Erstellt am: 31. 3. 2017 - 09:45 Uhr
Die Entmachtung des Parlaments
Vor laufender Kamera zerreißt Julio Borges einen Stapel Papier. Auf den Blättern steht ein Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofes geschrieben. Dieser hat entschieden, dem Parlament die legislativen Kompetenzen zu entziehen und sich selbst, also dem Obersten Gerichtshof oder einer von diesem ausgewählten Institution, zu übertragen.
Julio Borges ist Präsident der venezolanischen Nationalversammlung und er ist erzürnt über diesen Entscheid: "Das ist einfach nur Müll." Er ist überzeugt: Venezuela findet sich damit in einer Diktatur wieder.
Abschaffung der Gewaltenteilung
Im Dezember 2015 war die Opposition in den Parlamentswahlen als klare Siegerin hervorgegangen. Dennoch schaffte sie es seither nicht, der regierenden sozialistischen Partei und Präsident Nicolás Maduro Einhalt zu gebieten. Dieser erklärte im Frühjahr 2016 kurzerhand den Ausnahmezustand und regiert das Land seither mittels Notstandsdekreten.
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Zwar fordert die Opposition seit Anbeginn ein Referendum über den Verbleib Maduros im Präsidentenamt, scheiterte damit aber wiederholt an Steinen, die ihr das Höchstgericht in den Weg legte. 56 Urteilssprüche gegen die Nationalversammlung gab es im abgelaufenen Jahr. Am Dienstag wurde den Abgeordneten die Immunität entzogen. Die Abschaffung des Parlaments ist nun ein weiterer Schritt hin zur Auflösung der Gewaltentrennung, entschieden vom Obersten Gerichtshof, der mit regierungstreuen Richtern besetzt ist.
Den Entscheid argumentieren die Höchstrichter damit, dass es bei den Parlamentswahlen 2015 im Bundesstaat Amazonas zu Wahlbetrug kam, die Opposition jene drei Abgeordneten, die davon betroffen sind, jedoch trotz eines Einspruchs des Obersten Gerichts angelobt hat. Damit hält sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Nationalversammlung. Solange dieser Einspruch des Höchstgerichts missachtet würde, wären vom Parlament ausgehende Handlungen ungültig, so das Gericht.
Das Volk resigniert
Während Oppositionsführer von einem Staatsstreich und Diktatur sprechen, blieb es bisher auf den Straßen Venezuelas ausgesprochen ruhig. Zwar kündigte die Opposition für das Wochenende Proteste an, doch ist fraglich, ob die Bevölkerung diesen Rufen folgen wird, denn die Resignation überwiegt.
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Erst kürzlich, Anfang September, hatte die Opposition die "Toma de Caracas", die Einnahme von Caracas initiiert. Tausende Venezolaner gingen am 1. September 2016 auf die Straßen, um ein Referendum über die Absetzung von Präsident Nicolás Maduro zu fordern. Doch die Enttäuschung war groß, als die Oppositionsführer den erfolgreichen Marsch auf die Hauptstadt nach einer nur zehnminütigen Rede für beendet erklärten. Die Venezolaner sollten nach Hause gehen und im Protest auf leere Kochtöpfe schlagen, sagten sie.
Auch deshalb scheinen die aktuellen Entwicklungen die Venezolaner nur noch bedingt zu interessieren. Sie trauen weder der Regierung noch der Opposition. Und sie sind in Krisenzeiten eher damit beschäftigt, genügend Medikamente und Lebensmittel zu organisieren, als dass sie sich noch Gedanken über politisches Engagement machen würden.