Erstellt am: 23. 3. 2017 - 11:34 Uhr
"The engine’s humming, So get on board"
„We have no respect, We have lost control, We're going backwards, Ignoring the realities“ und dann „We feel nothing inside“ - dieser leichtverständlichste Kommentar zur Zeit der mitleidlosen Soziopathen an der Macht ist der Auftakt zur neuen Depeche Mode, „Spirit“, ihrem 14. Studioalbum : „Going Backwards“, der Verlust von bereits erreicht Geglaubtem durch einen Mangel an Gefühl liegt nicht vor uns, er ist da, wir können täglich erleben, dass der gesellschaftliche Fortschritt nicht linear ist, ja sich sogar nach hinten bewegt.
Die zweite Frage, der zweite Song, ist darauf nur logisch: „Where is the Revolution“, in dem Dave Gahan enttäuscht ist, dass angesichts des Irrsinns niemand von denen, die von „patriotischen Junkies“ „angepisst“ wurden, aufsteht und für die Vernunft und das Gute kämpft - und bietet Revolutionswilligen gleich einen Zug, wie vor 100 Jahren die deutsche Militärführung, die Lenin und Radek im plombierten Zug („The train is coming, So get on board“) bis Finnland geleitete - weil er versprochen hatte, die Revolution, die er vor hat, würde den Krieg mit Deutschland sofort beenden. Anders als andere Rockstars weiß Martin Gore so etwas.
Gesellschaftskritik von Millionären?
Gerne wird millionenschweren Rockstars gesellschaftliche Kritik abgesprochen, sie würden nur mit Problemen kokettieren, von denen sie schon lange keine Vorstellung mehr hätten, und von einer satten Position heraus beanstanden, dass nichts geschieht. Der Ex-Spex-Herausgeber und nunmehrige SZ Kritiker Max Dax spricht von den Deppeche Mode von „Spirit“ als „Salon-Revoluzzer“, als wäre der Blick dieser Band auf die Welt und den Kapitalismus eine Novelty-Pose, eine altersschwachsinnige Volte, um Gestaltungskraft zu heucheln und mit Revolutionspathos davon abzulenken, dass das eigene Geld schon seit längerem in Malta wohnt.
Sony Music / Anton Corbijn
Doch für Depeche Mode schließt sich mit „Spirit“ nur erneut einer ihrer vielen Kreise.
Der Klang der Revolution?
Dieser hier beginnt auf ihrem dritten Album „Construction time again“. Vince Clarke hatte die Band gerade verlassen, Songschreiber Martin Gore hatte in Berlin die Einstürzenden Neubauten gesehen, sich ihren Producer Gareth Jones geschnappt und dem fiepsigen Synthpop der Anfangstage einige neue Sounds verpasst: Abgeschnittene Rückwärtsdrums, verzerrte Röhrenglocken, Stahlpercussion, aufgenommene Staubsauger und Tischtennisbälle - den überharmonischen Songs wurde ein rauhes, nach dem Endzeitgetöse der Neubauten modelliertes Skelett angepasst (man höre in „Pipeline“ rein). Ebenso nun bei „Spirit“: Der schon konventionell anmutenden Rocksound wird hier erneut unter einer Gastproduzentenhand zu dräuender Klagemusik, düster und neblig, wenn auch punktuell und sparsam, mit sehr tiefen und drohenden Sounds verziert, verantwortet vom neuen Producer, James Ford von Simian Mobile Disco – so jemanden engagiert man sich nicht, wenn man es süß und fruchtig haben will. So schließt sich mit ihm der eine Kreis seit dem politischen Industrial Album „Construction Time Again“.
Ebenso wurden damals, auf „Construction Time Again“ und den beiden Nachfolgeplatten, in den Teenage Angst Hymnen allerlei Gründe für diese Furcht genannt, das „Private“ wurde – hier einer Forderung der Generation davor folgend – „politisch“, aber nicht im Sinn von hippie- gemäßen Handlungsanweisungen, sondern als anklagende, ausweglose Tatsachenfeststellungen.
Worte der Revolution?
Hatten wir nicht den Superhit „Master and Servant“? Nein, der handelt nicht nur von S & M, sondern spricht vor allem davon, dass das Sklave / Herren Spiel gerade so wie das ganze Leben ist („it‘s a lot like life“). In „People are People“ fragen sie sich, warum Menschen andere Menschen hassen, auf „Everything Counts“ stellen sie fest, dass gierige Hände „nach allem greifen, nur für sich“. In dieser Frühphase des Starruhms finden sich dutzende Beispiele für – damals ein schmutziges Wort – „sozialkritische Lieder“ , sodass sie der Rolling Stone sogar als „fahnenschwingende Kommunisten“ bezeichnet hat. So weit wollen wir nicht gehen, aber diese Phase zog sich immerhin über drei Platten, in der wichtigsten Zeit ihrer Teenage-Idols-Karriere, ehe sie mit „Music for the Masses“ mit Hilfe einer speziellen Rock-Ästhetik die Stadien erobern und die Depeche Mode, wie sie jede/r kennt, erfinden sollten.
Sony Music
Und auch dieser Kreis schließt sich, Depeche Mode klagen an, immer noch teils wehmütig, ihrer Privatheit und Dekadenz bewusst, und es sind auch nicht die überraschendsten Wahrheiten, etwa dass große Konzerne kaum oder keine Steuern zahlen, dass das Thatscher'sche „trickle down“-Modell nicht mehr so recht funktionieren will, die Armen ärmer werden und die Reichen reicher …., und dass zum Beispiel auch aus der Sicht des armen Mannes, der keine Schuhe hat und im Schnee schlafen muss und vor dessen Gebettel sich alle abwenden wollen - im angenehmen Kraftwerk -Worksong-Hybrid „Poorman“.
Depeche Mode könnten sich wohl bequem auf Midtempo-Rocksongs über Orgasmusprobleme oder Ähnliches zurücklehnen und müssten nicht Konzerne und Regierungen anpissen - etwas Anderes als gesellschaftliche Dringlichkeit mag ich der Band jetzt gar nicht unterstellen.