem Gesehenen beschäftigt ist, aber von dem einzelne Aussagen hängen bleiben.
Golden Girls
Da sind die zwei Freunde, der Schauspieler Benny und Werber Marko, der gerade ein Werbeagentur-Start-up gegründet hat, Beide hoffen darauf, dass ihre Arbeit aufgeht. Aber Benny kriegt nur Rollen als Taxifahrer und Marko Mahnungen. Im fiktiven Wiener Grätzel "Rudolfsgrund" kommt ihnen Doris Schretzmayer als TV-Reporterin einer Reality-Soap gerade recht. Die beiden Männer geben sich in der Hoffnung auf Geld für eine Reality Soap als kleinkriminelle Migranten aus. Das kann nicht gut gehen? Tut es aber, überraschend lange. Marko und Benny geben sich als Tito und Omar aus und recherchieren, was Migranten den ganzen Tag so machen. "Die Migrantigen" entlarvt aber nicht nur das Klischeebild Migrant, sondern porträtiert auch nicht mehr ganz junge Menschen, die straucheln, das Erwachsenen-Leben zu erfüllen. Benny ist schockiert beim Anblick des Preises für einen Kinderwagen: 1.200 Euro für einen Buggy? Seine schwangere Freundin hält das Rennrad dagegen, das tausende Euro gekostet hat. Der pflegebedürftige Papa sammelt Rabattgutscheine und bewahrt kiloweise Flugblätter mit Werbeangeboten auf. Aus Gründen.
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Status: Weiterwurschteln
"Weiterwurschteln" sei für viele Leute Alltag, sagt Josef Hader auf der Diagonale. In dieser Hinsicht wäre "Wilde Maus" ein Dokumentarfilm. Mit "Die Migrantigen" verhält es sich ähnlich. Ohne Übertreibungen rollt das Geschehen auf einen großen Showdown zu. "Der Humor muss aus einer gewissen Ernsthaftigkeit und aus dem Drama kommen", findet Regisseur Aman T. Riahi.
Doch wie überprüft man im Arbeitsprozess, ob andere Leute die Geschichte witzig finden? "Die Sicherheit, dass etwas lustig ist, hast du erst beim ersten Screening. Da haben die die Leute sehr viel gelacht", so Riahi. Beim Max Ophüls-Preis gab es einen Erfolg: "Die Migrantigen" wurde vom Festivalpublikum als bester Film ausgezeichnet.
Filmfestivals machen gierig
Das dritte herausragende Debüt der Diagonale'17 muss warten. "Die beste aller Welten" vom 25-jährigen Adrian Goiginger ist eine autobiografische Geschichte. Auf der Berlinale war es unmöglich, eine Karte für den Film zu ergattern, die internationalen KollegInnen waren ziemlich angetan. Ich muss jetzt in eine andere Vorstellung und dann zum Gespräch, das Filmkritiker Stefan Grissemann mit Ulrich Seidl führt. Danach zum Talk über Free Lunch und Obdachlose im Kulturzentrum Minoriten. Filmfestivals machen gierig. Heuer scheint die Gleichzeitigkeit auf der Diagonale ärger denn je zu sein. Und am liebsten würde man alles sehen, alles hören und dann noch tanzen.