Erstellt am: 28. 3. 2017 - 13:03 Uhr
Der Soul der kleinen Dinge
Balbina live im WUK in Wien am 3.4.2017
Lehner: "Fragen über Fragen". Das ist ein Albumtitel, der eine leichte Überforderung suggeriert. Was ist mit den Antworten?
Balbina: Ich habe nur ganz selten Antworten. Das liegt vielleicht daran, dass mich die scheinbar banalsten Dinge faszinieren und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, einfachen Antworten im Weg stehen. Wenn sich zum Beispiel der Himmel im Wasser spiegelt, frage ich mich, warum er in der Pfütze schwimmt. Daraus entwickelt sich für mich ein ganzer Strang an Themen. Ich möchte herausfinden, wie es funktioniert – naturwissenschaftlich, aber möglicherweise auch phonetisch. Irgendwann erhält man Antworten. Die werfen allerdings neue Fragen auf. Wer sich so der Welt und ihrem Sinn nähert, ist mit Antworten nie ganz zufrieden.
Jakob and Hannah
Das hört sich fast nach Tick oder Spleen an. War das schon immer so?
Materie! Bereits als Kind wollte ich wissen, ob wir durchscheinend oder kompakt sind. Wenn ich Haut durch das Mikroskop betrachte, sind dann Löcher drin? Diese Frage hat mich eine ganze Weile beschäftigt. Oder die Bodenfaszination: Ich bin gegen Laternen gelaufen, weil ich ständig den Boden betrachtete und auf kleine Tiere hin durchsuchte. Einmal musste ein Eckzahn dran glauben, weil ich wo angerannt bin. Und dann erst die Himmelsphase …
Armes großes kleines Deutschland!
Du bist leider noch immer nicht im Pop angekommen. Du schaust noch immer mit großen Augen ins UK und in die USA. Von dort importierst du Pop, von dort kupferst du ab und kochst ihn für deinen Markt ein. Dort darf, ja soll und muss er Glam, Sex und mittlerweile auch Gender sein. Er darf Rollenbilder brechen, mit Konventionen aufräumen und Zukunftsvisionen entwerfen. Der Pop ist immer ganz groß, dort drüben.
Zuhause muss er allerdings schön im Käfig bleiben. Im eigenen Haus muss Ordnung herrschen: Hier die Indie-Rocker, Hip-Hop-Macker und Clubheads. Mit Spielstätten, Medien und Labels. Ein paar olle Mädchen mit komischen Liedern und Ansichten gehen gerade noch durch, als Toleranzfaktor quasi (Die Heiterkeit, Schnipo Schranke, Sookee). Auf der anderen Seite der Feind, die ewigen Mainstream-Deppen von der Echo-Fraktion, die neuen deutschen Poeten, die hässliche Fratze der Befindlichkeitsindustrie, über die man sich mindestens ein Mal im Jahr selbstvergewissern kann. Ach, was wäre dieses arme große kleine Deutschland ohne Echo-Diss und Gegenpreis?
Soweit, so übersichtlich.
Aber wehe, du armes großes kleines Deutschland, wenn jemand angetanzt kommt, der oder die sich zwischen all diesen Stühlen bewegt, jemand, der oder die nicht klar einordenbar ist und – jetzt kommen wir zum Kernproblem – nicht ein er, sondern eine sie ist, dann jeht dat gar nischt!
Dann hören wir nicht einfach weg, skippen den Kanal oder wechseln den Stream, Nee, dann errichten wir gleich einen Scheiterhaufen. Dann vergessen wir, dass wir sonst ganz vernünftig sein können und kühlen unser Mütchen an einer Popsängerin aus Berlin. Denn es gibt anscheinend, oh armes großes kleines Deutschland, nichts Schrecklicheres als eine Frau, die sich nicht als sexy Luder inszenieren will und die es auch nicht darauf anlegt, eine polternde "Bitch" zu sein.
Die hier wagt es, ein bisschen an der deutschen Sprache zu drehen. Sie pflegt eine kantige Ästhetik und singt ganz unironisch über Gänseblümchen und Regenwolken. Das ist zu hart für dich, armes großes kleines Deutschland. Da müssen wir ran mit dem Shitstorm!
Dabei habt ihr es gut mit Balbina. Sie ist eine, die sich was denkt und dann noch was. Eine, die eure Sprache nimmt und sie gegen das Licht hält, anstatt mit verbrauchten Phrasen zu hantieren. Sie bringt euch weiter, weil sie etwas ausprobiert und weil sie nicht beim ersten Gegenwind den Kopf einzieht. Bei Bilderbuch findet ihr das doch auch super, das mit der Sprache.
Muss man Balbina mögen? Natürlich nicht. Muss man sie respektieren? Auf jeden Fall! Dazwischen liegt viel Spielraum.
Wem Balbinas Pop-Ästhetik jedoch die Zornesröte und Mordslust deart ins Gesicht treibt, wie es derzeit bei vielen Musikforisten der Fall ist, derjenige sollte tatsächlich einen Arzt aufsuchen und sich ein Medikament verschreiben lassen, das den Namen "Hallo 2017" trägt. Es wird Zeit, armes, großes, kleines Deutschland. C.L.
Ich kenne diese Faszination für die scheinbar kleinen Dinge von meinem vierjährigen Sohn und merke, welche sinnlichen Welten sich da auch für mich plötzlich wieder auftun. Es stimmt wohl doch: Wir Erwachsenen lassen unsere Fantasie verkümmern?
Es gibt dieses Buch von Hermann Hesse: "Die Kindheit des Zauberers". Er beschreibt darin, wie ein Mann erwachsen wurde und dadurch das Zaubern verlernte. Als er sich dessen bewusst wurde, versuchte er, sich wieder in diesen kindlichen Zustand zurückzuversetzen. Das hat aber nicht mehr wirklich geklappt. Als Kind will man groß sein, Dinge dürfen. Und auf dem Weg dorthin verliert man einiges. Aber ich glaube, dass man den Erwachsenen keinen Vorwurf machen kann. So funktioniert nun mal Selbstbestimmung. Mir geht das ja auch nicht anders. Ich muss mich immer daran erinnern, nicht zu erwachsen zu sein. Der Alltag macht es einem dabei nicht unbedingt einfacher. Er stellt sich ziemlich oft gegen die Fantasie.
Das neue Album beginnt mit dem Titelsong und der wiederum beginnt sehr düster, bevor sich das begleitende Orchester zu einem wahren Glücksmoment hochgeigt.
Auf diesem Album habe ich mir gesagt: Man kann Freude empfinden, wenn man sich dafür öffnet. Davon handelt der Song "Der Gute Tag". Der Tag hat einen guten Tag und ich mach das dem Tag jetzt einfach nach. Auch wenn einem Glücksgefühle prinzipiell fremd sind, kann man sie doch empfinden. Es gibt eine Studie, wonach Glückshormone sprudeln, wenn man sich zum Lächeln zwingt, allein durch die Stellung der Mundwinkel. Das zeigt doch, dass das Glück in uns liegt. Es ist da.
Du kommst ursprünglich vom Hip Hop und dem Royal Bunker Label. Das "Ich", die Selbsterklärung oder -ermächtigung spielen im Rap eine großer Rolle. Dieser Faktor ist am neuen Album wesentlich präsenter als auf deinem Debüt "Über das Grübeln". Warum?
Für mein Debüt habe ich viel Kritikerlob bekommen. Auf einer breiteren medialen Ebene hat das Album allerdings sehr polarisiert. Um es vorsichtig zu formulieren: Es ist mir auch sehr viel Intoleranz begegnet. Mir war es wichtig, mich dazu zu äußern und zu sagen, mir ist es egal, wie sich das Mainstreamradio in Deutschland positioniert und wie die denken, dass eine Songstruktur auszusehen hat. Ich mache das, was mir mein Herz sagt. Dieses Feedback war mir wichtig. Ich habe ja als Musikerin ein Sprachrohr.
Hat dich der Gegenwind überrascht nach dem Debüt?
Ja, schon. Ich lege es ja nicht auf Provokation an, sondern will nur mein Ding durchziehen. Mit dem Level an Aggression und Polarisierung habe ich nicht gerechnet. Glücklicherweise gab’s auch sehr viel Liebe und Anerkennung.
Wie erklärst du dir diese Polarisierung?
Ich beobachte die Poplandschaft in Deutschland sehr genau. Hier hast du nur eine Chance, wenn du dich dem Durchschnitt anpasst und diesen Durchschnitt perfektionierst. Ich präsentiere mich aber so, wie ich es will und wie ich es kann. Und ich darf das auch, weil ich in einem Land lebe, in dem ich mich frei äußern kann. Ich passe nicht in den Rahmen, aber ich mache doch Popmusik. Wenn ich nicht in diesen Rahmen passe, dann muss ich halt eine Axt nehmen und ihn zerschlagen.
Was sind die Einwände seitens der Industrie?
Absurd ist, dass man mir vorwirft, "gekünstelt" zu sein. Und dann ist man schnell mit dem Begriff der mangelnden Authentizität da. Aber die Musik ist, wie sie aus mir rauskommt. Die Inszenierung ist, wie ich es empfinde und will. Was gibt es denn Authentischeres als das? Anders gesagt: Was soll daran authentisch sein, wenn sich eine Künstlerin verbiegen und "nahbare" Outfits tragen muss? Wenn ich mich in T-Shirt und Jeans mit einer Gitarre sinnlich zu Upbeat-Playbacks bewegen muss? Ich verbiege mich nicht und mir wird vorgeworfen, ich sei nicht authentisch. Das ist doch lächerlich.
Christian Lehner
Was deine Inszenierung betrifft, kommen da auch Ansagen wie: "Mach dich doch ein bisschen sexy für das Video" usw.?
"Warum inszenierst du dich so hart? Sei doch ein bisschen weiblich!", das höre ich jeden Tag. Ich bin eine Frau, aber ich möchte nicht mit meiner Körperlichkeit überzeugen, weil die niemanden was angeht. Ich möchte nicht meinen Körper in der Vordergrund stellen, sondern mein Wesen. Ich bin traurig, wenn Menschen sagen: "Du bist hässlich! Das ist doch nicht schön!" Nicht, weil es mich verletzt, sondern weil ich es so ignorant finde. Ich höre das wirklich jeden Tag: "Du bist nicht zugänglich, wir können das nicht verkaufen. Die Leute können sich nicht mit dir identifizieren." Aber warum sollten sie das? Weil ich eine Lederjacke und Jeans trage?
Auf diese Menschen muss das Video zu "Die Regenwolke" wohl wie der Mittelfinger gewirkt haben?
80% meinten: "Hey, was ist das denn für eine krasse Scheiße? Musste das sein mit dem Herz?" Dabei, und ich wiederhole mich, war das nicht als Provokation konzipiert. Es ist, was der Song braucht. Ich finde es schön.
Der Text beharrt darauf, kein Song über die Liebe zu sein, und doch beschreibst du sie in den Versen - allerdings mit Bildern und Metaphern aus der Biologie.
Ich habe versucht, alle Phrasen, die mich in Liebesliedern nerven, zu vermeiden. Es sind ja immer dieselben: "Wenn das Herz schlägt, wenn die Finger zittern…" Und ich wollte sagen: Wenn das Herz schlägt, dann kommt Sauerstoff im Kopf an, und wenn die Finger zittern, hast du zu wenig Blutzucker in dir, und wenn deine "Wände einstürzen", dann sind die Handwerker da und sanieren deine Wohnung. Die meisten Liebeslieder tun so, als gingen sie nahe, sie gehen aber nirgendwo hin. Ich schreibe deshalb "keine Lieder über Liebe", wie es im Text heißt, weil dieser Song müsste so am Punkt sein, dass es mich wirklich umhaut. Ich habe bis jetzt in meinem Leben nur ein Liebeslied geschrieben und das heißt "Die Heizung".
Wer kann denn im deutschsprachigen Pop Liebeslieder schreiben?
Rio Reiser konnte das, oder Herbert Grönemeyer. Mia kann es, Judith Holofernes auch.
Dein Umgang mit Sprache, diese Betonungen der scheinbar falschen Silben, diese eigentümliche Rhythmik ist ein Alleinstellungsmerkmal. Vielleicht öffnest du uns den Zugang zu deiner Songsprache anhand des Stückes "Der Dadaist"?
Bei Dadaismus fallen immer Stichworte wie Zufälligkeit, Spontaneität, oder sogar Inhaltslosigkeit. Aber ich glaube nicht an den Zufall in der Kunst. Noch der beiläufigste Pinselstrich wird vom Unbewussten gesteuert. Der Dadaismus weckt unglaublich viele Emotionen, obwohl er so wahllos scheint. In dem Song setze ich mich mit der Außenwelt auseinander und versuche zu ergründen, warum mich etwas interessiert und warum ich mich angezogen fühle, obwohl ich mir es zunächst nicht erklären kann. Deshalb: "Dada ist etwas, das wichtig ist". Daraus kann man vieles entwickeln, denn wenn etwas meine Aufmerksamkeit fängt, füllt es sich mit Inhalt, immer mehr und immer mehr. So entstehen die Zusammenhänge in den Songtexten. Sie sind alles andere als wahllos, etwas, das mir ja auch vorgeworfen wird.
Deine Texte messen das Sein oft an Dingen des Alltags, ohne dabei alltäglich zu sein.
Ich werde immer gefragt: Wie generierst du deine Ideen? Ich generiere gar nix. Die Ideen überfallen mich, nicht umgekehrt. Ich habe keine Muse, bin kein Genie, das aus dem Nichts schafft. Ich laufe herum und beobachte. Und dann muss ich schreiben und es in eine Form bringen. Ich bin nicht so konzeptuell, wie viele denken, ich guck einfach rum.
Man findet viele Ecken und Kanten in deiner Musik, mit vielen Konsonanten dran.
Ich liebe Ecken und Kanten! Wenn man um die Ecke schaut, sieht man etwas Neues. Ich mag diese Ästhetik, ich mag klare Formen und ich muss Formen immer komplimentieren. Ich suche nach der Symmetrie. Beim letzten Interviewtag hatte ich am Ende alle Snacks am Tisch nach einem bestimmten System geordnet: hier die Twix, da die Snickers und dort die Kinderriegel.
Sprache vor Musik?
Die Sprache hat Priorität.
Der Reiz der deutschen Sprache?
Sie ist hart und weich zugleich und kann deshalb die Gefühlswelten des Menschen perfekt wiedergeben. Du hast ein "Schh!" und "Kh!", aber auch ein "Üüüüüh" und ein "schhhhhh". Mich interessieren die Strukturen in den Strukturen, wie Buchstaben in verschiedenen Konstellationen klingen, wie sich aus dem Phonetischen klar differenzierbare Begriffe entwickelt haben.
Gibt es Seelenverwandte im Pop?
Bilderbuch. Was die mit Sprache anstellen, ist einfach großartig.