Erstellt am: 29. 3. 2017 - 15:22 Uhr
Zu Gast im Hotel Eden
Diagonale - Festival des österreichischen Films, 28.3. - 2.4., Graz
Michael Glawoggers traurig machende Tiere sind nicht die besten Partyvisuals. The Knifes "Pass this on" pulsiert im Foyer der Helmut-List-Halle in Graz und auf einer Leinwand streunt immer wieder ein Hund durch das Bild, ein Pferd steht in karger Berglandschaft und sieht sich um. Es sind Ausschnitte aus "Untitled", dem Eröffnungsfilm der diesjährigen Diagonale. Im Film spricht die Schauspielerin Birgit Minichmayr im Off kurze Erzählungen Michael Glawoggers. Manche davon erinnern an Parabeln. Etwa wenn der Anblick eines Hundes beschrieben wird, der am offenen Fenster auf seinen Besitzer wartet und von dieser Höhe auf eine Stadt blickt. Der Besitzer hätte Vertrauen, dass der Hund nicht springe. Vielleicht ist das Freiheit, dachte Glawogger laut. Im Gegensatz zu einer Angst, die immerzu vorausdenkt und das Unheil vorweg denkt. "Angst ist ein grausamer Begleiter", hat Glawogger geschrieben. "Untitled" ist das entgegengesetzte Konzept.
Keine Angst ist die Losung
Hansi Langs "Keine Angst" erklingt zwei Minuten lang vor dem Film. Die Intendanten der Diagonale, Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber, zitieren den 2008 verstorbenen Sänger und Schauspieler Lang und plädieren in ihrer Eröffnungsrede für Neugierde.
Diagonale / Alexi Pelekanos
Viel zu oft fehle es heutzutage an Realitätssinn und an Neugierde, zu oft sei man "unter sich" und mache es sich gemütlich, so die Leiter des Festivals des österreichischen Films. Die Saturiertheit europäischen Wohlstands und das zum Alltag gewordene Ringen um die Existenz da wie andernorts prallen an diesem Abend wunderbar aufeinander.
"In einer globalen Welt gibt es keine importierten Konflikte. Jede solche Behauptung ist als Ideologie zu enttarnen", stellt Sebastian Höglinger in der Eröffnungsrede fest. "Wenn du was verstehen willst, musst du selber hinfahren" - das, erzählt Michael Ostrowski, der Moderator des Abends, habe ihm sein Freund Michael Glawogger mehrfach gesagt.
Untitled – Teaser Trailer from Filmfonds Wien on Vimeo.
Im April 2014 ist der Autor, Filmemacher und Kameramann Michael Glawogger in Liberia an einer Malariaerkrankung verstorben. Der gestrige erste Abend der Diagonale 2017 war ein Abend für ihn und noch viel mehr für sein Publikum. Bundespräsident Alexander Van der Bellen war auch anwesend und erzählte, wie er als 13jähriger am Kinoeingang regelmäßig von der Polizei kontrolliert wurde und doch in seiner Jugend nicht vor den Filmen, die er sehen wollte, geschützt werden wollte.
Diagonale / Alexi Pelekanos
Johannes Krisch wird mit dem Großen Schauspielpreis der Diagonale ausgezeichnet. Nein, das sei kein Preis, sagt er. Preise bekäme man, wenn man die Streif runterfährt, das hingegen sei eine Auszeichnung. Und es ist ein Bild der Künstlerin Stefanie Moshammer. In der Laudatio wird der gelernte Tischler, der auch Burgtheaterensemblemitglied ist, als einer gefeiert, der sich bei der Auswahl seiner Rollen in die dunklen Ecken vortastet. Mehr zu sich gewandt als zum Publikum dankt Krisch Freunden und RegisseurInnen. "Ich spiele Leben und ich hab' genug davon!"
Diagonale / Alexi Pelekanos
Der ausgezeichnete Johannes Krisch will den "Kulturminister um eine Audienz bitten." Und Moderator Michael Ostrowski erklärt, er schmeiße sich lieber in den fließenden Fluß, als auf eine Einladung zurückzukommen und mit dem Grazer Bürgermeister in einigen Jahren in der Mur zu stehen. Man ist kritisch unterwegs, nicht nur am gestrigen Abend.
Ein Film ohne Namen, ein Film voll Leben
Michael Glawogger hat sich nicht für die Profiteure der Welt interessiert. Er schaut den Handwerkern zu, ist immer dabei, wenn jemand körperliche Schwerstarbeit leistet. Vielfach kommt der Blick dann plötzlich auf einem Menschen zur Ruhe, wie ein Porträt inmitten des emsigen Treibens, und man nimmt Kontakt auf.
Die Achtung, die Michael Glawogger der Welt und ihren Lebewesen entgegengebracht hat, ist in jeder Szene zu spüren. "Untitled" wird mitunter als Reisefilm bezeichnet. Doch wer reist so, wie es Michael Glawogger tat? Vom österreichischen Pitten bis nach Harper, Liberia ist der gebürtige Grazer für diesen, seinen letzten Film gereist. "Untitled" ist eher National Geographic als The Weekender. Da beugt sich ein Mann in einem langen Mantel schützend über zwei neugeborene Ziegenkitze, zwei weitere Ziegen stehen daneben. Abfall, die Schalen von Zitrusfrüchten, liegt in einem Plastiksackerl als Futter daneben.
Eröffnet wurde die Diagonale mit einem Experiment, das die Intendanten als „bildgewaltiges Kinodenkmal“ bezeichnen: Michael Glawogger hatte sich Ende 2013 auf Reisen gemacht, um mit einem Film zurückzukommen, der ein Bild der Welt entstehen lassen sollte, „wie es nur gemacht werden kann, wenn man keinem Thema nachgeht, keine Wertung sucht und kein Ziel verfolgt.“ Aus 70 Stunden Material aus vierzehn Ländern hat Monika Willi, die langjährige Editorin Glawoggers, "Untitled" fertiggestellt.
Sascha Trimmel
In "Untitled" wird man zum Fremden und dann wieder zum Sehenden. Zum Entdecker und zur Entdeckerin, obwohl die Bilder keine unbekannten Fakten erzählen. Rohbauten neben zerschossenen Häusern am Balkan, das Schürfen nach Edelsteinen und kindliche Steinmetze in afrikanischen Ländern; die Schauplätze sind nicht explizit verortet, man ist unterwegs und Michael Glawogger nimmt einen einfach mit. Die Augenblicke verweilen nicht. Die Tableaux wie Gemälde. Da will man ein Detail ausmachen, nein, der Schnitt weiß, was Tempo bedeutet und wieviel noch kommt. Die Texte aus dem Off und die Bilder korrespondieren, zeitversetzt und wunderbar. Was sich auf der Tonebene alles abspielt, ist ein Opernwerk für sich. Im Hintergrund der Einstiegsszene ist noch dazu das "Hotel Eden" zu sehen.
Filmladen / Lotus Film
Weiter reisen, weiter lesen: Michael Glawoggers Buch "69 Hotelzimmer" ist wunderbare Literatur.
Auf die Frage, wie es einem gehe, ist "The body inside clothed" eine mögliche Antwort an einem der Orte, die Michael Glawogger erkundet hat. Es ist ein Zitat aus dem Film und es ist vorstellbar, dass der Filmemacher diesen poetischen Ausdruck erfunden hat. Ein noch innehaltendes "The body inside clothed" ist passend, denkt man sich nach "Untitled". Und dass man hinaus muss in diese Welt, in der alles ringt, teils wild um sich schlägt, und man vielleicht bald noch einmal sehen will, wie sich die Stare über den Feldern vor diesem "Hotel Eden" formieren.