Erstellt am: 29. 3. 2017 - 14:45 Uhr
Zwischen Pest und Cholera
Nina wohnt seit mehr als 15 Jahren in Österreich. In diesen 15 Jahren hatte sie mehrmals die Möglichkeit, als bulgarische Staatsbürgerin bei den Parlamentwahlen abzustimmen, doch sie hat es bisher noch nie getan. Ich frage sie warum. Anfangs wäre sie zu beschäftigt damit gewesen, sich zu integrieren und in Österreich Fuß zu fassen und hätte keine Zeit gehabt, um die bulgarische Politik zu verfolgen. Danach sei sie integriert gewesen und die bulgarische Politik habe sie nicht mehr interessiert. Sie meint, dass das Wählen so etwas wie das Kaufen von Kunstwerken sei – purer Luxus. Gott weiß warum, aber ich bin Ninas Luxusexperte, das heißt ihr Politikexperte. Vielleicht, weil ich im Radio tätig bin. Im österreichischen Radio sogar. Sie will, dass ich ihr die Ergebnisse der Parlamentswahlen erkläre. Sie bietet mir Apfelstrudel dafür.
cc-by-2.5 by Nenko Lazarov, via Wikimedia Commons
Meine Erklärungen sind wie für einen österreichischen Bobo. Die so genannten "vereinten Patrioten" wollen, dass der Zaun an der Grenze zur Türkei noch höher wird. Momentan wird er von den Flüchlingen überwunden, indem sie Teppiche auf den Stacheldraht legen oder Löcher unter ihn durch graben. Vielleicht wollen die "Patrioten" ja, dass der Zaun auch drei Meter nach unten geht. Das wird viele Arbeitsplätze für die bulgarischen Stacheldrahthersteller schaffen. Eine patriotische Aufgabe!
"Und was wird man mit denen machen, die über den Zaun gehen?", fragt mich Nina pragmatisch. Sie erinnert sich an die letzten Jahren des Kommunismus und an die Menschen, die versuchten, mit Paraglidern über die Zäune in den Westen zu flüchten. Da ich nicht weiß, was man mit den "fliegenden" Flüchtligen tun wird, hole ich die Partei der ehemaligen Kommunisten zu Hilfe, die sich heute "Sozialisten" nennen. Sie meinen, dass Bulgarien seine außenpolitische Haltung ändern muss und statt zur EU zur Russland emporschauen sollte. Falls die Sozialisten eine Regierung bilden, wollen sie die russischen Streitkräfte holen, die uns vor den fliegenden Migranten schützen. Jemand muss ja die tausenden Russen schützen, die über Eigentumswohnungen an der bulgarischen Schwarzmeerküste verfügen. Genauso wie man die Russen auf der Krim beschützt hat.
Quelle: AFP
Nina hat Angst davor, da sie weiß, dass tausende Russen auch in Wien Wohnungen haben. Was passiert, wenn sie auch beschützt werden wollen? Deshalb fragt sie mich nach etwas "Konservativerem". Vielleicht wäre das die Partei des Ex-Premiers Borissov, die bei den Wahlen die meisten Stimmen geholt hat. In ihrer Regierungszeit verwendete die Partei viel EU-Geld, um die Infrastruktur des Landes zu verbessern. Böse Zungen behaupten, dass die Aufträge dafür an parteinahe Firmen vergeben wurden. Borissov verneint das. Vor den Wahlen sprach er oft von nationaler Einigkeit. Er mag Einigkeit - solange er der einzige ist, der die Einigkeit repräsentiert. Nina hat Angst, dass dieser Regierungstil dem von Erdogan und von Putin ähnelt. Diese Befürchtungen sind berechtigt, denn zwei türkische Parteien wollten ins Parlament kommen – die eine gefördert von Putin, die andere von Erdogan, und die erstere hat es geschafft. Reingekommen ist auch die Partei eines populistischen Oligarchen. Er kaufte seine Wähler mit dem Versprechen auf billiges Benzin und billige Arzneimittel. Man weiß nicht, was man von ihm erwarten soll. Er hält sich für den bulgarischen Trump.
Nina hört mir zu und freut sich, dass sie nicht wählen gegangen ist. Sie sieht keinen, der ihre Interessen vertritt.
Der Strudel war super. Wir machen uns aus, bei den nächsten Parlamentswahlen wieder über bulgarische Politik zu sprechen. Und sie kommen sicherlich bald.