Erstellt am: 27. 3. 2017 - 19:32 Uhr
"Griechische Schulden sind illegal und aufzukündigen!"
Zurzeit verhandelt die griechische Regierung wieder mit ihren Gläubigern über den nächsten Kredit - der dann dafür verwendet wird, um Schulden zurückzuzahlen. Sieben Milliarden Euro an Rückzahlungen sind im Sommer fällig. Der griechische Premierminister Alexis Tsipras will dringend einen Schuldenerlass, ansonsten könne sich die Wirtschaft in Hellas gar nicht erholen, meint er.
Erst kürzlich haben die Athener U-BahnfahrerInnen gegen die Privatisierung des U-Bahn-Netzes gestreikt. Das ist eine der Auflagen der internationalen Geldgeber, damit Griechenland die nächste Geldspritze erhält. Ein durchaus umstrittenes Manöver.
Das "Truth Committee on Public Debt", eine 2015 von der damaligen griechischen Parlamentspräsidentin eingesetzte Kommission (eine internationalen Gruppe freiwilliger ExpertInnen), kam vor zwei Jahren zu ganz anderen Schlüssen: Demzufolge wurden private Schulden illegitim auf den Staat übertragen, und die Troika-Auflagen hätten die eigentliche Misere erst verursacht. Der Bericht wird aber weitgehend ignoriert.
Die Kommission macht trotz ihrer Auflösung (nach Neuwahlen durch einen neuen Parlamentspräsidenten) weiter als Vereinigung und kämpft für die Umsetzung der Empfehlungen. Ganz vorne mit dabei ist Zoe Konstantopoulou, die 2015 die Kommission als Parlamentspräsidentin eingesetzt hat. Sie hat Syriza 2015 verlassen und versucht sich nun mit ihrer eigenen Partei Plefsi Eleftherias (Kurs der Freiheit).
APA/EPA/FOTIS PLEGAS G.
Griechische Schuldenentwicklung bis 2010
Die Austeritätsprogramme haben zu einer, wie Konstantopoulou es nennt, "Versklavung der griechischen Bevölkerung" geführt. Doch warum sind die Staatsschulden überhaupt so stark angewachsen? Sie stammen großteils nicht, wie oft kolportiert, von öffentlichen Ausgaben. Die übertriebenen öffentlichen Ausgaben sind ein Mythos, so der Bericht der Schuldenkommission: "Die öffentlichen Ausgaben Griechenlands, ausgenommen der Verteidigungsausgaben, erklären nicht den Schuldenanstieg. Öffentliche Ausgaben waren niedriger als in anderen Euro Ländern."
Hohe Zinsen, die Abwertung der Drachme und später die Einführung des Euro erklären den Staatsschuldenanstieg bis 2007, so der Kommissionsbefund. Private Schulden in Griechenland sind in den Nuller Jahren ab der Einführung des Euro stark angestiegen – von 74% auf 129% des Bruttoinlandsproduktes. "Der Eintritt in die Eurozone brachte einen drastischen Anstieg privater Schulden. Dies führte 2009 zur Bankenkrise, welche die griechische Staatsschuldenkrise auslöste."
2010 kommt es dann zum ersten Troika-Kredit an Griechenland: Auf einen Schlag hat der Staat dadurch 110 Milliarden Euro mehr an Schulden. Wozu wurde das geliehene Troika-Geld verwendet? Zoe Konstantopoulou dazu: "Das Kriminellste daran ist, dass die Schulden dem griechischen Staat übergestulpt wurden, um deutsche, französische und auch griechische Banken zu 'retten'. Die internationalen Geldgeber wussten, dass diese Schulden gestrichen werden müssen, aber sie taten es nicht, weil das Verluste für die Banken bedeuten würde, die griechische Staatsanleihen hatten."
Eine weitere wesentliche Erkenntnis der Schuldenkommission: Vor dem ersten sogenannten Hilfspaket der Troika haben die griechische Regierung und europäische Behörden die griechischen Staatsschulden übertrieben hoch ausgewiesen. Die so bezeichnete finanzielle Rettung Griechenlands konnte dadurch umso dringlicher dargestellt werden. Bis zu 8% des BIPs waren an Schulden laut Kommission zu hoch berechnet worden. Zum Beispiel ein Minus von 5,4 Milliarden Euro bei den öffentlichen Krankenhäusern, das laut Kommission nie belegt wurde. "Die europäischen Parlamente stimmten für die sogenannte Rettung Griechenlands auf Basis verfälschter statistischer Daten. Die Bankenkrise wurde unterschätzt – durch eine Überschätzung der Probleme im öffentlichen Sektor."
Folgen des Austeritätskurses ab 2010
Die Schuldenkommission fokussiert in ihrem Bericht weiters auf die Kredite und die damit verbundenen Austeritätsprogramme ab 2010. Seitenweise listet der Bericht Rechtsbrüche und soziale Folgen des Austeritätskurses auf. Das Runterfahren des Sozialstaates beinhaltet u.a. drastisch gesenkte Pensionen und Mindestlöhne und gelockerten Kündigungsschutz.
Zwei Beispiele gebrochener Menschenrechte:
- Das Recht auf Gesundheit: Die Gesundheitskosten mussten auf Drängen der Troika halbiert werden. Arbeitslose wurden von der Krankenversicherung ausgeschlossen. 2015 waren 2,5 Millionen Griechinnen und Griechen unversichert. (2016 wurden Arbeitslose wieder in die Krankenversicherung aufgenommen - eine der wenigen Austeritätsmaßnahmen, die die griechische Regierung zurücknahm.)
- Das Recht auf Bildung: 1.053 Schulen wurden zwischen 2008 und 2012 geschlossen.
Die Kommission sieht Griechenland in einem Dilemma: "Die griechische Regierung ist eindeutig in einer Position, in der sie entweder ihre Schulden zurückzahlen kann und dabei weiterhin grundlegende Menschenrechte verletzt, oder sie setzt die Rückzahlungen aus… und verwendet das Geld für die Einhaltung ihrer Menschenrechtsverplichtungen."
Die griechische Verfassung wurde laut Kommissionsbericht übrigens schon beim Beschluss der ersten Kredittranche 2010 gebrochen: Anstatt, wie es die Verfassung vorschreibt, das Parlament darüber abstimmen zu lassen, hat es nur der Finanzminister unterzeichnet.
Zoe Konstantopoulou findet harte Worte zu den Memoranden: "Das Verbrechen, das hier gegenüber Griechenland begangen wird, ist ein Fall für internationales Strafrecht und Wirtschaftsrecht. Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also eine systematische Politik mit dem Ziel, eine Bevölkerung auszulöschen durch asoziale Austeritätsmaßnahmen, das Beseitigen von Wohlstand und öffentlichem Vermögen. Es ist ein gigantisches Wirtschaftsverbrechen."
ANDREAS SOLARO ANDREAS SOLARO / AFP
Kämpfen für Europa
Am 5. Juli 2015 stimmten 61% der griechischen Bevölkerung gegen ein weiteres Austeritätsprogramm der Troika für das Land. Trotzdem setzt die Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras genau dieses Programm weitgehend um. Die damalige Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou verließ deshalb im Sommer 2015 die Syriza-Partei und schaffte es bei vorgezogenen Neuwahlen mit dem abgespaltenen Syriza-Flügel nicht mehr ins Parlament. Die Schuldenkommission wurde vom neuen Parlamentspräsident aufgelöst, der Bericht von der Parlamentswebsite genommen, die Dokumente im Kommissionbüro konfisziert. Teile der Medien und der Politik gingen gegen Zoe Konstantopoulou brutal vor, weil sie weiterhin für die Umsetzung der Kommissionsempfehlungen kämpfte. Sie erzählt von sexistischen Schlagzeilen, um sie zu desavouieren: "Ihre Eltern sollten sie in eine psychiatrische Klinik bringen. Und wo ist ihr Ehemann, der sie an die Leine nimmt?"
Aus der Sicht von Zoe Konstantopoulou sind in Griechenland nach wie vor Eliten mächtig, die sich bereichern und nicht im Sinne der breiten Bevölkerung agieren. Sie und die einstigen Kommissionsmitglieder geben trotzdem oder gerade deshalb bis heute nicht auf. Die Komissionsmitglieder machen ohne staatlichen Auftrag weiter.
Und die Ergebnisse der Schuldenkommission sind nicht ganz ohne Wirkung: Derzeit erwägen deutsche AktivistInnen, die EU-Kommission wegen dem Austeritätskurs in Griechenland zu verklagen. Der internationale Währungsfonds plädiert offiziell für eine Schuldenerleichterung für Griechenland. Auch der zuständige UN-Experte zu Schuldenlast und Menschenrechten spricht sich gegen die seit 2015 vereinbarten Austeritätsprogramme aus.
Und Zoe Konstantopoulou hat die neue Partei Plefsi Eleftherias gegründet, mit der sie sich für die Aufkündigung der Schulden und der Austeritätsreformen einsetzt. Die kompromisslose Anwältin sieht es als einen internationalen Kampf. Sie hat sich auch mit ihrem einstigen Syriza-Kollegen Yannis Varoufakis und anderen zusammengetan und eine neue europäische linke Plattform namens Plan B gegründet. Ihr Ziel ist eine erfolgreiche Bewegung gegen autoritäre Entwicklungen im Kapitalismus.
"Das ist ein Kampf, der zu führen ist und zwar nicht nur für GriechInnen, sondern für EuropäerInnen. Es handelt sich um eine neue Form von Totalitarismus und Autoritarismus, die der europäischen Bevölkerung über ökonomische und finanzielle Verhältnisse aufgezwungen wird. Und wenn wir dem keinen Widerstand leisten, dann haben wir dieses Regime nicht nur für Jahrzehnte, sondern möglicherweise für Jahrhunderte am Hals." Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einem Schuldenerlass kommt wie etwa in Ecuador. Wegen Sittenwidrigkeit wurden im Jahr 2007 internationale Schulden des Landes gestrichen.